BCS-Theorie

Die Entdeckung der Supraleitung markiert einen der faszinierendsten Meilensteine in der Physik des 20. Jahrhunderts. Supraleitung beschreibt den Zustand bestimmter Materialien, in dem sie unterhalb einer kritischen Temperatur ihren elektrischen Widerstand vollständig verlieren und gleichzeitig Magnetfelder aus ihrem Inneren verdrängen. Dieses Phänomen, das ursprünglich als eine Kuriosität angesehen wurde, hat sich inzwischen zu einer tragenden Säule moderner Quantentechnologie entwickelt.

Supraleitende Materialien bilden heute die Grundlage einer Vielzahl technologischer Anwendungen: von hochsensiblen Magnetfeldsensoren, den sogenannten SQUIDs, über supraleitende Magnete für die Magnetresonanztomographie bis hin zu supraleitenden Qubits, die in führenden Ansätzen der Quanteninformationsverarbeitung verwendet werden. In allen diesen Kontexten ermöglicht die Supraleitung, makroskopische Quantenzustände zu erzeugen und zu kontrollieren – ein Umstand, der ohne eine tiefgehende theoretische Beschreibung nicht denkbar wäre.

Mit der Entwicklung der BCS-Theorie gelang es erstmals, Supraleitung aus den Prinzipien der Quantenmechanik und der Festkörperphysik konsistent abzuleiten. Diese Theorie liefert nicht nur eine mikroskopische Erklärung des Widerstandsverlusts und der Energielücke im elektronischen Anregungsspektrum, sondern eröffnet auch eine präzise Vorhersagekraft, mit der sich viele Phänomene experimentell überprüfen lassen.

Die BCS-Theorie stellt damit ein Paradebeispiel für den fruchtbaren Dialog zwischen Theorie und Experiment dar und ebnet den Weg zu neuen Materialien und Anwendungen in der Quantentechnologie.

Historischer Kontext: Von den frühen Entdeckungen der Supraleitung bis zur Notwendigkeit einer mikroskopischen Theorie

Die Geschichte der Supraleitung begann im Jahr 1911, als Heike Kamerlingh Onnes bei Experimenten an Quecksilber den sprunghaften Abfall des elektrischen Widerstands auf Null beobachtete, sobald die Temperatur unter etwa 4,2 Kelvin sank. Dieses überraschende Resultat ließ sich mit klassischen Modellen elektrischer Leitfähigkeit nicht erklären.

Im weiteren Verlauf wurden zahlreiche weitere supraleitende Materialien identifiziert, wobei stets dieselben Grundphänomene auftraten: Der perfekte Leitungszustand und der Meißner-Ochsenfeld-Effekt, der darin besteht, dass Magnetfelder aus dem Inneren des Supraleiters verdrängt werden.

Zur Erklärung dieser Beobachtungen entstanden zunächst phänomenologische Ansätze wie die London-Gleichungen (1935), die das magnetische Verhalten beschrieben, sowie die Ginzburg-Landau-Theorie (1950), welche den Ordnungsparameter für den supraleitenden Zustand einführte. Diese Modelle konnten jedoch nicht beantworten, warum Elektronen ihre normale Streuung verlieren und welche mikroskopische Ursache die Energielücke erzeugt.

Mit dem wachsenden Interesse an quantenmechanischen Vielteilcheneffekten wurde immer deutlicher, dass es einer konsistenten Theorie bedurfte, die die Elektronenwechselwirkung und den Übergang zum supraleitenden Zustand vollständig auf quantenmechanischer Grundlage erklärt. Die Frage lautete: Wie kann es gelingen, dass fermionische Teilchen, die dem Pauli-Prinzip gehorchen, kollektiv in einen makroskopischen Zustand kondensieren?

Diese Fragestellung war der Ausgangspunkt für die bahnbrechende Arbeit von John Bardeen, Leon Cooper und Robert Schrieffer, die schließlich zur Formulierung der BCS-Theorie führte.

Ziel und Struktur der Abhandlung

Ziel dieser Abhandlung ist es, die BCS-Theorie in ihrer historischen Entwicklung, ihren mathematischen Grundlagen und ihren Anwendungen im Feld der Quantentechnologie systematisch darzustellen. Dazu werden wir zunächst die zentralen experimentellen Beobachtungen der Supraleitung und ihre klassischen Beschreibungsversuche einordnen.

Im Anschluss erfolgt die detaillierte Herleitung der BCS-Theorie mit dem Konzept der Cooper-Paare, der BCS-Wellenfunktion und der Energie-Gap-Formel. Mathematische Formeln wie die Gap-Gleichung

\Delta = -\sum_{\mathbf{k}} V_{\mathbf{k}\mathbf{k}'} \frac{\Delta}{2E_{\mathbf{k}'}} \tanh\left(\frac{E_{\mathbf{k}'}}{2k_B T}\right)

werden ebenso erläutert wie die sich daraus ergebenden physikalischen Konsequenzen.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den quantentechnologischen Implikationen: der Entwicklung supraleitender Qubits, hochpräziser Messverfahren sowie der Diskussion unkonventioneller Supraleiter, bei denen die BCS-Theorie an ihre Grenzen stößt.

Abschließend werden wir eine kritische Würdigung der Theorie vornehmen, aktuelle Erweiterungen wie die Eliashberg-Theorie vorstellen und einen Ausblick auf offene Fragen und künftige Forschungsrichtungen geben.

Diese Abhandlung gliedert sich daher in folgende Hauptteile:

  1. Grundlagen der Supraleitung
  2. Entwicklung der BCS-Theorie
  3. Theoretische Grundlagen der BCS-Theorie
  4. Quantentechnologische Implikationen
  5. Mathematische Vertiefung
  6. Kritische Betrachtung und Weiterentwicklungen
  7. Aktuelle Forschung und Ausblick

Jedes Kapitel wird den Anspruch verfolgen, den Zusammenhang zwischen fundamentaler Theorie und technologischer Anwendung herauszuarbeiten und die BCS-Theorie in ihrer einzigartigen Bedeutung für die Quantentechnologie anschaulich zu vermitteln.

Grundlagen der Supraleitung

Erste experimentelle Entdeckungen

Heike Kamerlingh Onnes und die Quecksilbersupraleitung

Die Geburtsstunde der Supraleitung geht auf die bahnbrechenden Arbeiten von Heike Kamerlingh Onnes zurück, der an der Universität Leiden Pionierarbeit in der Tieftemperaturphysik leistete. Im Jahr 1911 untersuchte er den elektrischen Widerstand von reinem Quecksilber bei tiefen Temperaturen. Dabei stellte er fest, dass der Widerstand bei etwa 4,2 Kelvin schlagartig auf einen nicht mehr messbaren Wert fiel.

Diese Entdeckung war so unerwartet, dass sie zunächst mit großer Skepsis betrachtet wurde. Onnes selbst bezeichnete diesen Zustand als „supraleitend“, weil der Widerstand offenbar vollständig verschwand. Sein berühmtes Diagramm des Widerstandsverlaufs zeigte einen abrupten Übergang, der nicht mit einer graduellen Abnahme der Streuung erklärt werden konnte.

Onnes erhielt 1913 den Nobelpreis für Physik „für seine Untersuchungen der Eigenschaften der Materie bei tiefen Temperaturen, die zur Herstellung flüssigen Heliums führten“, aber auch die Supraleitung wurde schnell als ein fundamentaler Durchbruch erkannt. Dieser erste experimentelle Nachweis bildete den Ausgangspunkt einer Disziplin, die bis heute eine der aktivsten Forschungsrichtungen der Physik geblieben ist.

Kritische Temperatur und perfekte Leitfähigkeit

Ein charakteristisches Merkmal jedes supraleitenden Materials ist die Existenz einer sogenannten kritischen Temperatur T_c. Oberhalb dieser Temperatur verhält sich das Material wie ein normaler Leiter mit endlichem Widerstand, während es unterhalb von T_c in den supraleitenden Zustand übergeht.

Das Phänomen der perfekten Leitfähigkeit bedeutet, dass elektrische Ströme ungehindert fließen können, ohne Energieverluste durch Joule-Wärme. In idealisierten Experimenten konnte gezeigt werden, dass ein einmal in einem supraleitenden Ring induzierter Strom über Jahre hinweg erhalten bleibt.

Die kritische Temperatur ist für verschiedene Materialien unterschiedlich und reicht bei klassischen Supraleitern (wie Blei, Zinn oder Niob) bis zu etwa 20 Kelvin. Mit der Entdeckung der Hochtemperatursupraleiter in den 1980er Jahren stieg dieser Wert jedoch teilweise über 100 Kelvin, wenngleich die BCS-Theorie hier nur eingeschränkt anwendbar ist.

Mathematisch wird der Übergang in den supraleitenden Zustand durch die Entstehung einer Energielücke \Delta(T) beschrieben, die bei T = 0 maximal ist und mit wachsender Temperatur gegen null strebt:

\lim_{T \to T_c^-} \Delta(T) = 0

Diese Energielücke ist ein zentrales Vorhersageergebnis der BCS-Theorie, auf die wir in den späteren Kapiteln detailliert eingehen werden.

Meißner-Ochsenfeld-Effekt als Phänomen makroskopischer Quantenzustände

Ein zweites fundamentales Merkmal der Supraleitung wurde 1933 von Walther Meißner und Robert Ochsenfeld entdeckt. Sie fanden heraus, dass ein supraleitender Körper bei Eintritt in den supraleitenden Zustand sein Magnetfeld aus dem Inneren vollständig verdrängt.

Dieses Phänomen, das als Meißner-Ochsenfeld-Effekt bezeichnet wird, lässt sich nicht einfach durch perfekte Leitfähigkeit erklären. Während ein idealer Leiter ein vorhandenes Magnetfeld einfrieren würde, stellt der Supraleiter aktiv sicher, dass das Feld aus dem Volumen verschwindet.

Die magnetische Flussdichte \mathbf{B} im Inneren des Supraleiters nimmt daher den Wert

\mathbf{B} = 0

an, solange die äußere Feldstärke die sogenannte kritische Feldstärke H_c nicht überschreitet.

Dieser Effekt beweist, dass Supraleitung ein makroskopischer Quantenzustand ist, der durch Kohärenz vieler Elektronen über große Distanzen hinweg gekennzeichnet ist. Erst durch diesen Aspekt wird die Brücke zwischen Supraleitung und quantentechnologischen Anwendungen verständlich: Supraleiter sind in der Lage, Quantenzustände auf makroskopischer Skala zu stabilisieren.

Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt wurde später in der London-Theorie durch die folgende Gleichung beschrieben:

\nabla \times \mathbf{j_s} = -\frac{n_s e^2}{m} \mathbf{B}

wobei \mathbf{j_s} der supraleitende Strom ist. Diese Beziehung zeigt den direkten Zusammenhang zwischen Strömen und Magnetfeldern und legt den Grundstein für die spätere mikroskopische BCS-Beschreibung.

Entwicklung der BCS-Theorie

Motivation und wissenschaftliche Fragestellungen

Warum klassische Erklärungen unzureichend waren

Nachdem in den Jahrzehnten nach der Entdeckung der Supraleitung verschiedene phänomenologische Modelle vorgeschlagen worden waren, blieb doch ein zentrales Problem ungelöst: Was ist die mikroskopische Ursache der Supraleitung?

Die London-Gleichungen und die Ginzburg-Landau-Theorie beschrieben zwar viele makroskopische Eigenschaften sehr erfolgreich, konnten jedoch nicht erklären, wie der Widerstand tatsächlich verschwindet oder wie die Energielücke entsteht.

Im klassischen Bild eines Metalls bewegen sich Elektronen frei und kollidieren mit Ionengittern und Defekten, wodurch der Widerstand entsteht. Dass dieser Prozess plötzlich aufhören sollte, ohne dass die Ionenstrukturen verschwinden, war mit den bisherigen Modellen unvereinbar.

Vor allem war unklar, wie sich Fermionen – Teilchen mit halbzahligem Spin, die dem Pauli-Ausschlussprinzip gehorchen – überhaupt in einen kollektiven Zustand begeben könnten. Die Fermistatistik gebietet, dass kein zwei Elektronen denselben Quantenzustand besetzen können. Der scheinbare Widerspruch lautete:

Wie kann ein makroskopischer Quantenzustand entstehen, wenn doch jedes Elektron ein individuelles Verhalten zeigen müsste?

Erst mit der Quantenelektrodynamik und der Entwicklung der Vielteilchentheorie wurde klar, dass Elektronen über kollektive Anregungen – sogenannte Phononen – indirekt wechselwirken können. Dennoch blieb die Frage offen, ob diese Kopplung stark genug sein könnte, um die Bildung eines stabilen, kohärenten Zustands zu erklären.

Dieses Problem wurde zu einem der drängendsten Forschungsfragen der Festkörperphysik der 1940er und 1950er Jahre und bildete den Ausgangspunkt für die Arbeiten von Bardeen, Cooper und Schrieffer.

Der Widerspruch zwischen Fermistatistik und kollektiven Effekten

Die zentrale theoretische Herausforderung lag in der Verbindung zweier Konzepte:

Einerseits verhalten sich Elektronen als Fermionen mit antisymmetrischen Wellenfunktionen, andererseits deuten die Experimente auf einen kollektiven Zustand hin, der eine Art „Kondensation“ beinhaltet – ein Phänomen, das eher für Bosonen typisch ist.

Leon Cooper lieferte 1956 mit einer wegweisenden Arbeit den entscheidenden Hinweis, dass zwei Elektronen mit entgegengesetztem Spin und Impuls selbst bei beliebig schwacher Anziehungskraft ein gebundenes Paar bilden können, wenn sie sich in der Nähe der Fermikante befinden.

Mathematisch zeigte er, dass für eine Wechselwirkung V < 0 stets ein gebundener Zustand existiert, dessen Energie unterhalb der Fermi-Energie liegt:

E = 2\varepsilon_F - \delta E

Dieses sogenannte Cooper-Paar verhält sich wie ein zusammengesetztes Boson und kann daher mit anderen Paaren in denselben Quantenzustand kondensieren.

Die Einsicht, dass der Widerstand verschwindet, weil sich Elektronen in Form von Paaren zu einem kohärenten Zustand zusammenschließen, war ein revolutionäres Konzept. Hieraus leitete sich die Idee ab, dass die Supraleitung als spontaner Symmetriebruch der Teilchenzahlphase verstanden werden kann.

Die Protagonisten: John Bardeen, Leon Cooper, Robert Schrieffer

Biographische Notizen

Die drei Physiker, die später durch ihre gemeinsame Arbeit zur BCS-Theorie bekannt wurden, entstammten unterschiedlichen Generationen und Forschungsschulen:

  • John Bardeen (1908–1991) war bereits ein renommierter Physiker, als er sich der Supraleitungsforschung zuwandte. Er hatte 1956 den Nobelpreis für die Mitentwicklung des Transistors erhalten.
  • Leon Cooper (geb. 1930) war ein junger theoretischer Physiker, der mit seiner Arbeit über gebundene Elektronenpaare die Grundlage für die spätere Theorie legte.
  • Robert Schrieffer (1931–2019) promovierte bei Bardeen und entwickelte den zentralen Wellenfunktionsansatz, der die Theorie in konsistenter Form formulierte.

Diese Konstellation aus Erfahrung, frischen Ideen und mathematischer Brillanz bildete den Nährboden für einen der größten Erfolge der theoretischen Physik des 20. Jahrhunderts.

Zusammenarbeit und bahnbrechende Ideen

Der entscheidende Durchbruch gelang, als Schrieffer 1957 während einer Zugreise von New York nach Illinois das Konzept einer Wellenfunktion formulierte, die alle Cooper-Paare in einen kohärenten Zustand überführt.

Diese Wellenfunktion kann symbolisch geschrieben werden als:

|\Psi\rangle = \prod_{\mathbf{k}} (u_{\mathbf{k}} + v_{\mathbf{k}} c^\dagger_{\mathbf{k}\uparrow} c^\dagger_{-\mathbf{k}\downarrow}) |0\rangle

Hier beschreiben u_{\mathbf{k}} und v_{\mathbf{k}} Variationsparameter, die die Wahrscheinlichkeit angeben, dass ein Zustand unbesetzt oder mit einem Paar besetzt ist.

Dieser Ansatz erlaubte es, den Energiegewinn durch die Paarbildung zu quantifizieren und gleichzeitig die Fermistatistik korrekt zu berücksichtigen.

Die BCS-Theorie vereinte so erstmals folgende Punkte in einem konsistenten Modell:

  • die Bildung gebundener Paare,
  • die makroskopische Kohärenz,
  • die Entstehung der Energielücke,
  • und die Temperaturabhängigkeit des supraleitenden Zustands.

Erstveröffentlichung 1957

Die vollständige Theorie wurde 1957 in dem Artikel „Theory of Superconductivity“ veröffentlicht, erschienen in der Zeitschrift „Physical Review“.

Dieses Werk gilt heute als einer der einflussreichsten Beiträge der theoretischen Physik und wurde 1972 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.

Der Artikel führte unter anderem die berühmte Gap-Gleichung ein:

\Delta = -\sum_{\mathbf{k}} V_{\mathbf{k}\mathbf{k}'} \frac{\Delta}{2E_{\mathbf{k}'}} \tanh\left(\frac{E_{\mathbf{k}'}}{2k_B T}\right)

sowie die Vorhersage der spezifischen Wärmesprünge und magnetischen Eigenschaften, die später experimentell bestätigt wurden.

Damit war der Grundstein gelegt für ein umfassendes Verständnis der Supraleitung – und für zahlreiche quantentechnologische Innovationen, die bis heute auf diesem Modell aufbauen.

Theoretische Grundlagen der BCS-Theorie

Cooper-Paare

Bildung gebundener Elektronenzustände durch Phononenaustausch

Die zentrale Idee der BCS-Theorie besteht darin, dass zwei Elektronen mit entgegengesetztem Impuls und Spin eine effektive Anziehungskraft erfahren können, selbst wenn sie sich normalerweise durch ihre elektrische Ladung abstoßen.

Dieser Mechanismus wird durch die Kopplung der Elektronen an Gitterschwingungen (Phononen) vermittelt. Ein Elektron, das sich durch das Kristallgitter bewegt, kann das Gitter lokal deformieren. Diese Deformation führt dazu, dass die Ionen ein wenig verschoben werden und dadurch eine kurzlebige positive Ladungsanomalie erzeugen, die ein zweites Elektron anzieht.

Dieses Konzept lässt sich formal in der sogenannten effektiven Wechselwirkung darstellen:

V_{\text{eff}} = V_{\text{Coulomb}} + V_{\text{phonon}}

wobei V_{\text{phonon}} bei tiefen Temperaturen negativ sein kann, also anziehend wirkt.

Leon Cooper zeigte 1956, dass bereits eine beliebig schwache Anziehung ausreicht, um ein gebundenes Paarzustand oberhalb des mit Elektronen gefüllten Fermi-Meeres zu erzeugen. Dieser Zustand hat eine Energie leicht unterhalb der Fermi-Energie und ist energetisch stabil.

Energielücke im Elektronenspektrum

Durch die kollektive Bildung von Cooper-Paaren entsteht eine Energielücke \Delta im elektronischen Anregungsspektrum. Diese Energielücke bedeutet, dass Energie aufgewendet werden muss, um ein Paar zu trennen und einzelne quasifreie Elektronen (Quasiteilchen) zu erzeugen.

Die Existenz dieser Lücke erklärt direkt, warum Supraleiter keinen Widerstand zeigen: Die Streuung an Unreinheiten oder Gitterschwingungen kann nur dann Dissipation verursachen, wenn genügend Energie vorhanden ist, um die Paare aufzubrechen – was bei tiefen Temperaturen nicht der Fall ist.

Das Verhältnis der Energielücke zur kritischen Temperatur wird in der BCS-Theorie durch eine charakteristische Relation beschrieben:

2\Delta(0) = 3.52 , k_B T_c

Dieses Ergebnis ist eine der wichtigsten Vorhersagen der Theorie und wurde in zahlreichen Experimenten, zum Beispiel durch Tunneling-Spektroskopie, bestätigt.

Mathematische Beschreibung der Paarbildung

Der Prozess der Paarbildung wird in der BCS-Theorie durch die Einführung der sogenannten Anomalischen Mittelwerte beschrieben, also Erwartungswerte von Paarbildungsoperatoren:

\langle c_{-\mathbf{k}\downarrow} , c_{\mathbf{k}\uparrow} \rangle \neq 0

Im Normalzustand verschwinden diese Mittelwerte, da keine Korrelation zwischen Elektronen besteht. Im supraleitenden Zustand nehmen sie jedoch einen makroskopisch großen Wert an und definieren den Ordnungsparameter \Delta.

Die Energie der Quasiteilchen im supraleitenden Zustand ergibt sich zu:

E_{\mathbf{k}} = \sqrt{(\varepsilon_{\mathbf{k}} - \mu)^2 + \Delta^2}

wobei \varepsilon_{\mathbf{k}} die Einzelteilchenenergie und \mu das chemische Potential ist.

Diese Dispersion zeigt anschaulich die Öffnung der Lücke und bildet die Basis für thermodynamische Vorhersagen.

BCS-Wellenfunktion

Makroskopische Kohärenz

Einer der wichtigsten Beiträge von Robert Schrieffer war die Formulierung der BCS-Wellenfunktion, die alle Cooper-Paare in einem makroskopisch kohärenten Zustand vereint.

Die Wellenfunktion lautet:

|\Psi_{\text{BCS}}\rangle = \prod_{\mathbf{k}} \bigl( u_{\mathbf{k}} + v_{\mathbf{k}} , c^\dagger_{\mathbf{k}\uparrow} c^\dagger_{-\mathbf{k}\downarrow} \bigr) |0\rangle

Diese Superposition erlaubt es, alle möglichen Besetzungszustände zu kombinieren und die Paare als Quantenüberlagerung darzustellen.

Die makroskopische Kohärenz zeigt sich darin, dass sich der Gesamtzustand durch eine globale Phase auszeichnen lässt, deren Fixierung zu einer spontanen Symmetriebrechung führt.

Variationsansatz und Minimierung der Energie

Zur Bestimmung der Koeffizienten u_{\mathbf{k}} und v_{\mathbf{k}} wird ein Variationsansatz verwendet. Das Prinzip lautet, dass die Energieerwartungswerte minimiert werden:

\delta \langle \Psi_{\text{BCS}} | H - \mu N | \Psi_{\text{BCS}} \rangle = 0

Aus dieser Bedingung ergibt sich ein System selbstkonsistenter Gleichungen, darunter die bekannte Gap-Gleichung:

\Delta_{\mathbf{k}} = -\sum_{\mathbf{k}'} V_{\mathbf{k}\mathbf{k}'} \frac{\Delta_{\mathbf{k}'}}{2 E_{\mathbf{k}'}} \tanh\Bigl( \frac{E_{\mathbf{k}'}}{2k_B T} \Bigr)

Diese Beziehung beschreibt, wie die Wechselwirkung V und die Temperatur T die Größe der Energielücke beeinflussen.

Superpositionsprinzip und spontane Symmetriebrechung

Die BCS-Wellenfunktion repräsentiert einen Zustand, der das Teilchenzahlerhaltungssymmetrie bricht. Statt einer festen Elektronenzahl ist der Zustand eine Superposition von Zuständen mit unterschiedlichen Teilchenzahlen.

Dieses Phänomen bezeichnet man als spontane Symmetriebrechung der globalen U(1)-Symmetrie. In der Sprache der Quantenfeldtheorie bedeutet es, dass der Phasenfaktor des Ordnungsparameters willkürlich ist – eine Eigenschaft, die tief mit der Entstehung der Kohärenz zusammenhängt.

Im Experiment zeigt sich diese Kohärenz beispielsweise durch den Josephson-Effekt, bei dem der Strom proportional zur Phasendifferenz zweier supraleitender Kondensate ist:

I = I_c , \sin(\varphi)

Energie- und Temperaturabhängigkeit

Gap-Parameter und seine Temperaturabhängigkeit

Die Energielücke \Delta(T) ist eine zentrale Größe der Theorie. Bei Temperatur T=0 nimmt sie ihren Maximalwert an:

\Delta(0) \approx 1.76 , k_B T_c

Mit zunehmender Temperatur sinkt die Lücke kontinuierlich und verschwindet exakt bei der kritischen Temperatur T_c.

Die Temperaturabhängigkeit lässt sich mit der Gap-Gleichung berechnen. Das typische Verhalten ist charakteristisch für Supraleiter erster Art.

Kritische Temperatur und Übergangsverhalten

Die kritische Temperatur markiert den Phasenübergang zwischen normalleitendem und supraleitendem Zustand.

Die BCS-Theorie erlaubt die Berechnung von T_c aus der Dichte der Zustände an der Fermikante N(0) und der effektiven Kopplung V:

k_B T_c = 1.14 , \hbar \omega_D , \exp\Bigl(-\frac{1}{N(0)V}\Bigr)

Hier ist \omega_D die Debye-Frequenz. Diese exponentielle Abhängigkeit erklärt, warum Supraleitung oft nur bei tiefen Temperaturen beobachtet wird.

Vergleich mit experimentellen Daten

Die BCS-Theorie wurde in zahlreichen Experimenten überprüft. Besonders eindrucksvoll sind Tunneling-Messungen, die den Verlauf der Dichte der Zustände zeigen:

N_s(E) = N(0) , \frac{|E|}{\sqrt{E^2 - \Delta^2}}

Diese Vorhersage stimmt exzellent mit experimentellen Daten überein. Auch die Temperaturabhängigkeit der Wärmekapazität und des magnetischen Verhaltens ist durch die Theorie präzise beschrieben.

Quantentechnologische Implikationen

Supraleitung als makroskopischer Quantenzustand

Kohärente Elektronenpaare und Quantenphänomene

Die BCS-Theorie zeigt, dass Supraleitung nicht nur ein Effekt reduzierter Streuung ist, sondern die Manifestation eines makroskopischen Quantenzustandes. In diesem Zustand bilden Millionen von Elektronen Paare und treten in eine gemeinsame kohärente Wellenfunktion ein.

Diese Kohärenz äußert sich auf beeindruckende Weise in Quanteneigenschaften, die im makroskopischen Maßstab beobachtbar sind – etwa der Flussquantisierung oder der Interferenz supraleitender Ströme.

Ein besonders anschauliches Beispiel ist die Quantisierung des magnetischen Flusses durch einen supraleitenden Ring:

\Phi = n , \frac{h}{2e}

wobei n eine ganze Zahl ist. Dieses Resultat lässt sich unmittelbar aus der Phasenstarre der BCS-Wellenfunktion ableiten und stellt eine der direktesten Beobachtungen makroskopischer Quantenphänomene dar.

Josephson-Effekt als Konsequenz der BCS-Theorie

Ein weiteres fundamentales Phänomen, das aus der BCS-Theorie folgt, ist der Josephson-Effekt. Brian D. Josephson sagte 1962 voraus, dass zwischen zwei schwach gekoppelten Supraleitern ein Strom fließen kann, dessen Größe ausschließlich durch die Phasendifferenz \varphi bestimmt wird:

I = I_c , \sin(\varphi)

Hierbei ist I_c der kritische Strom, der von der Kopplungsstärke abhängt.

Dieser Gleichstrom-Josephson-Effekt bildet die Grundlage für viele quantentechnologische Anwendungen, wie Präzisionsspannungsstandards und supraleitende Qubits.

Daneben existiert auch der Wechselstrom-Josephson-Effekt, der bei einer angelegten Spannung V einen oszillierenden Strom erzeugt:

\nu = \frac{2eV}{h}

Beide Effekte wurden experimentell bestätigt und sind nur verständlich, wenn man Supraleitung als makroskopisch kohärenten Zustand auffasst – ein zentrales Resultat der BCS-Theorie.

Anwendungen in der Quantentechnologie

SQUIDs (Supraleitende Quanteninterferenzgeräte)

SQUIDs (Superconducting Quantum Interference Devices) sind extrem empfindliche Magnetometer, die auf der Interferenz von supraleitenden Strömen beruhen.

Ein typisches DC-SQUID besteht aus einem supraleitenden Ring mit zwei Josephson-Kontakten. Das eingekoppelte Magnetfeld ändert die Phasendifferenz an den Kontakten und moduliert den maximalen Strom periodisch.

Die Empfindlichkeit erreicht Werte bis zu einem Milliardstel des Erdmagnetfeldes. Die Funktionsweise lässt sich mit der Flussquantisierung erklären:

\Phi_{\text{tot}} = \Phi_{\text{ext}} + L I = n , \frac{h}{2e}

Hierbei ist L die Induktivität und \Phi_{\text{ext}} das äußere Magnetfeld.

SQUIDs werden in Geophysik, medizinischer Diagnostik (Magnetoenzephalografie) und in Grundlagenexperimenten der Quantenphysik eingesetzt.

Qubits auf Basis supraleitender Schaltkreise

Ein bedeutender Fortschritt in der Quantentechnologie war die Entwicklung supraleitender Qubits. Diese nutzen quantisierte Energieniveaus in supraleitenden Schaltungen, um definierte Zwei-Niveau-Systeme zu realisieren.

Ein wichtiger Typ ist der Transmon-Qubit, der aus einem Josephson-Kontakt und einem Shunt-Kondensator besteht. Die Energie des Systems wird beschrieben durch:

H = 4E_C (n - n_g)^2 - E_J \cos(\varphi)

Hierbei ist E_C die Ladungsenergie und E_J die Josephson-Energie. Die nichtlineare Potentialform erlaubt die Selektion von zwei Niveaus als Qubit-Zustände.

Solche Qubits sind besonders interessant, da sie durch supraleitende Kohärenz sehr geringe Verluste aufweisen und in großen Arrays integriert werden können. Viele moderne Quantencomputer-Prototypen – zum Beispiel die von Google und IBM – basieren auf diesen Architekturen.

Metrologische Standards (Flux-Quantisierung, Josephson-Spannungsnormal)

Die außergewöhnliche Präzision supraleitender Effekte wird auch in der Metrologie genutzt. Der Josephson-Effekt erlaubt es, Spannungen mit höchster Genauigkeit zu reproduzieren.

Die Frequenz-Spannungs-Relation:

\nu = \frac{2eV}{h}

verbindet elektrische Einheiten direkt mit fundamentalen Naturkonstanten. Daher wurde das Josephson-Spannungsnormal zum internationalen Standard für Spannungsmessungen.

Ebenso ermöglicht die Flussquantisierung die Realisierung exakter Magnetfeld-Referenzen. Diese Anwendungen illustrieren eindrucksvoll den Übergang von der Grundlagenphysik zu hochpräziser Technologie.

Hochtemperatursupraleitung und BCS

Grenzen der klassischen BCS-Theorie

Trotz ihres Erfolges stößt die klassische BCS-Theorie bei Hochtemperatursupraleitern an Grenzen. Materialien wie Kupferoxide (Cuprate) erreichen supraleitende Zustände bei Temperaturen bis über 130 Kelvin.

Solche Systeme besitzen starke elektronische Korrelationen und zeigen unkonventionelle Symmetrien der Paarungsfunktion, beispielsweise d-Wellen-Paarung:

\Delta(\mathbf{k}) \propto \cos k_x - \cos k_y

In diesen Fällen ist der Mechanismus der Paarbildung noch nicht vollständig verstanden und unterscheidet sich fundamental vom phononengekoppelten BCS-Szenario.

Parallelen und Unterschiede zu unkonventionellen Supraleitern

Trotz der Unterschiede gibt es auch Parallelen: Auch in unkonventionellen Supraleitern bilden sich kohärente Paare, die eine Energielücke öffnen. Die mathematische Struktur vieler Modelle lehnt sich an die BCS-Theorie an, wird jedoch durch kompliziertere Wechselwirkungen ergänzt.

Die Erforschung dieser Materialien hat zu zahlreichen Erweiterungen der Theorie geführt, zum Beispiel der Eliashberg-Theorie und Ansätzen der starken Kopplung.

Hochtemperatursupraleitung bleibt eines der spannendsten Gebiete moderner Physik – ein Feld, das zeigt, wie fruchtbar das Konzept der Cooper-Paar-Kondensation sein kann, selbst jenseits der klassischen BCS-Grenzen.

Mathematische Vertiefung

BCS-Hamiltonoperator

Formulierung der Hamiltonfunktion

Die mikroskopische Theorie der Supraleitung beginnt mit dem Hamiltonoperator für Elektronen in einem Festkörpergitter. Er enthält den kinetischen Anteil, das chemische Potential sowie die effektive Wechselwirkung, die durch den Phononenaustausch entsteht.

Der BCS-Hamiltonoperator lautet:

\hat{H} = \sum_{\mathbf{k}\sigma} \varepsilon_{\mathbf{k}} , c_{\mathbf{k}\sigma}^\dagger c_{\mathbf{k}\sigma} -\sum_{\mathbf{k}\mathbf{k}'} V_{\mathbf{k}\mathbf{k}'} , c_{\mathbf{k}\uparrow}^\dagger c_{-\mathbf{k}\downarrow}^\dagger c_{-\mathbf{k}'\downarrow} c_{\mathbf{k}'\uparrow}

Hierbei bezeichnet c_{\mathbf{k}\sigma}^\dagger den Erzeugungsoperator eines Elektrons mit Impuls \mathbf{k} und Spin \sigma.

Der erste Term beschreibt die kinetische Energie relativ zum chemischen Potential, der zweite die anziehende Wechselwirkung der Elektronenpaare.

Anomalische Mittelwerte und Wick-Theorem

Zur Lösung des Problems wird ein Mean-Field-Ansatz verwendet, bei dem die Vier-Operatoren-Terme durch Produkte von Erwartungswerten (Mittelwerten) ersetzt werden.

Dabei treten die sogenannten anomalischen Mittelwerte auf:

\langle c_{-\mathbf{k}\downarrow} , c_{\mathbf{k}\uparrow} \rangle

Diese Mittelwerte sind im normalen Zustand null, im supraleitenden Zustand jedoch ungleich null. Sie charakterisieren die Kohärenz der Cooper-Paare.

Das Wick-Theorem erlaubt die Näherung der Vier-Operatoren-Produkte durch Kombinationen aus Paar-Korrelationen und Einteilchen-Besetzungen, sodass der Hamiltonoperator quadratisch in den Fermionenoperatoren wird und analytisch lösbar ist.

Selbstkonsistente Gleichungen

Gap-Gleichung

Die zentrale Gleichung der BCS-Theorie ist die sogenannte Gap-Gleichung, die den Zusammenhang zwischen der Wechselwirkung, der Temperatur und der Energielücke beschreibt:

\Delta_{\mathbf{k}} = -\sum_{\mathbf{k}'} V_{\mathbf{k}\mathbf{k}'} , \frac{\Delta_{\mathbf{k}'}}{2 E_{\mathbf{k}'}} \tanh\Bigl( \frac{E_{\mathbf{k}'}}{2k_B T} \Bigr)

mit

E_{\mathbf{k}} = \sqrt{ (\varepsilon_{\mathbf{k}} - \mu)^2 + |\Delta_{\mathbf{k}}|^2 }

Diese Gleichung wird iterativ gelöst, um \Delta(T) zu bestimmen.

Besetzungswahrscheinlichkeiten

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zustand \mathbf{k} besetzt ist, ergibt sich aus der BCS-Verteilung:

v_{\mathbf{k}}^2 = \frac{1}{2}\Bigl(1 - \frac{\varepsilon_{\mathbf{k}} - \mu}{E_{\mathbf{k}}}\Bigr)

Analog ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Zustand unbesetzt bleibt:

u_{\mathbf{k}}^2 = \frac{1}{2}\Bigl(1 + \frac{\varepsilon_{\mathbf{k}} - \mu}{E_{\mathbf{k}}}\Bigr)

Diese Besetzungszahlen beschreiben die Aufweichung der Fermikante, die durch die Paarbildung entsteht.

Thermodynamische Potenziale

Mit den Quasiteilchenenergien kann auch das freie Energiepotential berechnet werden:

F = \langle H - \mu N \rangle - TS

Die Differenz der freien Energie zwischen dem supraleitenden und dem normalen Zustand ergibt die Kondensationsenergie, welche die Stabilität der Supraleitung charakterisiert:

E_{\text{cond}} = -\frac{1}{2} N(0)\Delta^2

Diese Größen sind wichtig für die Vorhersage von Sprüngen in der Wärmekapazität und anderen thermodynamischen Eigenschaften.

Zusammenhang zu Ginzburg-Landau- und London-Theorie

Ableitung makroskopischer Gleichungen aus BCS

Die Ginzburg-Landau-Theorie wurde ursprünglich phänomenologisch formuliert. Erstaunlicherweise lässt sie sich aus der BCS-Theorie als Näherung nahe der kritischen Temperatur herleiten.

Der Ginzburg-Landau-Ordnungsparameter \psi(\mathbf{r}) hängt direkt mit dem mikroskopischen Gap-Parameter zusammen:

\Delta(\mathbf{r}) \propto \psi(\mathbf{r})

Die freie Energie kann in Form einer Funktionalentwicklung dargestellt werden:

F[\psi] = \alpha |\psi|^2 + \frac{\beta}{2} |\psi|^4 + \frac{1}{2m^*}\bigl|\bigl(-i\hbar\nabla - 2e\mathbf{A}\bigr)\psi\bigr|^2

Diese Verbindung zeigt, dass makroskopische Theorien wie Ginzburg-Landau konsistent mit der BCS-Mikroskopie sind.

Kohärenzlänge und Penetrationstiefe

Zwei fundamentale Längenskalen charakterisieren Supraleiter:

  1. Kohärenzlänge \xi, die Größe eines Cooper-Paares:

\xi_0 = \frac{\hbar v_F}{\pi\Delta}

  1. London-Penetrationstiefe \lambda_L, die Eindringtiefe des Magnetfelds:

\lambda_L = \sqrt{\frac{m}{\mu_0 n_s e^2}}

Diese Größen sind entscheidend für die Einteilung in Typ-I- und Typ-II-Supraleiter und bestimmen das makroskopische Verhalten in Magnetfeldern.

Kritische Betrachtung und Weiterentwicklungen

Experimentelle Bestätigungen

Tunneling-Experimente (Giaever)

Einen Meilenstein in der experimentellen Überprüfung der BCS-Theorie markierten die Tunneling-Experimente von Ivar Giaever Anfang der 1960er Jahre. Er untersuchte den Strom, der durch eine dünne Isolatorschicht zwischen einem supraleitenden und einem normalen Metall fließt.

Das Tunneling-Diagramm zeigte eine charakteristische Spannungslücke, die direkt proportional zur Energielücke \Delta war. Der differentiellen Leitwert offenbarte eine sprunghafte Zunahme der Zustandsdichte bei eV = \Delta.

Diese Beobachtung entsprach exakt der BCS-Vorhersage für die Dichte der Zustände:

N_s(E) = N(0),\frac{|E|}{\sqrt{E^2 - \Delta^2}}

Für diesen experimentellen Beleg erhielt Giaever 1973 den Nobelpreis für Physik.

Messung der Energielücke

Neben den Tunneling-Experimenten wurden die Temperaturabhängigkeit und Größe der Energielücke auch durch Wärmekapazitäts- und Ultraschallabsorptionsexperimente bestätigt.

Die Messungen zeigen, dass die Energielücke mit der Temperatur exakt so abnimmt, wie es die Gap-Gleichung vorhersagt:

\Delta(T) \to 0 \quad \text{für}\quad T\to T_c^{-}

Außerdem konnten die Sprünge in der Wärmekapazität am Übergang punktgenau bestimmt werden – ein weiterer spektakulärer Erfolg der Theorie.

Isotopie-Effekt

Ein wichtiges Indiz für den phononengekoppelten Mechanismus der Supraleitung ist der Isotopie-Effekt: Er beschreibt die Abhängigkeit der kritischen Temperatur T_c von der Isotopenmasse M des Gitters:

T_c \propto M^{-\alpha}

mit \alpha\approx 0.5.

Dieser Effekt wurde bereits vor der BCS-Theorie beobachtet und war einer der Hauptgründe, phononengebundene Mechanismen zu vermuten. Die BCS-Theorie erklärt ihn elegant, da die Debye-Frequenz von der Masse abhängt:

\omega_D \propto M^{-1/2}

Erweiterungen der Theorie

Eliashberg-Theorie (starke Kopplung)

Die klassische BCS-Theorie geht von schwacher Elektron-Phonon-Kopplung aus. Für Materialien mit starker Kopplung musste die Theorie erweitert werden.

Die Eliashberg-Theorie berücksichtigt retardierte Wechselwirkungen und Frequenzabhängigkeit der Selbstenergie. Die zentrale Größe ist die Elektron-Phonon-Kopplungsfunktion \alpha^2F(\omega), die detaillierte Informationen über die Phononspektren enthält.

Die Eliashberg-Gleichungen sind komplex, liefern aber exzellente Vorhersagen für starke Supraleiter wie Blei oder Quecksilber. Damit schließt die Theorie wichtige Lücken der BCS-Approximation.

BCS-BEC-Crossover in ultrakalten Gasen

Eine völlig neue Perspektive ergab sich mit der experimentellen Realisierung ultrakalter Fermigase. Dort kann die Stärke der Anziehungskraft zwischen Atomen gezielt gesteuert werden, sodass ein Übergang vom BCS-ähnlichen Zustand zum Bose-Einstein-Kondensat (BEC) gebundener Moleküle entsteht.

Dieser BCS-BEC-Crossover verbindet zwei extreme Limits:

  • BCS-Limit: schwache Anziehung, große Paare, überlappende Wellenfunktionen
  • BEC-Limit: starke Anziehung, kompakte Moleküle, bosonische Kondensation

Die Theorie zeigt, dass beide Zustände kontinuierlich ineinander übergehen. Mathematisch bedeutet dies, dass die Kohärenzlänge \xi von sehr groß (BCS) zu sehr klein (BEC) wechselt.

Anwendungen in Astrophysik (Neutronensterne)

Auch in der Astrophysik hat die BCS-Theorie weitreichende Bedeutung. Im Inneren von Neutronensternen bilden Neutronen unter extrem hohem Druck Cooper-Paare, was zu einer Superfluidität führt.

Diese Superfluidität erklärt Phänomene wie die ungewöhnlich schnelle Abkühlung und die plötzlichen Rotationsänderungen („Glitches“) in Pulsaren.

Die Theorie wurde angepasst, um Paarungsmechanismen für Neutronen und Protonen in Kernmaterie zu beschreiben, was ein eindrucksvolles Beispiel für die universelle Anwendbarkeit des BCS-Konzepts ist.

Aktuelle Forschung und Ausblick

Supraleitung jenseits von BCS

Unkonventionelle Paarungsmechanismen

Obwohl die BCS-Theorie ein beispielloses Erfolgsmodell ist, reichen ihre Grundlagen nicht aus, um alle bekannten Supraleiter zu erklären. Besonders Hochtemperatursupraleiter zeigen Abweichungen von der klassischen BCS-Bildung durch Phononenaustausch.

In diesen Materialien spielen elektronische Korrelationen und magnetische Fluktuationen eine dominierende Rolle. Die Kopplung erfolgt wahrscheinlich über Spinfluktuationen anstelle von Phononen.

Diese unkonventionellen Mechanismen führen zu veränderten Symmetrien der Paarungsfunktion und zu komplexeren Phasenübergängen. Damit stellt sich die Frage nach einer verallgemeinerten Theorie, die sowohl konventionelle als auch unkonventionelle Supraleitung beschreibt.

d-Wellen-Supraleitung in Kupferoxiden

Ein herausragendes Beispiel unkonventioneller Supraleitung sind die Kupferoxid-Keramiken (Cuprate), die seit ihrer Entdeckung in den 1980er Jahren intensive Forschung anregen.

Diese Materialien zeigen supraleitende Zustände mit d-Wellen-Symmetrie der Energielücke:

\Delta(\mathbf{k}) \propto \cos k_x - \cos k_y

Das bedeutet, dass die Lücke je nach Richtung im Impulsraum ihr Vorzeichen wechselt und an bestimmten Punkten (den „Nodes“) verschwindet.

Dieses Verhalten führt zu einer linearen Temperaturabhängigkeit vieler Eigenschaften, beispielsweise der spezifischen Wärme und der thermischen Leitfähigkeit. Die BCS-Theorie bildet hier nur die Grundlage; weitergehende Modelle der starken Korrelationen sind notwendig.

Trotz der Unterschiede zeigt auch d-Wellen-Supraleitung, wie universell das Konzept der kohärenten Paarbildung ist – ein Vermächtnis der ursprünglichen BCS-Arbeit.

Quantentechnologische Perspektiven

Quantencomputer auf Basis supraleitender Qubits

Die Fortschritte in der kontrollierten Herstellung supraleitender Qubits haben die Vision eines skalierbaren Quantencomputers greifbar gemacht.

Hersteller wie IBM, Google und Rigetti bauen auf supraleitenden Schaltkreisen, deren fundamentale Grundlage die kohärente Paarbildung der BCS-Theorie ist.

Die supraleitenden Qubits nutzen die nichtlinearen Energieniveaus eines Josephson-Kontakts. Die Hamiltonfunktion lautet:

H = 4E_C(n - n_g)^2 - E_J\cos\varphi

Mit geeigneten Mikrowellenpulsen lassen sich kohärente Übergänge zwischen Qubit-Zuständen steuern. Diese Technik hat bereits Quantenprozessoren mit mehr als 100 Qubits hervorgebracht.

Topologische Supraleitung und Majorana-Zustände

Ein weiterer hochaktueller Forschungszweig beschäftigt sich mit topologischer Supraleitung. In geeigneten Materialien (z.B. Halbleiter-Nanodrähte mit Spin-Bahn-Kopplung) können supraleitende Zustände entstehen, die Majorana-Quasiteilchen an ihren Enden beherbergen.

Diese Majorana-Zustände sind nicht nur exotische Quantenobjekte, sondern gelten auch als Kandidaten für fehlertolerante Quanteninformation.

Ihr mathematisches Charakteristikum ist, dass der Operator der Majorana-Quasiteilchen selbstadjungiert ist:

\gamma^\dagger = \gamma

Topologische Supraleitung stellt eine aufregende Verbindung zwischen Festkörperphysik, Quanteninformation und Topologie her – ein Paradebeispiel für die modernen Erweiterungen des BCS-Paradigmas.

Hybridisierung mit anderen Quantensystemen (Spin-Qubits, Photonen)

Die Integration supraleitender Systeme mit anderen Quantentechnologien ist ein weiterer bedeutender Trend.

Beispiele sind:

  • Kopplung von supraleitenden Resonatoren mit Spin-Qubits in Diamant
  • Schaffung hybrider Systeme, in denen supraleitende Qubits mit Mikrowellen-Photonen gekoppelt sind
  • Nutzung supraleitender Bauteile als Schnittstelle zwischen optischen und elektrischen Quantensystemen

Diese Entwicklungen zeigen, dass Supraleitung als Plattform für komplexe Quantennetzwerke dient – ein Bereich, in dem die Grundprinzipien der BCS-Theorie weiterhin von zentraler Bedeutung sind.

Fazit

Würdigung der BCS-Theorie als Meilenstein der modernen Physik

Die BCS-Theorie markiert einen der größten intellektuellen Erfolge der theoretischen Physik des 20. Jahrhunderts. Sie verbindet erstmals die Konzepte der Quantenmechanik mit der Vielteilchentheorie zu einem Modell, das sowohl die mikroskopischen Ursachen der Supraleitung als auch ihre makroskopischen Phänomene erklärt.

Indem sie zeigte, dass Elektronen trotz der Fermistatistik durch attraktive Wechselwirkungen in kohärente Paare kondensieren können, schuf die Theorie ein völlig neues Paradigma. Viele Experimente – vom Tunneling bis zur Messung der Wärmekapazität – bestätigten ihre Vorhersagen mit beeindruckender Präzision.

Dass sich makroskopische Objekte wie Supraleiter durch eine einzige Wellenfunktion beschreiben lassen, gilt bis heute als anschauliches Beispiel für den Reichtum quantenmechanischer Vielteilcheneffekte.

Bedeutung für grundlegende Erkenntnisse und technologische Innovationen

Die BCS-Theorie hat nicht nur das Verständnis der Materie revolutioniert, sondern auch ein Fundament für Technologien gelegt, die heute weltweit im Einsatz sind:

  • Josephson-Kontakte ermöglichen hochpräzise Spannungsnormale.
  • SQUIDs erreichen bisher unvorstellbare Sensitivität bei der Magnetfeldmessung.
  • Supraleitende Qubits bilden eine der führenden Architekturen für Quantencomputer.

Überall zeigt sich: Das Konzept kohärenter Cooper-Paare schafft die Basis, um makroskopische Quantenzustände zu generieren und zu kontrollieren.

Darüber hinaus inspirierte die Theorie zahlreiche Verallgemeinerungen – von der Eliashberg-Theorie bis zum Verständnis unkonventioneller Supraleiter. Sie zeigt exemplarisch, wie tiefes theoretisches Verständnis zu praktischen Innovationen führen kann.

Offene Fragen und künftige Entwicklungen

Trotz aller Erfolge sind viele Fragen weiterhin offen:

  • Wie genau funktionieren unkonventionelle Paarungsmechanismen in Hochtemperatursupraleitern?
  • Lässt sich der BCS-Mechanismus in völlig neuen Materialsystemen – etwa topologischen Supraleitern – noch erweitern?
  • Welche Rolle spielt Supraleitung in hybriden Quantenarchitekturen der Zukunft?

Die Suche nach supraleitenden Materialien mit höheren kritischen Temperaturen, größerer Robustheit und besserer Integration in Quanteninformationssysteme ist eine der spannendsten Aufgaben der aktuellen Forschung.

Es steht außer Frage: Die BCS-Theorie hat eine ganze Ära geprägt – und sie bleibt Ausgangspunkt für zahlreiche Entwicklungen, die die Quantentechnologie auch im 21. Jahrhundert entscheidend voranbringen werden.

Mit freundlichen Grüßen Jörg-Owe Schneppat


Literaturverzeichnis

Wissenschaftliche Zeitschriften und Artikel

  • Bardeen, J.; Cooper, L. N.; Schrieffer, J. R. (1957).
    Theory of Superconductivity.
    Physical Review, 108(5), 1175–1204.
    – Der klassische Originalartikel, in dem die BCS-Theorie erstmals vollständig dargestellt wird, inklusive Herleitung der Gap-Gleichung und Diskussion der thermodynamischen Konsequenzen.
  • Cooper, L. N. (1956).
    Bound Electron Pairs in a Degenerate Fermi Gas.
    Physical Review, 104(4), 1189–1190.
    – Die wegweisende Arbeit, in der das Konzept der Cooper-Paare eingeführt wurde, als Basis für die spätere Theorie.
  • Giaever, I. (1960).
    Energy Gap in Superconductors Measured by Electron Tunneling.
    Physical Review Letters, 5(4), 147–148.
    – Erste experimentelle Bestätigung der Energielücke durch Tunneling-Messungen, Nobelpreis-gekrönt.
  • Eliashberg, G. M. (1960).
    Interactions between electrons and lattice vibrations in a superconductor.
    Soviet Physics JETP, 11, 696–702.
    – Fundamentale Erweiterung der BCS-Theorie für starke Kopplungseffekte, Grundlage der Eliashberg-Theorie.
  • Anderson, P. W. (1959).
    Theory of dirty superconductors.
    Journal of Physics and Chemistry of Solids, 11(1–2), 26–30.
    – Diskussion der Robustheit der Supraleitung bei Unordnung und Implikationen für Experimente.
  • Josephson, B. D. (1962).
    Possible new effects in superconductive tunnelling.
    Physics Letters, 1(7), 251–253.
    – Theoretische Vorhersage des Josephson-Effekts auf Basis der BCS-Kohärenz.
  • Scalapino, D. J. (1969).
    The Electron-Phonon Interaction and Strong-Coupling Superconductors.
    In R. D. Parks (Ed.), Superconductivity (Band 1, S. 449–560). Marcel Dekker.
    – Umfassende Übersicht über den Einfluss starker Kopplung und experimentelle Vergleiche.
  • Tsuei, C. C.; Kirtley, J. R. (2000).
    Pairing symmetry in cuprate superconductors.
    Reviews of Modern Physics, 72(4), 969–1016.
    – Übersicht zu d-Wellen-Paarung und Hochtemperatursupraleitung als Beispiel unkonventioneller Mechanismen.
  • Leggett, A. J. (1980).
    Diatomic Molecules and Cooper Pairs.
    Modern Physics Letters B, 1(1), 1–13.
    – Diskussion des BCS-BEC-Crossovers und der Übergänge zwischen schwach und stark gebundenen Paaren.

Bücher und Monographien

  • Schrieffer, J. R. (1964).
    Theory of Superconductivity.
    W. A. Benjamin. (Mehrere Auflagen, z.B. Perseus Books, 1999.)
    – Klassiker und Standardwerk, verfasst vom Mitentwickler der Theorie, didaktisch hervorragend.
  • Tinkham, M. (1996).
    Introduction to Superconductivity. (2. Auflage)
    McGraw-Hill.
    – Sehr einflussreiche Einführung mit detaillierter Darstellung der BCS-Theorie und experimenteller Bestätigungen.
  • de Gennes, P. G. (1999).
    Superconductivity of Metals and Alloys.
    Westview Press.
    – Tiefgehende Behandlung theoretischer Grundlagen und Übergang zu Ginzburg-Landau-Gleichungen.
  • Annett, J. F. (2004).
    Superconductivity, Superfluids and Condensates.
    Oxford University Press.
    – Überblick über das BCS-Konzept im Vergleich zu Superfluidität und Bose-Kondensation.
  • Carbotte, J. P. (1990).
    Properties of boson-exchange superconductors.
    Reviews of Modern Physics, 62(4), 1027–1157.
    – Vertiefende Darstellung der Eliashberg-Theorie und ihrer Anwendungen.
  • Grosso, G.; Parravicini, G. P. (2014).
    Solid State Physics. (2. Auflage)
    Academic Press.
    – Moderne Darstellung der Festkörperphysik mit ausführlichen Kapiteln zur BCS-Theorie.
  • Altland, A.; Simons, B. (2010).
    Condensed Matter Field Theory.
    Cambridge University Press.
    – Fortgeschrittene Feldtheoretische Herleitung der BCS-Gleichungen und Zusammenhang mit Symmetriebrechung.

Online-Ressourcen und Datenbanken

  • arXiv.org – Condensed Matter Archive
    – Preprint-Server mit tausenden Artikeln zu konventioneller und unkonventioneller Supraleitung, frei zugänglich.
    https://arxiv.org/archive/cond-mat
  • NIST – National Institute of Standards and Technology
    – Materialien-Datenbanken und präzise tabellierte Eigenschaften supraleitender Materialien, inkl. kritischer Temperaturen.
    https://www.nist.gov
  • The Superconductivity Information Center
    – Umfangreiche Materialübersichten, historische Ressourcen und technische Datenblätter.
    http://www.superconductors.org
  • APS Journals – Physical Review B & Letters
    – Volltextzugang zu den Originalartikeln der BCS-Entwicklungsgeschichte und aktuellen Forschungsarbeiten.
    https://journals.aps.org
  • Nature Reviews Physics & Nature Materials
    – Regelmäßig erscheinende Übersichtsartikel über Hochtemperatursupraleiter, unkonventionelle Paarung und topologische Supraleitung.
    https://www.nature.com/physics