Die Einstein-Rosen-Brücke (ER), oft als Wurmloch oder Brücke zwischen Raumzeiten bezeichnet, gehört zu den faszinierendsten Konzepten der theoretischen Physik. Ihre Anziehungskraft speist sich aus dem Bestreben, das Wesen der Gravitation mit den fundamentalen Prinzipien der Quantenmechanik zu verknüpfen und damit einen tieferen Einblick in die Struktur der Wirklichkeit zu erlangen. Diese Abhandlung verfolgt das Ziel, die historische Entwicklung, die theoretischen Grundlagen und die quantentechnologischen Implikationen der Einstein-Rosen-Brücke in einer integrierten Darstellung zusammenzuführen.
Historische Verortung: Relativitätstheorie und die Suche nach der Brücke
Genesis der Idee durch Einstein und Rosen (1935)
Im Jahr 1935 veröffentlichten Albert Einstein und sein Mitarbeiter Nathan Rosen ihre berühmte Arbeit „The Particle Problem in the General Theory of Relativity“. In diesem Beitrag führten sie die heute als Einstein-Rosen-Brücke bezeichnete mathematische Konstruktion ein. Sie verfolgten dabei zunächst das Ziel, Singularitäten in der Schwarzschild-Lösung der Allgemeinen Relativitätstheorie zu vermeiden und die Vorstellung eines Teilchens ohne Singularität zu etablieren.
Die Schwarzschild-Lösung beschreibt das Gravitationsfeld einer punktförmigen, nicht rotierenden Masse. Sie führt zur Metrik:
ds^2 = -\left(1 - \frac{2GM}{r}\right) c^2 dt^2 + \left(1 - \frac{2GM}{r}\right)^{-1} dr^2 + r^2 d\Omega^2
mit d\Omega^2 als dem Winkelanteil der Raumzeit. An der Stelle r = 2GM/c^2 tritt der Ereignishorizont auf, während bei r = 0 eine echte Singularität liegt.
Einstein und Rosen zeigten, dass durch eine koordinatentransformierte Erweiterung der Lösung eine „Brücke“ entsteht, die zwei asymptotisch flache Raumzeiten miteinander verbindet. Diese Konstruktion war ursprünglich als Modell für ein Elementarteilchen gedacht, nicht als Passageweg zwischen Universen.
Motivation: Vereinheitlichung von Gravitation und Quantenfeld
Die Entstehungsidee der Einstein-Rosen-Brücke ist untrennbar mit dem Streben nach einer umfassenden Theorie der Naturkräfte verbunden. Einstein war überzeugt, dass die Gravitation und das elektromagnetische Feld in einem geometrischen Rahmen verschmelzen lassen seien. Die Brückenkonstruktion sollte nicht nur eine geometrische Lösung darstellen, sondern auch einen ersten Schritt zur Überwindung der Kluft zwischen der klassischen Gravitation und den Quantenphänomenen bilden.
Diese Vision lässt sich im Kontext der Quantentechnologie als ein Vorläufer jener Ideen interpretieren, die heute unter Begriffen wie Holografisches Prinzip, ER=EPR-Vermutung und Quantenverschränkung weiterentwickelt werden. Die Einstein-Rosen-Brücke markiert damit einen historischen Scheidepunkt, an dem sich klassische Geometrie und frühe Quantenideen zu berühren beginnen.
Erste Rezeption und Missverständnisse
Schon kurz nach Veröffentlichung der Arbeit stieß das Konzept auf ein breites Echo. Doch während die ursprüngliche Intention Einsteins und Rosens darin lag, Singularitäten zu vermeiden, entwickelte sich bald eine andere Lesart: die Deutung als Tunnel oder Verbindung zweier getrennter Bereiche der Raumzeit.
In populärwissenschaftlichen Darstellungen wurde die Einstein-Rosen-Brücke häufig als begehbarer Tunnel interpretiert. Dieses Bild ist jedoch irreführend, denn in der klassischen Relativitätstheorie ist die Brücke nicht stabil und nicht traversierbar. Jede Materie, die versucht, den Hals der Brücke zu durchqueren, würde beim Kollaps der Raumzeitgrenze erfasst.
Erst Jahrzehnte später – insbesondere durch die Arbeiten von Morris, Thorne und Yurtsever in den 1980er Jahren – kam die Vorstellung auf, dass exotische Materie mit negativer Energiedichte solche Brücken stabilisieren könnte. Damit eröffnete sich ein neues Forschungsfeld, das über die ursprüngliche Idee weit hinauswuchs.
Ziel und Fragestellung der Abhandlung
Fokus auf quantentechnologische Perspektiven
Die vorliegende Abhandlung nimmt bewusst einen modernen Blickwinkel ein: Sie betrachtet die Einstein-Rosen-Brücke nicht nur als mathematische Kuriosität, sondern als potenziell bedeutsames Konzept für Quanteninformation und Quantentechnologien. Das zentrale Anliegen ist, das Spannungsfeld zwischen Gravitation und Quantenmechanik auszuloten und mögliche Konsequenzen für die Entwicklung künftiger quantenbasierter Technologien aufzuzeigen.
Dazu gehört insbesondere die Frage, inwiefern Verschränkung und geometrische Strukturen wie Wurmlöcher zusammenhängen könnten. Die Idee der Verbindung zwischen Quanteninformation und Raumzeit – verdichtet in der Formel ER=EPR – stellt einen revolutionären Ansatz dar, der weitreichende Auswirkungen auf Quantenkommunikation und Kryptografie haben könnte.
Forschungsfragen: Sind ER-Brücken physikalisch realisierbar?
Ausgehend von der historischen und theoretischen Grundlage richtet sich der Fokus dieser Abhandlung auf mehrere Kernfragen:
- Unter welchen Bedingungen sind Einstein-Rosen-Brücken physikalisch konsistent?
- Welche Rolle spielen Quanteneffekte bei ihrer Stabilisierung?
- Ist es denkbar, Wurmlöcher für Informationsübertragung oder Teleportation zu nutzen?
- Wie unterscheiden sich die klassischen und quantenmechanischen Interpretationen?
Diese Fragen führen in den Grenzbereich zwischen theoretischer Physik und angewandter Quantentechnologie. Es wird untersucht, ob die mathematischen Strukturen der Einstein-Rosen-Brücke in eine operative Bedeutung übersetzt werden können.
Relevanz für Quantenverschränkung und Informationsparadox
Ein zentraler Aspekt betrifft das Schwarze Loch-Informationsparadox, das sich aus der Hawking-Strahlung ergibt. Die Frage, ob Information beim Verdampfen eines Schwarzen Lochs verloren geht, stellt eine der größten Herausforderungen der theoretischen Physik dar. Die Hypothese, dass Verschränkung und Wurmlöcher zwei Seiten derselben Medaille sein könnten, eröffnet eine neue Perspektive: Möglicherweise erlaubt die Geometrie der Raumzeit einen Mechanismus, wie Information erhalten bleibt.
Darüber hinaus rücken Konzepte wie Quantenverschränkung, Teleportation und die Quantengravitation in den Mittelpunkt. Sie bilden nicht nur die Grundlage für neue Theorien, sondern auch für praktische Ansätze in der Quantenkommunikation.
Theoretische Grundlagen der Einstein-Rosen-Brücke
Die wissenschaftliche Bedeutung der Einstein-Rosen-Brücke beruht auf der Verschmelzung von Raumzeitgeometrie und der Idee, dass die Gravitation die Topologie des Kosmos tiefgreifend beeinflussen kann. Um diese Konzepte zu verstehen, bedarf es zunächst einer präzisen Darstellung der mathematischen Grundlage: der Allgemeinen Relativitätstheorie. Dieses Kapitel legt dar, wie aus Einsteins Feldgleichungen jene Strukturen hervorgehen, die wir heute als Wurmlöcher oder Brücken bezeichnen.
Allgemeine Relativitätstheorie: Das Fundament der Brücken-Geometrie
Geodätische Strukturen in gekrümmter Raumzeit
Die Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt Gravitation nicht als Kraft im klassischen Sinn, sondern als Krümmung der Raumzeit. Materie und Energie bestimmen diese Krümmung, während sich Objekte entlang Geodäten bewegen, also Linien, die in der gekrümmten Geometrie den kürzesten Weg darstellen. Mathematisch formuliert wird die Krümmung durch den metrischen Tensor g_{\mu\nu}, der in den Einstein-Feldgleichungen auftritt:
G_{\mu\nu} + \Lambda g_{\mu\nu} = \frac{8\pi G}{c^4} T_{\mu\nu}
Hierbei bezeichnet G_{\mu\nu} den Einstein-Tensor, \Lambda die kosmologische Konstante und T_{\mu\nu} den Energie-Impuls-Tensor.
Diese Gleichungen erlauben eine Vielzahl exakter Lösungen. Unter bestimmten Symmetrien, etwa der Kugelsymmetrie, ergibt sich die Schwarzschild-Metrik, die als Basis vieler Überlegungen zu Wurmlöchern dient.
Schwarzschild-Metrik als Basislösung
Die Schwarzschild-Lösung beschreibt das Gravitationsfeld eines statischen, nicht geladenen Massenpunktes. Die Metrik lautet:
ds^2 = -\left(1 - \frac{2GM}{r c^2}\right)c^2 dt^2 + \left(1 - \frac{2GM}{r c^2}\right)^{-1} dr^2 + r^2 d\theta^2 + r^2 \sin^2\theta , d\phi^2
Diese Lösung weist zwei signifikante Bereiche auf:
- Den Ereignishorizont bei r = r_s = \frac{2GM}{c^2}, der die Grenze des Schwarzen Lochs definiert.
- Die zentrale Singularität bei r = 0.
Die Schwarzschild-Metrik ist in den üblichen Koordinaten am Horizont scheinbar singulär. Doch durch eine geeignete Transformation, wie sie Kruskal und Szekeres in den 1960er Jahren entwickelten, lässt sich zeigen, dass die Singularität am Horizont nur eine Koordinatenartefakt ist. Diese erweiterte Darstellung zeigt, dass die Raumzeit aus zwei Regionen besteht, die über den sogenannten Einstein-Rosen-Hals miteinander verbunden sind.
Die Originalarbeit von Einstein und Rosen (1935)
Mathematische Konstruktion der Brücke
Einstein und Rosen suchten 1935 nach einer Lösung der Feldgleichungen, die die Singularität bei r=0 vermeidet. Sie führten eine neue Koordinate u ein, definiert durch:
r = \sqrt{u^2 + r_s^2}
Setzt man diese Transformation in die Schwarzschild-Metrik ein, so verschwindet der Bereich r < r_s, und es entsteht ein doppelter Raumzeitbereich, der symmetrisch um u=0 liegt. Der Wert u=0 entspricht dem minimalen Radius der Brücke – dem „Hals“.
Einstein und Rosen interpretierten diesen Hals als „Verbindung“ zweier identischer Raumzeiten, die asymptotisch flach sind. Die Brücke ist also keine Singularität, sondern eine topologische Besonderheit.
In ihrer Arbeit formulierten sie das Ziel, auf diese Weise eine nicht-singuläre Beschreibung von Teilchen zu erreichen. Ihre Konstruktion wurde zunächst nicht als Durchgang (Tunnel) verstanden, sondern als statisches Modell.
Konzept der „nicht singulären“ Verbindung zweier Universen
Das grundlegende Motiv lag in der Hoffnung, dass solche Brücken die Struktur eines Materieteilchens geometrisch repräsentieren könnten. Damit wären Punktmassen ohne Singularität erklärbar, was aus Einsteins Sicht eine tiefere Vereinheitlichung der Physik bedeutet hätte.
In moderner Sprache handelt es sich bei der Einstein-Rosen-Brücke um ein maximales analytisches Fortsetzen der Schwarzschild-Lösung. In der Kruskal-Szekeres-Darstellung ist dies besonders anschaulich, denn dort wird klar, dass zwei asymptotisch flache Bereiche existieren, die durch den Hals verbunden sind.
Diese Interpretation eröffnet eine faszinierende Perspektive: Die Raumzeit ist nicht einfach zusammenhängend, sondern besteht aus Regionen, die durch eine Art Tunnel strukturiert sind.
Topologische Aspekte und Raumzeit-Strukturen
Wurmlöcher vs. ER-Brücke
In der heutigen Terminologie wird häufig nicht sauber unterschieden zwischen der Einstein-Rosen-Brücke und dem allgemeinen Konzept des Wurmlochs. Streng genommen ist die Einstein-Rosen-Brücke ein spezielles Beispiel eines Wurmlochs, das jedoch in der klassischen Relativitätstheorie nicht stabil ist.
Ein traversierbares Wurmloch erfordert Materie mit negativer Energiedichte (exotische Materie), um den Hals offen zu halten. Das Modell von Einstein und Rosen erfüllt diese Bedingung nicht – es kollabiert sofort, wenn Materie hindurchzutreten versucht.
Der Unterschied lässt sich vereinfacht so formulieren:
- Einstein-Rosen-Brücke: Lösung der Schwarzschild-Metrik, nicht traversierbar.
- Traversierbares Wurmloch: Stabil durch exotische Materie.
Die Trennung dieser Begriffe ist wesentlich, um Missverständnisse zu vermeiden.
Traversierbarkeit und Stabilitätsprobleme
Die Traversierbarkeit einer Brücke ist eine zentrale physikalische Frage. Morris und Thorne zeigten 1988, dass die Stabilität des Halses nur dann gewährleistet ist, wenn die sogenannte schwache Energiebedingung verletzt wird, was in der klassischen Physik nicht vorkommt.
Mathematisch bedeutet dies, dass der Energie-Impuls-Tensor T_{\mu\nu} Bedingungen verletzt wie:
T_{\mu\nu} u^\mu u^\nu \ge 0
für alle zeitartigen Vektoren u^\mu. Mit Quanteneffekten wie dem Casimir-Effekt könnten diese Bedingungen jedoch lokal verletzt werden.
Damit ergibt sich ein bedeutsames Spannungsfeld zwischen klassischer Geometrie und Quantenfluktuationen. Die Stabilität der Einstein-Rosen-Brücke – und jedes Wurmlochs – ist letztlich nur in einer quantengravitativen Theorie abschließend zu klären.
Dieses Kapitel hat gezeigt, dass die Einstein-Rosen-Brücke aus den Grundgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie folgt, aber in ihrer klassischen Form weder durchquerbar noch stabil ist. Erst die Quantenphysik eröffnet hier neue Perspektiven, die in den kommenden Abschnitten eingehend behandelt werden.
ER-Brücken im Kontext der Quantentheorie
Die Quantenmechanik verändert unsere Sichtweise auf Raumzeitgrundlagen grundlegend. Während die Allgemeine Relativitätstheorie eine glatte, kontinuierliche Geometrie beschreibt, postuliert die Quantenphysik Fluktuationen und Nichtlokalität. Genau in diesem Spannungsfeld werden Einstein-Rosen-Brücken zu einem faszinierenden Bindeglied: Sie könnten der Schlüssel sein, Gravitation und Quanteninformation in einer konsistenten Theorie zu vereinen.
Quantenmechanische Implikationen von Wurmlöchern
Quantenfluktuationen in der Nähe des Ereignishorizonts
In klassischen Modellen wirkt der Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs wie eine absolute Grenze. Doch die Quantentheorie offenbart, dass in unmittelbarer Nähe des Horizonts intensive Quantenfluktuationen auftreten. Diese Fluktuationen entstehen durch virtuelle Teilchen-Antiteilchen-Paare, die nach der Heisenbergschen Unschärferelation ständig aus dem Vakuum entstehen und wieder verschwinden.
Die Energieunschärfe lässt sich ausdrücken als:
\Delta E \cdot \Delta t \ge \frac{\hbar}{2}
Diese Vakuumfluktuationen bilden die Grundlage für die Hawking-Strahlung und haben tiefgreifende Konsequenzen für die Stabilität und den Informationsfluss in Wurmlöchern.
In der Nähe einer Einstein-Rosen-Brücke verschmelzen diese Phänomene mit der Raumzeitkrümmung. Das führt zu der Frage, ob Quanteneffekte den Kollaps des Wurmlochs verzögern oder verhindern könnten.
Hawking-Strahlung und Informationsparadox
Stephen Hawking zeigte in den 1970er Jahren, dass Schwarze Löcher thermische Strahlung aussenden. Die Temperatur eines Schwarzen Lochs ist gegeben durch:
T_H = \frac{\hbar c^3}{8\pi G M k_B}
Diese Strahlung führt langfristig zur Verdampfung des Schwarzen Lochs. Damit entsteht das Informationsparadox: Wenn die abgestrahlte Strahlung rein thermisch ist, scheint sie keine Information über die einfallende Materie zu enthalten. Das verletzt die Grundprinzipien der Quantenmechanik, insbesondere die Unitarität.
Wurmlöcher – oder spezifisch: Einstein-Rosen-Brücken – könnten einen Weg darstellen, Information aus dem Inneren eines Schwarzen Lochs nach außen zu transportieren. Die Idee lautet, dass die Verschränkung zwischen den Enden einer Brücke Informationsflüsse ermöglicht, die sonst unmöglich erscheinen. Diese Hypothese wird in der berühmten Formel ER=EPR zusammengefasst.
ER=EPR: Die Hypothese von Maldacena und Susskind
Verknüpfung von Einstein-Rosen-Brücken mit EPR-Verschränkung
2013 schlugen Juan Maldacena und Leonard Susskind vor, dass Einstein-Rosen-Brücken (ER) und die Einstein-Podolsky-Rosen-Verschränkung (EPR) zwei Manifestationen desselben Prinzips sind. Diese Hypothese, bekannt als ER=EPR, postuliert, dass jede Verschränkung zwischen zwei Quantenobjekten als mikroskopisches Wurmloch interpretiert werden kann.
In dieser Sichtweise bildet ein verschränktes Paar Schwarzer Löcher eine Einstein-Rosen-Brücke. Die Verschränkung könnte somit geometrisch „verkörpert“ sein. Der Informationsfluss zwischen verschränkten Teilchen wäre dann keine Fernwirkung, sondern ein Transport durch eine nicht-traversierbare Brücke.
Die zentrale Idee lautet:
- Verschränkung ist Geometrie.
- Nichtlokalität ist Topologie.
Dies verleiht dem Konzept der Wurmlöcher eine neue Relevanz: Statt reiner Rechentricks könnten sie fundamentale Bausteine der Realität darstellen.
Philosophische und physikalische Konsequenzen
ER=EPR hat erhebliche Implikationen:
- Die Trennung zwischen Raumzeitgeometrie und Quanteninformation wird aufgehoben.
- Verschränkung wird nicht nur als abstraktes Phänomen verstanden, sondern als physische Verbindung.
- Das Informationsparadox könnte durch solche „unsichtbaren Tunnel“ gelöst werden.
Philosophisch stellt sich die Frage: Ist Raumzeit emergent aus Quanteninformation? Könnte es sein, dass die topologische Struktur aller Raumzeit aus dem Netzwerk von Verschränkungen entsteht?
Physikalisch eröffnet diese Sichtweise ein Forschungsfeld, das Gravitation, Quantenfeldtheorie und Informationstheorie vereint.
Holografisches Prinzip und AdS/CFT-Korrespondenz
Bedeutung für die Vereinheitlichung von Gravitation und Quantenmechanik
Das holografische Prinzip, entwickelt von Gerard ’t Hooft und Leonard Susskind, besagt, dass alle Informationen in einem Raumvolumen durch eine Theorie auf dessen Rand beschrieben werden können. Es manifestiert sich eindrucksvoll in der AdS/CFT-Korrespondenz:
- Anti-de-Sitter-Raum (AdS): Eine Raumzeit mit negativer kosmologischer Konstante.
- Conformal Field Theory (CFT): Eine Quantenfeldtheorie auf dem Rand dieses Raumes.
Die AdS/CFT-Dualität, formuliert von Juan Maldacena, zeigt, dass Gravitation in AdS äquivalent ist zu einer nicht-gravitativen Quantenfeldtheorie auf dem Rand. Wurmlöcher in der Bulk-Geometrie könnten so durch Verschränkungsstrukturen in der CFT repräsentiert sein.
Diese Verbindung ist zentral, um Wurmlöcher als physikalisch konsistente Objekte zu begreifen.
Quanteninformation und Entropie
Die AdS/CFT-Korrespondenz legt nahe, dass Entropie und Quanteninformation eng mit der Geometrie von Raumzeit verknüpft sind. Ein berühmtes Resultat ist die Ryu-Takayanagi-Formel:
S_A = \frac{\mathrm{Area}(\gamma_A)}{4 G \hbar}
Sie besagt: Die Entropie S_A eines Teilbereichs A der Grenztheorie entspricht der Fläche einer minimalen Oberfläche \gamma_A in der Bulk-Geometrie.
Dieses Resultat deutet darauf hin, dass Verschränkung der „Klebstoff“ der Raumzeit ist. Wurmlöcher erscheinen dann nicht als exotische Ausnahmen, sondern als natürliche Konsequenz der Quantentheorie.
Traversierbare Wurmlöcher: Theoretische Entwicklungen
Nachdem die klassische Einstein-Rosen-Brücke in der Allgemeinen Relativitätstheorie nicht stabil und nicht passierbar ist, begannen Physiker in den 1980er Jahren, alternative Modelle zu erforschen. Sie wollten verstehen, ob Wurmlöcher prinzipiell stabil existieren und als „Tunnel“ genutzt werden könnten. Dieses Kapitel beleuchtet die entscheidenden theoretischen Fortschritte und ihre Implikationen.
Morris-Thorne-Wurmlöcher
Traversierbarkeit durch exotische Materie
1988 veröffentlichten Michael Morris und Kip Thorne ihre wegweisende Arbeit über traversierbare Wurmlöcher. Ziel war es, eine Lösung der Einstein-Gleichungen zu finden, die stabil bleibt und prinzipiell von Reisenden durchquert werden kann.
Ihre Ansatzmetrik hat die Form:
ds^2 = - e^{2\Phi(r)} c^2 dt^2 + \frac{dr^2}{1 - \frac{b(r)}{r}} + r^2 (d\theta^2 + \sin^2\theta , d\phi^2)
Hierbei gilt:
- \Phi(r) ist das Rotschichtpotential.
- b(r) ist die Formfunktion, die das Profil des Wurmlochs beschreibt.
Damit ein Wurmloch passierbar ist, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
- Kein Ereignishorizont (\Phi(r) muss endlich sein).
- Ein minimaler Radius (der „Hals“) bei r = r_0, mit b(r_0) = r_0.
Diese Bedingungen führen direkt zu einer exotischen Anforderung an die Materie: Um die Geometrie offen zu halten, ist eine Form von Materie mit negativer Energiedichte erforderlich.
Energiebedingungen der Allgemeinen Relativitätstheorie
Die schwache Energiebedingung lautet:
T_{\mu\nu} u^\mu u^\nu \ge 0
für alle zeitartigen Vektoren u^\mu. Sie bedeutet physikalisch, dass die Energiedichte in jedem Bezugssystem nicht negativ sein darf.
Morris und Thorne zeigten, dass traversierbare Wurmlöcher diese Bedingung verletzen müssen. Das war eine radikale Erkenntnis, denn in der klassischen Physik gibt es keine bekannte Materie, die so wirkt.
Dennoch existieren Szenarien in der Quantentheorie, in denen solche Verletzungen auftreten – etwa beim Casimir-Effekt oder in bestimmten Feldern mit ungewöhnlichen Vakuumzuständen.
Quanteneffekte zur Stabilisierung
Casimir-Energie als Stabilisator
Der Casimir-Effekt tritt zwischen leitenden Platten im Vakuum auf und erzeugt eine messbare negative Energiedichte. Er wurde 1948 theoretisch beschrieben und später experimentell bestätigt.
Die Energiedichte zwischen zwei ideal leitenden Platten mit Abstand a lautet:
\rho = -\frac{\pi^2 \hbar c}{720 , a^4}
Dies liefert ein konkretes Beispiel für Materie, die die schwache Energiebedingung verletzt. Daher wird diskutiert, ob Casimir-artige Effekte in kosmischen Maßstäben als Stabilisator wirken könnten.
Allerdings sind diese Effekte extrem klein. In Modellen, die Wurmlöcher stabilisieren sollen, wären Energiedichten von gewaltiger Größenordnung nötig, was ihre Realisierbarkeit in Frage stellt.
Quantengravitative Szenarien
Ein alternativer Ansatz besteht darin, Wurmlöcher in einer Theorie der Quantengravitation zu betrachten. In solchen Szenarien könnten Vakuumfluktuationen auf Planck-Skala spontan Wurmlöcher erzeugen. Einige Modelle postulieren ein „Schaum“-artige Struktur der Raumzeit („Spacetime Foam“), in dem mikroskopische Wurmlöcher ständig entstehen und wieder verschwinden.
In der Schleifenquantengravitation oder in Stringtheorien sind derartige Strukturen prinzipiell denkbar, wenn auch bisher nicht experimentell zugänglich.
Diese Konzepte zeigen, dass Quanteneffekte den Bereich des Möglichen erweitern – auch wenn die praktische Nutzbarkeit weiter hypothetisch bleibt.
Zeitreisen und Kausalitätsverletzung
Chronologie-Schutzvermutung (Hawking)
Traversierbare Wurmlöcher werfen ein noch fundamentaleres Problem auf: die Möglichkeit, Zeitreisen zu realisieren. Kip Thorne und Kollegen zeigten, dass ein Ende des Wurmlochs relativ zu dem anderen beschleunigt werden könnte, sodass sich geschlossene zeitartige Kurven bilden.
Stephen Hawking reagierte darauf 1991 mit seiner Chronologie-Schutzvermutung. Diese besagt sinngemäß:
„Die Natur toleriert keine Zeitmaschinen, und Quanteneffekte verhindern ihre Entstehung.“
Konkret würde die Energie in der Nähe geschlossener zeitartiger Kurven divergieren und das Wurmloch destabilisieren.
Ob diese Vermutung in einer vollständigen Quantengravitation zwingend gilt, ist bis heute offen. Viele Forscher gehen jedoch davon aus, dass die Konsistenz der Physik erfordert, Kausalitätsverletzungen zu unterbinden.
Konsequenzen für die Quantenkryptografie
Zeitreisen durch Wurmlöcher wären nicht nur ein spektakuläres Paradoxon, sondern auch ein fundamentaler Angriff auf jede Form der Quantenkryptografie. Verfahren wie Quanten-Schlüsselverteilung beruhen auf der Annahme, dass Information sich kausal vorwärts bewegt.
Wenn Wurmlöcher oder zeitartige Schleifen existieren könnten, wäre es prinzipiell möglich, Informationen aus der Zukunft zu erhalten oder Kommunikationsprotokolle zu kompromittieren. Daher ist der Ausschluss von Zeitmaschinen nicht nur eine philosophische Frage, sondern eine fundamentale Grundlage für Sicherheit in der Quantentechnologie.
Experimentelle und technologische Perspektiven
Während die Einstein-Rosen-Brücke zunächst eine rein theoretische Konstruktion war, haben Fortschritte in der Quanteninformationsverarbeitung und in der Simulation komplexer Quantensysteme die Diskussion grundlegend verändert. Heute stellt sich die Frage, ob Wurmlöcher in einer abgeschwächten Form – als Analogien in Quantencomputern – simuliert und experimentell untersucht werden können. Dieses Kapitel beleuchtet, welche technologischen Ansätze derzeit verfolgt werden.
Quanteninformationsverarbeitung mit ER-Brücken
Theoretische Modelle zur Teleportation durch Wurmlöcher
Die Idee, dass Verschränkung eine Art Tunnel für Information bildet, hat dazu geführt, dass theoretische Modelle entwickelt wurden, in denen quantentechnologische Protokolle formal einer „Teleportation durch ein Wurmloch“ entsprechen. Besonders hervorzuheben ist ein Modell von Daniel Jafferis, Ping Gao und Aron Wall (2017), das zeigt:
Wenn zwei Quantensysteme maximal verschränkt sind, kann man durch gezielte Störungen eine traversierbare Wurmloch-Analogie erzeugen.
Mathematisch wird dies durch eine Doppelspur-Störung beschrieben:
\delta H = \mu , \mathcal{O}_L \mathcal{O}_R
Hierbei sind \mathcal{O}_L und \mathcal{O}_R Operatoren in den linken und rechten Quantensystemen. Diese Kopplung verändert das Energiegefüge und ermöglicht den „Durchgang“ eines Signals – formal äquivalent zur Quanten-Teleportation.
In diesen Modellen stellt die Wurmloch-Geometrie keine reale Raumzeitverbindung dar, sondern ein effektives Bild der Verschränkung.
Quantenverschränkung als „Brücke“ der Information
Im Licht der ER=EPR-Hypothese wird deutlich: Quantenverschränkung kann als Brücke zwischen entfernten Zuständen interpretiert werden. Das Standardprotokoll der Quanten-Teleportation nutzt ein verschränktes Paar und klassische Kommunikation:
- Erzeugung eines verschränkten Paares:
|\Psi\rangle = \frac{1}{\sqrt{2}}\left(|0\rangle_A|1\rangle_B - |1\rangle_A|0\rangle_B\right) - Messung am sendenden Ende.
- Übermittlung des Messergebnisses klassisch.
- Rekonstruktion des Zustands am empfangenden Ende.
In der geometrischen Analogie entspricht dieser Vorgang dem „Durchqueren“ eines mikroskopischen Wurmlochs, wenngleich dies rein formal ist. Dennoch hat dieser Ansatz einen hohen konzeptionellen Wert: Er zeigt, wie eng Quanteninformation und Raumzeitgeometrie verknüpft sein könnten.
Simulationen von Wurmlöchern in Quantensystemen
Ionenfallen und supraleitende Qubits als Analogmodelle
Moderne Quantencomputer ermöglichen Simulationen komplexer Modelle, die sonst in der Natur unzugänglich wären. Besonders Ionenfallen und supraleitende Qubits eignen sich, um stark korrelierte Quantenzustände zu erzeugen und kontrolliert zu koppeln.
In diesen Plattformen können Forscher Hamiltonoperatoren implementieren, die Traversierbarkeitseigenschaften analog zur Theorie aufweisen. Ziel ist es, experimentell nachzuweisen, dass ein Informationspaket formal „durch ein Wurmloch“ transferiert werden kann.
Beispielsweise simuliert man dynamische Korrelationsfunktionen und Übertragungseffizienzen, die jenen in den Theorien von Maldacena und Jafferis entsprechen.
Experimente am Google Quantum AI Lab (2022)
Ein Meilenstein war das Experiment von Google Quantum AI Lab im Jahr 2022. Dort wurde in einem Sycamore-Prozessor mit 9 Qubits ein Modell simuliert, das formal einer Traversierbarkeit analog ist.
Das Experiment basierte auf einer Version der Sachdev-Ye-Kitaev (SYK)-Modelle, die eine AdS/CFT-Dualität nachbilden. In der Veröffentlichung berichteten die Forscher, dass sie ein quantenmechanisches Signal innerhalb der maximal verschränkten Zustände transferieren konnten, was als „Teleportation durch ein Mini-Wurmloch“ interpretiert wurde.
Obwohl dies keine reale Raumzeitverbindung darstellt, markiert es einen wichtigen Schritt: Erstmals wurde eine Wurmloch-Analogie auf einem programmierbaren Quantenprozessor umgesetzt.
Messmethoden und Nachweisgrenzen
Gravitationswellen als indirekter Nachweis
In der Astrophysik wird diskutiert, ob Gravitationswellen Hinweise auf exotische Strukturen wie Wurmlöcher liefern könnten. Ein Wurmloch hätte charakteristische Modulationen im Frequenzspektrum der Gravitationswelle, etwa durch Reflexionen an den „Hälsen“.
Das Frequenzmuster könnte Abweichungen von den Vorhersagen für klassische schwarze Löcher zeigen, beispielsweise Echo-Signale. Bisher sind solche Signaturen allerdings nicht eindeutig bestätigt worden.
Die Detektoren LIGO und Virgo arbeiten an der Sensitivität, um auch feinste Abweichungen zu messen. Sollte eines Tages ein „Wurmloch-Echo“ identifiziert werden, wäre das eine Revolution in der Physik.
Quantenoptische Experimente
Neben makroskopischen Effekten verfolgen Forscher auch quantenoptische Ansätze. Verschränkte Photonen werden genutzt, um Analogmodelle von Wurmlöchern in optischen Netzwerken zu realisieren.
In solchen Experimenten werden kontrollierte Kopplungen erzeugt, die das Verhalten von Traversierbarkeit imitieren. Auch wenn diese Modelle keine Raumzeitkrümmung enthalten, bieten sie wertvolle Erkenntnisse über die Beziehung zwischen Verschränkung und effektiver Geometrie.
Zusätzlich werden in der Quantenoptik Methoden entwickelt, um komplexe Korrelationsmuster hochpräzise zu vermessen. Damit könnten Quanteneffekte, die analog zu Wurmlöchern wirken, experimentell verifiziert werden.
Kritische Diskussion und offene Fragen
Die bisherigen Kapitel haben gezeigt, dass die Einstein-Rosen-Brücke ein faszinierendes Bindeglied zwischen Gravitation und Quantenphysik darstellt. Zugleich wirft sie fundamentale Fragen auf, die bis heute nicht abschließend beantwortet sind. In diesem Kapitel werden diese offenen Punkte systematisch diskutiert.
Ontologischer Status der Einstein-Rosen-Brücke
Reales physikalisches Objekt oder mathematisches Artefakt?
Ein zentrales Problem ist die Frage, ob eine Einstein-Rosen-Brücke tatsächlich ein physikalisch existierendes Objekt ist oder nur ein Produkt der mathematischen Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie.
Die klassische Schwarzschild-Lösung zeigt, dass eine Brücke zwischen zwei Raumzeiten existiert – jedoch nur als ideale Lösung ohne Materie, die jemals hineinfliegt. Sobald Materie oder Strahlung den Hals erreicht, kollabiert die Brücke und verschwindet hinter dem Ereignishorizont.
In der quantenphysikalischen Interpretation, insbesondere bei ER=EPR, wird die Brücke als Repräsentation der Verschränkung verstanden. Diese Sichtweise legt nahe, dass Einstein-Rosen-Brücken keine greifbaren Tunnel im Raum sind, sondern Manifestationen von Information und Korrelation. Die geometrische Vorstellung dient dann eher als metaphorisches Bild.
Dieses Spannungsfeld – zwischen ontologischer Realität und mathematischer Abstraktion – bleibt ein Grundthema der theoretischen Physik.
Implikationen für Multiversum-Theorien
Falls man die Brücken als reale Verbindungen interpretiert, ergeben sich direkte Konsequenzen für Multiversum-Konzepte. Die Brücke würde dann eine Art „Portal“ zwischen verschiedenen Universen darstellen.
In manchen Kosmologien – etwa den Modellen der ewigen Inflation – werden verschiedene Blasenuniversen postuliert. Wurmlöcher könnten theoretisch als Kanäle dienen, die diese Bereiche miteinander verknüpfen.
Gleichwohl fehlen bislang empirische Anhaltspunkte, dass unser Universum tatsächlich auf diese Weise verbunden ist. Diese Frage bleibt spekulativ, zeigt jedoch die philosophische Tragweite der Einstein-Rosen-Brücke.
Vereinbarkeit von Quantenmechanik und Gravitation
Notwendigkeit einer Theorie der Quantengravitation
Ein wiederkehrendes Motiv ist das Fehlen einer konsistenten Quantengravitationstheorie. Die Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt Raumzeit als glatte Mannigfaltigkeit, die Quantenmechanik hingegen operiert mit Unschärfe und Nichtlokalität.
Die Einstein-Feldgleichungen enthalten keine quantisierten Freiheitsgrade. Deshalb treten Widersprüche auf, wenn man versucht, Quanteneffekte wie Hawking-Strahlung mit der klassischen Raumzeit zu kombinieren.
Eine Lösung dieser Inkonsistenzen erfordert eine Theorie, die beide Paradigmen integriert. Die Brücke wird dadurch zum Prüfstein: Wer sie wirklich verstehen will, muss verstehen, wie Quantenzustände Gravitation beeinflussen.
Stringtheorie und Schleifenquantengravitation
Zwei große Ansätze verfolgen das Ziel einer Quantengravitation:
- Stringtheorie
Hier wird postuliert, dass fundamentale Objekte eindimensionale Strings sind. In bestimmten Konfigurationen ergeben sich topologische Strukturen wie Wurmlöcher als Lösungen der Stringgleichungen. Wurmlöcher erscheinen dort teils als stabile Sättel in der Konfigurationslandschaft. - Schleifenquantengravitation
Dieser Ansatz quantisiert die Raumzeit direkt, indem sie in diskrete Spin-Netzwerke zerlegt wird. In diesem Kontext entstehen „Spacetime Foam“-Strukturen, die Mikrowurmlöchern ähneln könnten.
Beide Theorien sind mathematisch extrem anspruchsvoll. Bislang gibt es keine experimentellen Hinweise, die eine dieser Sichtweisen eindeutig bestätigen.
Die Einstein-Rosen-Brücke ist ein Paradebeispiel dafür, wie dringend eine empirisch fundierte Quantengravitation gebraucht wird.
Praktische Realisierbarkeit im quantentechnologischen Kontext
Energieanforderungen und Skalierungsprobleme
Selbst wenn eine traversierbare Brücke existieren könnte, stellen sich immense technische Fragen. Alle Modelle erfordern exotische Materie mit negativer Energiedichte in großen Mengen.
Die Casimir-Energiedichte beträgt:
\rho = -\frac{\pi^2 \hbar c}{720 , a^4}
Sie ist in Laborversuchen messbar, jedoch in kosmischem Maßstab unvorstellbar winzig. Die Energie, um ein Wurmloch mit einem Meter Halsdurchmesser zu stabilisieren, übersteigt die Masse aller Sterne in unserer Galaxie.
Auch die Kontrolle der Geometrie stellt eine bislang unlösbare Herausforderung dar. Diese praktischen Limitierungen zeigen, dass Einstein-Rosen-Brücken gegenwärtig außerhalb jeder technischen Reichweite liegen.
Relevanz für Quantenkommunikation
Gleichwohl hat die Diskussion einen erheblichen indirekten Nutzen: Sie inspiriert neue Protokolle in der Quantenkommunikation. Die Vorstellung, dass Verschränkung eine Art „Informationsbrücke“ darstellt, motiviert die Entwicklung effizienter Teleportationsverfahren.
Protokolle, die formal der Traversierbarkeit ähneln, wie die durch Doppelspur-Störungen angeregte Teleportation, sind Gegenstand intensiver Forschung. Sie könnten langfristig eine Schlüsselrolle in Quanteninternet-Architekturen spielen.
Insofern hat die Einstein-Rosen-Brücke – unabhängig von ihrer physikalischen Realisierbarkeit – bereits heute praktische Auswirkungen auf das Denken in der Quanteninformatik.
Zukunftsperspektiven und Ausblick
Die Einstein-Rosen-Brücke hat sich von einer zunächst rein theoretischen Konstruktion zu einem lebendigen Forschungsgegenstand an der Schnittstelle von Gravitation, Quanteninformation und Grundlagenphysik entwickelt. Dieses abschließende Kapitel wagt einen Blick nach vorn: Welche Entwicklungen zeichnen sich ab? Welche technologischen und konzeptionellen Visionen lassen sich heute formulieren?
Forschungstrends in der ER-Brücken-Theorie
Fortschritte bei der Simulation traversierbarer Wurmlöcher
Die Simulation von Wurmloch-Analogien auf Quantencomputern hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. Nach dem Experiment am Google Quantum AI Lab (2022) arbeiten zahlreiche Gruppen daran, größere Systeme zu realisieren, in denen die Traversierbarkeit präziser kontrolliert wird.
Insbesondere Modelle auf Basis des Sachdev-Ye-Kitaev-Modells sollen in zukünftigen Generationen von Quantenprozessoren implementiert werden. Ziel ist es, die Dynamik von Verschränkungs-„Brücken“ und Signalübertragung unter kontrollierten Bedingungen zu messen.
Parallel dazu entwickeln Forscher neuartige Algorithmen, mit denen sich komplexe Hamiltonoperatoren effizient simulieren lassen. Diese Algorithmen könnten es ermöglichen, Wurmloch-Analogie-Experimente auf Hunderte Qubits zu skalieren – ein entscheidender Schritt für die Überprüfung der Theorie.
Neue Ansätze in der Quanteninformation
Die Quanteninformationstheorie selbst profitiert stark von der geometrischen Perspektive, die durch die Einstein-Rosen-Brücke inspiriert wurde. Neue Forschungsrichtungen sind entstanden:
- Untersuchung der Beziehung zwischen geometrischen Minimalflächen (Ryu-Takayanagi-Formel) und Verschränkungsentropie.
- Entwicklung holografischer Codes, die robust gegenüber Fehlern sind und Konzepte der Raumzeitgeometrie nutzen.
- Einsatz von Tensor-Netzwerken zur Modellierung von Verschränkungsstrukturen, die Wurmlochcharakteristika nachbilden.
Solche Ansätze könnten langfristig die Architektur zukünftiger Quantencomputer und Kommunikationssysteme prägen.
Visionen für Quantenkommunikation und -kryptografie
„Wurmloch-gestützte“ Kommunikationsprotokolle
Im Bereich der Quantenkommunikation wird diskutiert, ob Protokolle entwickelt werden können, die auf der ER=EPR-Interpretation aufbauen. Auch wenn reale Wurmlöcher als Übertragungswege unerreichbar bleiben, könnte ihre theoretische Struktur zur Optimierung klassischer und quantenmechanischer Kanäle genutzt werden.
Denkbar sind beispielsweise „Wurmloch-Protokolle“, bei denen verschränkte Zustände in einer Weise manipuliert werden, die der Traversierbarkeit formal entspricht. Diese Verfahren könnten besonders effizient Informationen übertragen oder Verschränkung verteilen.
Die Vision lautet: Ein zukünftiges Quanteninternet, in dem die Metapher der Einstein-Rosen-Brücke nicht nur ein Bild, sondern ein Designprinzip für Architektur und Sicherheitsprotokolle ist.
Theoretische Sicherheitsvorteile durch ER-Verschränkung
Ein weiterer interessanter Forschungsansatz betrifft die kryptografische Sicherheit. Falls Verschränkung tatsächlich als „Topologie“ der Raumzeit verstanden wird, ergeben sich völlig neue Perspektiven auf Abhörsicherheit:
- Angriffe auf Quantenschlüsselverteilung müssten gewissermaßen „durch die Brücke“ erfolgen.
- Die theoretischen Modelle implizieren, dass Angreifer keine Kopie der Verschränkung erzeugen können, ohne die Struktur zu zerstören.
Ob solche Konzepte jemals in praktische Kryptografie münden, ist offen – sie zeigen aber die enorme kreative Spannweite, die das Wurmloch-Paradigma eröffnet.
Die Einstein-Rosen-Brücke als interdisziplinäre Brücke
Synthese von Gravitation, Quantenphysik und Informationswissenschaft
Die Einstein-Rosen-Brücke steht exemplarisch für eine neue Ära der Physik. Sie verbindet scheinbar disparate Disziplinen: Gravitationstheorie, Quantenmechanik und Informationstheorie. Das Bild einer „Brücke“ beschreibt nicht nur eine geometrische Struktur, sondern eine intellektuelle Bewegung hin zu einem einheitlicheren Verständnis der Naturgesetze.
Diese interdisziplinäre Perspektive könnte sich als Schlüssel erweisen, um ungelöste Probleme wie das Informationsparadox, die Vereinheitlichung der Kräfte oder die Entstehung der Raumzeit zu adressieren.
Philosophische Relevanz für das Verständnis von Raum und Zeit
Über alle technischen Fragen hinaus wirft die Einstein-Rosen-Brücke fundamentale Fragen auf:
- Was ist Raumzeit? Eine primäre Substanz oder ein emergentes Phänomen der Quanteninformation?
- Ist Nichtlokalität nur ein rechnerisches Hilfsmittel oder eine tiefere Eigenschaft der Wirklichkeit?
- Wo verläuft die Grenze zwischen physikalischer Realität und mathematischer Struktur?
In diesen Fragen zeigt sich, dass die Einstein-Rosen-Brücke weit mehr als eine Lösung der Einstein-Gleichungen ist. Sie ist ein Symbol für den ungebrochenen Drang der Physik, auch die entferntesten Horizonte des Denkens zu überschreiten.
Fazit
Die Einstein-Rosen-Brücke stellt einen der faszinierendsten Entwürfe dar, die je aus dem Spannungsfeld von Gravitation und Quantenmechanik hervorgegangen sind. Ursprünglich als ein mathematisches Konstrukt gedacht, um Singularitäten zu vermeiden, hat sich ihre Interpretation über Jahrzehnte immer weiterentwickelt. Heute wird sie nicht mehr bloß als statisches Bindeglied zweier Raumzeiten verstanden, sondern als potenzielles Bindeglied zwischen Verschränkung, Geometrie und Informationsflüssen.
Die Hypothese ER=EPR hat der Diskussion eine neue Dimension gegeben: Wenn Verschränkung und Wurmlöcher tatsächlich nur unterschiedliche Facetten derselben physikalischen Realität sind, dann steht die Physik an der Schwelle zu einer revolutionären Vereinheitlichung der Begriffe „Raumzeit“ und „Information“.
Auch wenn bisher kein experimenteller Nachweis einer echten Einstein-Rosen-Brücke gelungen ist, hat ihre Untersuchung die Quanteninformatik inspiriert – insbesondere die Entwicklung neuer Protokolle zur Teleportation und die holografische Modellierung verschränkter Systeme. Die Simulationen in supraleitenden Quantenprozessoren sind ein erster Schritt, ihre theoretischen Eigenschaften wenigstens formal zu testen.
Im Kern zeigt sich: Die Einstein-Rosen-Brücke ist mehr als ein Randphänomen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Sie wirkt als Katalysator – für theoretische Innovationen, für neue mathematische Methoden und für tiefgehende philosophische Debatten über die Natur der Wirklichkeit.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sie noch für Jahrzehnte ein Symbol der Suche nach einer konsistenten Quantengravitation bleiben – als ein Konzept, das Wissenschaftler aller Disziplinen dazu einlädt, den Horizont des Denkbaren zu erweitern.
Mit freundlichen Grüßen

Literaturverzeichnis
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- Artikel Time Travel and Modern Physics https://plato.stanford.edu/entries/time-travel-phys/
- Perimeter Institute Recorded Seminar Archive (PIRSA):
- NASA Astrophysics Data System:
- Institute for Advanced Study – Publikationen von Juan Maldacena:
- Quantum Magazine (leicht verständliche Fachartikel):