Festkörperbasierte Qubits bezeichnen Quantensysteme, deren physikalische Realisierung in einem festen Materialverbund – dem sogenannten Festkörper – erfolgt. In der Quanteninformatik stellen Qubits die kleinste informationstragende Einheit dar und sind das quantenmechanische Analogon zum klassischen Bit. Anders als klassische Bits, die nur die Zustände 0 oder 1 annehmen können, existieren Qubits in einer Überlagerung dieser beiden Zustände. Formal lässt sich ein Qubit-Zustand als lineare Kombination zweier Basiszustände |0\rangle und |1\rangle schreiben:
|\psi\rangle = \alpha |0\rangle + \beta |1\rangle,\quad \text{mit} \quad |\alpha|^2 + |\beta|^2 = 1
Bei festkörperbasierten Qubits wird dieser abstrakte Quantenzustand durch physikalische Freiheitsgrade innerhalb eines Festkörpers kodiert – etwa durch den Spin eines Elektrons in einem Halbleiter, durch die supraleitende Phase in einem Josephson-Kontakt oder durch elektronische Zustände in einem Kristallgitterdefekt. Die präzise Steuerung und Manipulation dieser Systeme erfolgt mittels Mikrowellen, elektrischer oder magnetischer Felder und erfordert ein tiefes Verständnis sowohl der Quantenmechanik als auch der Festkörperphysik.
Warum Festkörper? Relevanz in der Quantenforschung
Die Wahl des Festkörpers als physikalisches Trägersystem für Qubits folgt sowohl pragmatischen als auch technologischen Überlegungen. Festkörpermaterialien lassen sich mit etablierten Verfahren der Halbleiter- und Nanotechnologie präzise strukturieren. Dies eröffnet das Potenzial zur Skalierung von Quantenprozessoren mit Tausenden bis Millionen von Qubits – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu praktisch nutzbaren Quantencomputern.
Darüber hinaus ermöglichen Festkörpersysteme eine hohe Integration mit konventioneller Elektronik, was für Steuerung, Auslese und Fehlerkorrektur essenziell ist. Die Miniaturisierung und Integration in bestehende CMOS-Technologien (Complementary Metal-Oxide Semiconductor) macht sie besonders attraktiv für kommerzielle Anwendungen.
Festkörperbasierte Qubits gelten daher als eine der vielversprechendsten Plattformen zur Realisierung skalierbarer Quantencomputer. Große Technologieunternehmen wie IBM, Intel, Google, Microsoft sowie spezialisierte Start-ups wie Rigetti oder PsiQuantum investieren massiv in diesen Ansatz. Auch in der akademischen Welt ist die Forschung zu festkörperbasierten Qubits ein hochaktuelles und dynamisches Feld, das ständig neue physikalische Einsichten und technologische Durchbrüche hervorbringt.
Historische Entwicklung und erste Meilensteine
Die Geschichte festkörperbasierter Qubits beginnt mit grundlegenden Erkenntnissen der Quantenmechanik im 20. Jahrhundert, insbesondere mit dem Verständnis quantisierter Energiezustände in Halbleitern und Metallen. Die frühe Entwicklung supraleitender Qubits basiert auf der Theorie von Brian Josephson (1962), die die Existenz von tunnelfähigen supraleitenden Strömen – den Josephson-Effekt – vorhersagte. Dies legte den Grundstein für die spätere Entwicklung supraleitender Schaltkreise als Qubit-Plattform.
Ein weiterer Meilenstein war die Demonstration kohärenter Kontrolle über Spinzustände in Quantenpunkten Ende der 1990er Jahre. Forschergruppen in Delft (Niederlande), Stanford und Harvard gelang es, Elektronenspins in Halbleitern präzise zu kontrollieren und als Qubits zu verwenden.
Im Jahr 2001 wurde der erste supraleitende Qubit experimentell realisiert – ein „Charge-Qubit“ – von Yasunobu Nakamura und Kollegen am NEC-Forschungslabor in Japan. Kurze Zeit später folgten Flux- und Phase-Qubits, deren Leistung sich stetig verbesserte. Im Jahr 2007 wurde der „Transmon-Qubit“ vorgestellt, der aufgrund seiner geringeren Empfindlichkeit gegenüber Ladungsrauschen bis heute eine dominierende Rolle in supraleitenden Quantenprozessoren spielt.
Parallel dazu entdeckte man die bemerkenswerten Quanteneigenschaften von Farbzentren in Diamanten, insbesondere der sogenannten NV-Zentren (Stickstoff-Leerstellen-Zentren). Diese zeigen bei Raumtemperatur lange Kohärenzzeiten und sind damit für Anwendungen in Sensorik und Kommunikation von Interesse.
Mit der Entwicklung großskaliger Quantenchips durch Google (Sycamore, 2019), IBM (Eagle, 2021) und andere erreichte die Forschung zu festkörperbasierten Qubits eine neue Dimension. Die technologische Reife, das industrielle Engagement und die Tiefe der physikalischen Kontrolle machen diese Plattform heute zu einem zentralen Bestandteil der globalen Quantenstrategie.
Grundlagen der Quanteninformation
Was ist ein Qubit?
Das Qubit – kurz für „quantum bit“ – ist die fundamentale Recheneinheit eines Quantencomputers. Im Gegensatz zum klassischen Bit, das nur die Zustände 0 oder 1 einnehmen kann, kann ein Qubit in einem Zustand zwischen diesen beiden Extremen existieren. Diese Eigenschaft beruht auf dem Prinzip der Superposition. Ein allgemeiner Zustand eines Qubits wird durch einen Vektor im zweidimensionalen Hilbertraum beschrieben:
|\psi\rangle = \alpha |0\rangle + \beta |1\rangle, \quad \text{mit} \quad \alpha, \beta \in \mathbb{C}, \quad |\alpha|^2 + |\beta|^2 = 1
Die Koeffizienten \alpha und \beta sind komplexe Wahrscheinlichkeitsamplituden, deren Betragsquadrate die Wahrscheinlichkeit angeben, das Qubit bei einer Messung in den Zustand |0\rangle bzw. |1\rangle zu projizieren. Diese rein quantenmechanische Eigenschaft macht das Qubit zu einer informationsverarbeitenden Einheit, die potenziell exponentielle Parallelverarbeitung ermöglicht.
In festkörperbasierten Systemen werden die abstrakten Zustände |0\rangle und |1\rangle typischerweise durch konkrete physikalische Zustände repräsentiert – etwa unterschiedliche Ladungszustände, Spinzustände oder makroskopische Quantenzustände wie verschiedene Stromrichtungen in einem supraleitenden Ring.
Superposition, Verschränkung und Kohärenzzeit
Superposition
Die Superposition erlaubt es einem Qubit, sich gleichzeitig in einem Überlagerungszustand zwischen |0\rangle und |1\rangle zu befinden. Visuell lässt sich dieser Zustand durch die sogenannte Bloch-Kugel darstellen, bei der jeder Punkt auf der Kugeloberfläche einem reinen Qubit-Zustand entspricht.
|\psi\rangle = \cos{\left(\frac{\theta}{2}\right)}|0\rangle + e^{i\phi} \sin{\left(\frac{\theta}{2}\right)}|1\rangle
Hierbei beschreiben die Parameter \theta und \phi die Position auf der Bloch-Kugel.
Verschränkung
Ein weiteres zentrales Konzept der Quanteninformation ist die Verschränkung (engl. entanglement). Zwei oder mehr Qubits können in einen gemeinsamen Zustand überführt werden, der sich nicht mehr als Produkt einzelner Qubit-Zustände schreiben lässt. Ein bekanntes Beispiel ist der Bell-Zustand:
|\Phi^+\rangle = \frac{1}{\sqrt{2}}\left(|00\rangle + |11\rangle\right)
Verschränkung ist entscheidend für viele Quantenalgorithmen, Quantenkommunikation und Quantenfehlerkorrektur. In festkörperbasierten Qubit-Architekturen wird Verschränkung durch kontrollierte Wechselwirkungen zwischen benachbarten Qubits realisiert, etwa durch Kopplung über Mikrowellenresonatoren oder Tunnelprozesse.
Kohärenzzeit
Die Kohärenzzeit gibt an, wie lange ein Qubit seine quantenmechanischen Eigenschaften – insbesondere Superposition und Verschränkung – beibehält, bevor es durch Umwelteinflüsse gestört wird. Es werden zwei Typen unterschieden:
- Phasen-Kohärenzzeit (dephasing time, T_2)
- Relaxationszeit (energy relaxation time, T_1)
Für eine effektive Quantenberechnung ist es essenziell, dass viele Gatteroperationen innerhalb dieser Zeiten durchgeführt werden können. Aktuelle festkörperbasierte Qubits erreichen Kohärenzzeiten im Mikrosekunden- bis Millisekundenbereich, abhängig von der Plattform.
Dekohärenz und Fehleranfälligkeit – physikalische Herausforderungen
Dekohärenz ist der Hauptfeind jeder quantenmechanischen Informationsverarbeitung. Sie entsteht durch Wechselwirkung des Qubits mit seiner Umgebung, etwa durch thermische Fluktuationen, elektromagnetisches Rauschen oder Materialunreinheiten. Dadurch verliert das System seine Kohärenz, d. h. die Überlagerungszustände werden gestört, und die Quanteninformation geht verloren.
In festkörperbasierten Systemen sind folgende Quellen besonders relevant:
- 1/f-Rauschen: Häufige Quelle für Phasendekohärenz in supraleitenden Qubits
- Hyperfeinwechselwirkung mit Kernspins: Kritisch bei Spinqubits in natürlichen Halbleitern
- Photonenverluste und Kopplungsverluste in supraleitenden Resonatoren
- Oberflächenrauschen und Defekte an Materialgrenzen oder Oxidschichten
Die Fehlerwahrscheinlichkeit pro Qubit-Gatter ist in heutigen Systemen typischerweise im Bereich von 10^{-3} bis 10^{-2}. Für fehlertolerantes Quantencomputing liegt die Schwelle („fault-tolerance threshold“) bei etwa 10^{-4} oder darunter, je nach verwendetem Fehlerkorrekturcode.
Zur Bekämpfung dieser Fehler werden aufwendige Fehlerkorrekturverfahren entwickelt, z. B. der Surface Code, die viele physikalische Qubits zu einem logischen Qubit zusammenfassen. Doch je höher die Qualität des einzelnen Qubits, desto geringer ist der Aufwand für diese Korrekturmaßnahmen – weshalb festkörperbasierte Plattformen intensiv darauf optimiert werden, die Dekohärenz zu minimieren.
Festkörperphysik als Plattform für Qubits
Materialwissenschaftliche Basis
Die Realisierung festkörperbasierter Qubits ist untrennbar mit den Eigenschaften der verwendeten Materialien verbunden. Materialien bestimmen nicht nur die quantenmechanischen Freiheitsgrade, die als Qubit-Zustände dienen, sondern auch die Stabilität, Kohärenzzeit und Kontrollierbarkeit dieser Zustände. Die Materialwissenschaft liefert daher die Grundlage für alle fortschrittlichen Entwicklungen im Bereich der Festkörperquanteninformation.
Einige zentrale Anforderungen an Materialien für festkörperbasierte Qubits sind:
- Hohe Kristallreinheit: Unerwünschte Defekte und Verunreinigungen führen zu Dekohärenz und Rauschquellen.
- Geringe Anzahl magnetischer Störstellen: Insbesondere bei Spinqubits sind spintragende Kerne in der Umgebung problematisch.
- Kompatibilität mit Nanofabrikation: Das Material muss mit etablierten Prozessen strukturiert und bearbeitet werden können.
Beispiele für häufig verwendete Materialien:
- Supraleiter wie Aluminium oder Niob: Für supraleitende Qubits in Mikrowellenresonatoren.
- Halbleiter wie Silizium (Si), Germanium (Ge) oder Galliumnitrid (GaN): Für Spinqubits und Quantenpunkte.
- Diamant: Insbesondere für die Realisierung von NV-Zentren mit außergewöhnlich langer Kohärenzzeit.
- Indiumantimonid (InSb) oder Cadmiumtellurid (CdTe): Für topologische Qubits mit starker Spin-Bahn-Kopplung.
Die elektronische Bandstruktur, die Ladungsträgerdichte, die Phononenspektren und Oberflächenzustände all dieser Materialien beeinflussen maßgeblich die Qubiteigenschaften. Materialingenieurwesen und Festkörperphysik liefern hier die notwendigen Werkzeuge, um Systeme atomar präzise zu entwerfen und zu optimieren.
Nanofabrikation und Halbleitertechnologien
Die kontrollierte Erzeugung, Platzierung und Manipulation von Qubits in Festkörpern erfordert hochpräzise Nanofabrikationstechniken. Diese stammen größtenteils aus der Halbleiterindustrie, wurden jedoch für quantentechnologische Anwendungen weiterentwickelt.
Typische Prozesse umfassen:
- Elektronenstrahllithografie: Für die Erzeugung nanometergroßer Strukturen mit höchster Auflösung.
- Sputtern, Molekularstrahlepitaxie (MBE) und chemische Gasphasenabscheidung (CVD): Für die Schichtung und Dotierung funktionaler Materialien.
- Ionenimplantation und Ätzprozesse: Zur Definition von Quantenpunkten, Tunnelbarrieren und Leiterbahnen.
- Low-Temperature-Bonding: Zur Integration unterschiedlicher Materialsysteme auf einem Chip.
In supraleitenden Systemen werden Qubits beispielsweise als LC-Schwingkreise mit eingebauten Josephson-Kontakten realisiert. Diese Kontakte bestehen aus extrem dünnen Tunnelbarrieren zwischen zwei Supraleitern und erlauben quantenmechanisch kohärente Oszillationen.
Bei Spinqubits in Halbleitern werden mittels elektrischer Felder definierte Quantenpunkte erzeugt, in denen sich einzelne Elektronen einschließen und über Gate-Elektroden manipulieren lassen. Diese Architekturen erfordern atomar saubere Grenzflächen und exakte Kontrolle über Dotierung und Ladungsverteilung.
Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Silizium-Spin-Photonik, bei der photonische Strukturen mit Qubits integriert werden, um quantenoptische Kommunikation auf dem Chip zu ermöglichen.
Integration mit klassischer Elektronik
Einer der größten Vorteile festkörperbasierter Qubits ist ihre prinzipielle Kompatibilität mit bestehender Elektronik. Dies ermöglicht eine direkte Integration von Quanten- und klassischen Steuerungseinheiten auf einem Chip, was sowohl Skalierbarkeit als auch Praktikabilität enorm erhöht.
Zentrale Aspekte der Integration:
- CMOS-Kompatibilität: Siliziumbasierte Qubits lassen sich potenziell mit herkömmlicher Mikroprozessorfertigung kombinieren. Erste prototypische Designs integrieren Qubit-Arrays mit Steuerlogik auf demselben Substrat.
- Multiplexing: Zur Reduzierung der Anzahl externer Leitungen wird multiplexte Steuerung eingesetzt, bei der mehrere Qubits über dieselbe Leitung adressiert werden.
- Kryoelektronik: Da viele festkörperbasierte Qubits bei Temperaturen unter 100 mK betrieben werden, müssen auch Steuer- und Ausleseschaltkreise kryokompatibel ausgelegt sein. Dies umfasst spezielle Low-Noise-Amplifier, Kryo-Digitalwandler und supraleitende Logikelemente.
- 3D-Integration: Durch die vertikale Verschaltung mehrerer Ebenen (Qubit-Ebene, Ausleseebene, Steuerlogik) lassen sich sehr kompakte Architekturen realisieren, wie sie beispielsweise in den neuesten IBM-Quantenprozessoren verwendet werden.
Diese nahtlose Kopplung von Quantenhardware und klassischer Elektronik ist entscheidend für die praktische Nutzbarkeit großer Quantencomputer und gilt als einer der technologischen Schlüsselfaktoren für den Erfolg festkörperbasierter Qubits.
Haupttypen festkörperbasierter Qubits
Supraleitende Qubits
Supraleitende Qubits gehören zu den am weitesten entwickelten und kommerziell genutzten festkörperbasierten Qubit-Plattformen. Sie beruhen auf nichtlinearen Schwingkreisen, in denen supraleitende Ströme durch Josephson-Kontakte fließen – also Tunnelverbindungen zwischen zwei Supraleitern. Diese künstlich erzeugten makroskopischen Quantenzustände sind besonders gut für die Implementierung von Qubits geeignet, da sie sich mit hoher Präzision elektrisch kontrollieren und auslesen lassen.
Transmon-Qubits
Der Transmon (Transmission Line Shunted Plasma Oscillator) ist eine Weiterentwicklung des ursprünglichen Charge-Qubits. Er basiert auf einem Josephson-Junction-Schwingkreis, dessen Ladungsempfindlichkeit durch einen großen Kapazitätsanteil reduziert wird. Dadurch wird der Einfluss von Ladungsrauschen erheblich abgeschwächt – ein zentraler Fortschritt in der Entwicklung supraleitender Qubits.
Die Hamiltonfunktion eines Transmon-Qubits ist gegeben durch:
H = 4E_C(n - n_g)^2 - E_J \cos(\phi)
Dabei sind:
- E_C die Ladungsenergie,
- E_J die Josephson-Energie,
- n die Anzahl der Cooper-Paare,
- n_g die Gate-induzierte Ladung,
- \phi die Phasendifferenz über dem Josephson-Kontakt.
Der Transmon zeichnet sich durch einfache Herstellung, hohe Reproduzierbarkeit und lange Kohärenzzeiten aus (bis zu 100 μs). Er wird heute u. a. von IBM, Google und Rigetti verwendet.
Flux- und Phase-Qubits
Diese Qubits nutzen unterschiedliche Freiheitsgrade der supraleitenden Schwingkreise:
- Flux-Qubits kodieren die Information in der Richtung des magnetischen Flusses durch einen supraleitenden Ring. Zwei zirkulierende Stromrichtungen entsprechen den Zuständen |0\rangle und |1\rangle.
- Phase-Qubits kodieren die Information in der Phasendifferenz eines Josephson-Kontakts. Diese Systeme sind empfindlich gegenüber Flussrauschen, bieten aber präzise Kontrolle bei geringer Komplexität.
Beide Qubittypen wurden in den 2000er-Jahren intensiv erforscht, werden aber heute weitgehend vom Transmon abgelöst, da dieser robuster gegenüber Umwelteinflüssen ist.
Vorteile, Limitierungen und Einsatzgebiete
Vorteile:- Kompatibel mit Mikrowellensteuerung und -auslese
- Hohe Skalierbarkeit durch planare Chiparchitekturen
- Gute Integration mit Kryoelektronik und klassischen Steuerungen
- Betrieb bei extrem tiefen Temperaturen (typ. < 20 mK)
- Starke Anforderungen an Materialreinheit und Oberflächenqualität
- Fehleranfälligkeit bei größerer Anzahl von Qubits
Einsatzgebiete:
- Quantenprozessoren (z. B. IBM Q, Google Sycamore)
- Benchmarking-Experimente (z. B. Quanten-Suprematie)
- Quantenalgorithmen im NISQ-Bereich
Spinqubits in Halbleitern
Spinqubits basieren auf dem intrinsischen Drehimpuls (Spin) einzelner Elektronen oder Atomkerne in Halbleitern. Sie sind besonders attraktiv, da sie stark miniaturisiert und theoretisch in bestehende CMOS-Technologien integriert werden können.
Elektronenspins in Quantenpunkten
In sogenannten Quantenpunkten – nanometergroßen Potentialtöpfen – kann ein Elektron eingefangen werden. Dessen Spin-Zustände |\uparrow\rangle und |\downarrow\rangle entsprechen den Qubit-Zuständen |0\rangle und |1\rangle. Die Kontrolle erfolgt durch:
- Elektrische Gates (zur Positionierung)
- Mikrowellenpulse (zur Rotation des Spins)
- Magnetfelder (zur Aufspaltung der Energieniveaus)
Diese Architektur bietet lange Kohärenzzeiten und hohe Gatterfidelität. Forschungsgruppen an der TU Delft, UNSW Sydney und Intel arbeiten intensiv an Spinqubits in Silizium.
Kernspinqubits (z. B. in Silizium)
Kernspinqubits nutzen die Spinzustände von Atomkernen, etwa von Phosphor-Atomen, die in Silizium eingebracht wurden. Da Kerne wesentlich schwächer mit der Umgebung koppeln, können hier extrem lange Kohärenzzeiten erreicht werden (bis zu mehreren Sekunden).
Das bekannteste System wurde von Bruce Kane vorgeschlagen, bei dem ein Phosphor-31-Kern in einem isotopenreinen Siliziumsubstrat als Qubit dient. Die Kontrolle erfolgt über elektrische Gates und magnetische Gradientensysteme.
Hyperfeinstruktur und Kontrolle
In vielen Halbleitersystemen tritt eine Hyperfeinwechselwirkung zwischen Elektronen- und Kernspins auf. Diese Kopplung erlaubt die kombinierte Steuerung von Elektron- und Kern-Qubits:
H_{hf} = A , \vec{I} \cdot \vec{S}
mit:
- \vec{I}: Kernspin,
- \vec{S}: Elektronenspin,
- A: Hyperfein-Kopplungskonstante.
Die Kontrolle über diese Wechselwirkung ermöglicht hochpräzise Quantenlogik und wird z. B. für Zwei-Qubit-Gatter genutzt.
Farbzentren in Diamanten
Farbzentren sind Punktdefekte in Kristallgittern, bei denen ein Gitteratom durch ein Fremdatom ersetzt wird oder fehlt. Sie erzeugen lokal quantenmechanisch kontrollierbare Zustände, die als Qubits fungieren können.
NV-Zentren: Struktur und Quantenkontrolle
Das am besten untersuchte Farbzentrum ist das NV-Zentrum (Nitrogen-Vacancy) in Diamant. Es besteht aus einem Stickstoffatom, das ein Kohlenstoffatom ersetzt, und einer benachbarten Leerstelle. Dieses Defektzentrum hat elektronische Zustände, die über optische und magnetische Verfahren adressierbar sind.
Eigenschaften:
- Qubit-Zustände liegen im Triplett-Zustand des Elektrons (m_s = 0 und m_s = \pm1)
- Ansteuerung durch Mikrowellenstrahlung und Laserimpulse
- Kohärenzzeit bis zu mehreren Millisekunden bei Raumtemperatur
Anwendungsfelder (Sensorik, Kommunikation)
NV-Zentren eignen sich nicht nur für Quantencomputing, sondern insbesondere auch für:
- Magnetfeldsensorik mit Nanometerauflösung
- Biokompatible Quantenbiosensoren
- Quantenrepeater für Quantenkommunikationsnetzwerke
Ihre Robustheit bei Raumtemperatur macht sie besonders interessant für Anwendungen außerhalb von Kryoumgebungen.
Topologische Qubits (z. B. Majorana-Qubits)
Topologische Qubits stellen einen theoretisch besonders robusten Ansatz dar, da ihre Zustände nicht lokal gespeichert, sondern nichtlokal durch topologische Zustände kodiert sind. Dadurch sind sie gegen lokale Störungen weitgehend unempfindlich.
Theoretisches Fundament
Topologische Qubits basieren auf exotischen quasiteilchenartigen Zuständen – insbesondere auf Majorana-Fermionen, die ihre eigenen Antiteilchen sind. Diese Zustände können in sogenannten topologischen Supraleitern entstehen.
Ein typischer Hamiltonian, der ein topologisches Supraleitersystem beschreibt, ist:
H = \sum_{j} \left( -t, c_j^\dagger c_{j+1} + \Delta, c_j c_{j+1} + h.c. \right)
mit:
- t: Hopping-Amplitude,
- \Delta: Paarungspotenzial,
- c_j^\dagger, c_j: Fermion-Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren.
Potenziale für fehlertolerantes Quantencomputing
Das Hauptversprechen topologischer Qubits liegt in ihrer inhärenten Fehlerresistenz. Die Information ist in der räumlichen Konfiguration von Majorana-Zuständen gespeichert, was sie immun gegen viele lokale Dekohärenzprozesse macht.
Durch das sogenannte Braiding – ein topologisches Vertauschen der Quasiteilchen – lassen sich Quantenoperationen realisieren, ohne dass lokale Steuerimpulse notwendig sind. Dies ist besonders attraktiv für die Realisierung fehlertoleranter Quantencomputer.
Aktuelle Realisierungsversuche
Experimente zur Erzeugung von Majorana-Zuständen konzentrieren sich auf hybride Systeme aus:
- Halbleitern mit starker Spin-Bahn-Kopplung (z. B. InSb, InAs)
- in Kombination mit Supraleitern (z. B. Nb oder Al)
- unter dem Einfluss externer Magnetfelder
Projekte von Microsoft („StationQ“), das QuTech-Institut in Delft und Forschergruppen am Weizmann-Institut arbeiten aktiv an der praktischen Umsetzung solcher Systeme. Der experimentelle Nachweis topologischer Quasiteilchen ist jedoch bis heute Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussion.
Herstellung und Skalierbarkeit
Quantenprozessoren auf Festkörperbasis
Die industrielle Herstellung festkörperbasierter Quantenprozessoren folgt Prinzipien der Halbleiterfertigung, wird jedoch durch die hohen Anforderungen an Quantensysteme erheblich komplexer. Ziel ist es, Qubit-Arrays mit präzise definierter Architektur, hoher Kohärenzzeit, kontrollierter Kopplung und minimaler Fehleranfälligkeit zu realisieren.
Ein typischer Quantenprozessor auf Basis supraleitender Qubits besteht aus:
- Mikrowellenresonatoren zur Steuerung und Auslese der Qubits
- Supraleitenden Transmon-Elementen als eigentliche Qubits
- Kopplungselementen (Kapazitäten, Induktivitäten) zur Implementierung von Zwei-Qubit-Gattern
- Mikrowellenleitungen zur Signalführung in und aus dem Chip
- Multiplexingstrukturen für skalierbare Steuerung
Fertigung erfolgt auf Hochreinheitssubstraten (z. B. hochresistivem Silizium oder Saphir). Die Strukturierung wird mit Elektronenstrahl- oder UV-Lithografie durchgeführt. Die Verdampfung von Supraleitermaterialien wie Aluminium erfolgt in mehreren Schritten, oft mit sogenanntem Shadow Evaporation, um Tunnelkontakte ohne Oxidationsprobleme zu erzeugen.
Beispiel: Der Quantenprozessor „Sycamore“ von Google besteht aus 54 Transmon-Qubits, die in einer planaren Gitterstruktur auf einem Saphir-Wafer angeordnet sind und mittels Coplanar-Waveguide-Resonatoren verbunden sind.
Auch bei Spinqubits in Halbleitern erfolgt die Herstellung mit Methoden aus der CMOS-Fertigung: Quantenpunkte werden durch elektrostatische Gating strukturiert, oft unter Einsatz mehrlagiger Metallisierung und kontrollierter Dotierung.
CMOS-Kompatibilität
Die Kompatibilität mit CMOS-Technologien ist eine der strategischen Schlüsselfragen für die Skalierung festkörperbasierter Quantencomputer. CMOS (Complementary Metal-Oxide-Semiconductor) ist der weltweit dominierende Fertigungsstandard für klassische Mikroelektronik. Eine Integration von Quantenkomponenten in diesen Prozess würde:
- die Nutzung bestehender Fertigungsstraßen erlauben,
- die Massenproduktion vereinfachen,
- eine direkte Verbindung zu klassischen Steuerungseinheiten ermöglichen.
Spinqubits in Silizium gelten als besonders vielversprechend in dieser Hinsicht. Erste Prototypen (z. B. von Intel, UNSW, imec) zeigen, dass Silizium-Qubit-Arrays mit CMOS-Peripherie auf demselben Wafer erzeugt werden können.
Auch bei supraleitenden Qubits wird an hybriden Architekturen gearbeitet, die CMOS-basierte Ausleseschaltkreise (etwa Cryo-CMOS bei 4 K) mit Quantenchips bei 20 mK kombinieren. Dieses sogenannte 3D-Integration Layering erlaubt funktionale Trennung und thermisches Management.
Herausforderungen bei der Skalierung
Die Skalierung festkörperbasierter Qubit-Architekturen bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich, die sowohl physikalischer als auch technologischer Natur sind:
Erhöhte Kreuzkopplung
Mit wachsender Qubit-Anzahl steigt die Komplexität der Wechselwirkungen zwischen benachbarten Qubits. Ungewollte Kopplungseffekte führen zu Fehlern und erschweren präzise Gate-Operationen. Die Isolation einzelner Qubits bei gleichzeitiger Ermöglichung gezielter Verschränkung bleibt ein Balanceakt.
Verlustarme Signalführung
Die Leitungsdichte steigt mit der Anzahl der Qubits exponentiell an. Bei heutigen Architekturen benötigt jeder Qubit zwei bis vier Steuerleitungen – das ist auf Dauer nicht tragbar. Daher wird an multiplexfähigen Architekturkonzepten gearbeitet, wie z. B. Frequency Division Multiplexing (FDM) oder Crossbar-Architekturen.
Thermische Integration
Der Temperaturgradient zwischen Quantenchip (20 mK) und Steuerlogik (meist bei 4 K oder Raumtemperatur) stellt eine besondere Herausforderung dar. Wärmeeinträge durch Kontrollleitungen, Rauschen durch Temperaturunterschiede und thermisch bedingte Materialverformungen müssen sorgfältig minimiert werden.
Fehlerakkumulation und Quantenfehlerkorrektur
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich kleine Fehler über große Qubit-Arrays hinweg aufsummieren, wächst mit jeder zusätzlichen Operation. Es wird daher intensiv an fehlertoleranten Architekturen gearbeitet, die logische Qubits aus mehreren physikalischen Qubits zusammensetzen. Prominente Beispiele sind:
- Surface Code
- Bacon-Shor-Code
- Color Code
Diese Methoden erfordern jedoch oft Hunderte physikalischer Qubits für die Kodierung eines einzigen logischen Qubits – eine immense Skalierungsherausforderung.
Reproduzierbarkeit und Ausbeute in der Produktion
Ein zentraler Maßstab für industrielle Herstellbarkeit ist die Ausbeute (engl. yield): Wie viele Qubits eines produzierten Chips erfüllen die Qualitätsanforderungen in Bezug auf Kohärenzzeit, Gatterfidelity und Störresistenz?
Streuung in Qubit-Parametern
Selbst kleinste Variationen in Materialdicke, Oxidationsgrad oder Dotierung führen zu messbaren Unterschieden in den Qubit-Frequenzen. Dies erschwert die Kalibrierung und erfordert individuell angepasste Steuersequenzen. Aktuelle Systeme setzen daher auf adaptive Frequenzzuweisung und frequenzselektive Steuerung.
Prozessvariabilität
Die Herstellung einzelner Qubits ist extrem empfindlich gegenüber Prozessbedingungen. Eine Abweichung von wenigen Nanometern bei der Tunnelbarriere oder den Gating-Elektroden kann die Charakteristik eines Qubits entscheidend verändern. Inline-Metrologie und fehlerresiliente Entwurfsprinzipien (Design for Yield) gewinnen daher zunehmend an Bedeutung.
Automatisierte Testsysteme
Für industrielle Fertigung braucht es hochgradig automatisierte Charakterisierungsmethoden, mit denen Tausende Qubits pro Wafer vermessen, klassifiziert und kalibriert werden können – idealerweise direkt bei Tieftemperatur. Die Entwicklung sogenannter Cryo-Prober ist ein aktives Forschungsfeld.
Steuerung, Auslese und Fehlerkorrektur
Die Funktionalität festkörperbasierter Qubits hängt entscheidend von ihrer präzisen Steuerung, zuverlässigen Auslese und effektiven Fehlerkorrektur ab. Diese drei Elemente bilden das operative Rückgrat eines Quantenprozessors – ohne sie ist keine skalierbare Quanteninformationstechnologie denkbar.
Quantenkontrolle auf Mikrowellenbasis
Die Steuerung vieler festkörperbasierter Qubits – insbesondere bei supraleitenden Qubits und NV-Zentren – erfolgt über gezielte Mikrowellenimpulse. Diese Impulse induzieren kontrollierte Rotationen im Bloch-Raum und dienen der Implementierung von Logikgattern.
Resonante Steuerung
Die Qubit-Zustände werden über ihre Energieaufspaltung \hbar\omega_q definiert. Ein externer Mikrowellenimpuls mit Frequenz \omega, der dieser Energie entspricht, erzeugt eine Übergangswahrscheinlichkeit zwischen den Zuständen:
H_\text{int} = \hbar \Omega \cos(\omega t), \sigma_x
mit:
- \Omega – Rabi-Frequenz (Steuerstärke),
- \sigma_x – Pauli-X-Matrix.
Je nach Dauer und Amplitude des Impulses lassen sich unterschiedliche Operationen realisieren, z. B. eine \pi-Rotation für einen NOT-Gatter oder eine \pi/2-Rotation für Hadamard-artige Superpositionen.
Pulsformung und Detuning
Zur Minimierung von Leckeffekten (z. B. Übergänge in höhere Niveaus) werden Pulse mit spezieller Form wie Gaussian, DRAG (Derivative Removal by Adiabatic Gate) oder Square Envelopes eingesetzt. Auch das gezielte "Detuning" – also eine Frequenzabweichung zum Qubit – spielt bei Adiabaten eine Rolle.
Einzelqubit- und Zwei-Qubit-Gatter
Einzelqubit-Gatter
Einzelqubit-Gatter bilden die Basis jeder quantenlogischen Operation. Beispiele:
- X-Gatter: Bit-Flip
- Z-Gatter: Phasenverschiebung
- Hadamard-Gatter (H): Superposition
- Phase-Gatter (S, T): rotationssymmetrische Modulation
Diese Operationen werden durch Mikrowellenpulse oder bei Spinqubits durch EDSR (electric dipole spin resonance) realisiert.
Zwei-Qubit-Gatter
Zwei-Qubit-Gatter sind für Quantenverschränkung essenziell. Typische Varianten:
- Controlled-NOT (CNOT)
- Controlled-Z (CZ)
- iSWAP / SWAP
Die Umsetzung erfolgt je nach Plattform unterschiedlich:
- Supraleitende Qubits: mittels Kopplung über Bus-Resonatoren, parametrische Modulation, tunable couplers
- Spinqubits: über Austauschwechselwirkungen (H = J , \vec{S}_1 \cdot \vec{S}_2)
- NV-Zentren: optisch vermittelte Fernkopplung oder magnetische Dipolinteraktionen
Fidelity-Werte von >99 % für Einzelqubit-Gatter und ~98–99 % für Zwei-Qubit-Gatter gelten heute als Benchmark.
Gängige Fehlerkorrekturverfahren
Quantenfehlerkorrektur (Quantum Error Correction, QEC) ist notwendig, um trotz unvermeidlicher Dekohärenz zuverlässige Rechnungen durchzuführen. Ein Fehler in einem Qubit kann dabei nicht einfach „überschrieben“, sondern nur indirekt erkannt und durch Redundanz kompensiert werden.
Grundprinzip
Ein logisches Qubit wird in mehreren (oft Dutzenden oder Hunderten) physikalischen Qubits kodiert. Durch periodische Syndrome-Messungen wird erkannt, ob ein Bit- oder Phasenfehler aufgetreten ist – ohne dabei den Qubit-Zustand zu zerstören.
Surface Code
Der Surface Code ist das derzeit führende QEC-Schema für festkörperbasierte Architekturen. Er nutzt eine zweidimensionale Anordnung von Qubits, in der die logische Information durch topologische Stabilität geschützt ist. Fehler werden durch Messung sogenannter Stabilisatoroperatoren erkannt:
S = Z_1 Z_2 Z_3 Z_4 \quad \text{oder} \quad S = X_1 X_2 X_3 X_4
Surface Codes sind besonders robust gegen lokale Fehler, allerdings sehr qubitintensiv.
Andere Verfahren
- Bacon-Shor-Code: Gitterstruktur mit modularer Fehlerkorrektur
- Color Code: nutzt dreifarbige Anordnung der Qubits
- Cat-Qubits: Oszillatoren mit kohärenter Superposition (bosonische Codes)
Cross-Talk und Crosstalk-Minimierung
In realen Chips führt die Nähe zwischen Qubits sowie zwischen Leitungen und Qubits zu Crosstalk – also unerwünschten Kopplungen. Diese wirken sich störend auf Gatterfidelity und Kohärenz aus und stellen eine der größten praktischen Hürden bei der Skalierung dar.
Ursachen
- Kapazitive oder induktive Kopplung zwischen Leitungen
- Übersprechen durch gemeinsame Busleitungen
- Rauscheinflüsse durch unzureichende Filterung
- Nichtlineare Kopplungselemente mit „Leckpfaden“
Strategien zur Minimierung
- Frequenz-Domain-Isolation: Qubits operieren bei leicht unterschiedlichen Frequenzen
- Pulse Shaping: Nutzung von DRAG-Pulsen reduziert Übersprechen
- Shielding und Filterdesign: elektrostatischer und magnetischer Schutz durch Layoutoptimierung
- Tunable Coupler: Kopplungselemente, die im inaktiven Zustand vollständig entkoppeln
Durch systematische Optimierung von Architektur, Steuerprotokollen und Materialwahl lässt sich Crosstalk unter Kontrolle halten – eine zentrale Voraussetzung für die Verlässlichkeit großskaliger Quantenprozessoren.
Vergleich mit anderen Qubit-Plattformen
Festkörperbasierte Qubits sind nur eine von mehreren physikalischen Realisierungsformen der Quanteninformationsverarbeitung. Ihre Bewertung muss stets im Verhältnis zu alternativen Plattformen erfolgen, von denen jede ihre eigenen Stärken, Schwächen und Anwendungskontexte besitzt. In diesem Kapitel werden die wesentlichen Unterschiede zu drei bedeutenden Qubit-Technologien erläutert, bevor eine systematische Gegenüberstellung erfolgt.
Ionenfallen
Prinzip
Qubits in Ionenfallen bestehen aus einzelnen elektrisch geladenen Atomen (Ionen), die in einer elektromagnetischen Potentialfalle (z. B. Paul- oder Penning-Falle) in Vakuum isoliert sind. Die Qubit-Zustände basieren auf elektronischen Zuständen der Ionen und werden durch Laserimpulse manipuliert.
Eigenschaften
- Sehr lange Kohärenzzeiten (Sekundenbereich)
- Hohe Gatterfidelitäten (> 99,9 %)
- Präzise Adressierbarkeit einzelner Ionen
- Langsame Gatezeiten (μs bis ms-Bereich)
- Herausforderung bei Skalierung (begrenzte Ionenanzahl pro Falle)
Ionenfallen gelten als hochgenaue, gut kontrollierbare Systeme, jedoch mit begrenzter Integrationsfähigkeit und Geschwindigkeit. Sie eignen sich besonders für Fundamentalphysik und präzise Algorithmen im kleinen Maßstab (z. B. Quantenchemie-Simulationen).
Photonenbasierte Qubits
Prinzip
Hier wird die Quanteninformation durch Polarisationszustände, Pfadmoden oder Zeit-Bin-Zustände einzelner Photonen repräsentiert. Photonenbasierte Qubits sind verlustarm über große Distanzen übertragbar – ideal für Quantenkommunikation.
Eigenschaften
- Kein Dekohärenzverlust bei Übertragung im Vakuum oder in Fasern
- Herausforderung bei Wechselwirkung zwischen Photonen
- Schwierige deterministische Gatterimplementierung
- Exzellente Eignung für Quantenkommunikationsnetze
Plattformen wie Quantenoptik mit Nichtlinearitäten (z. B. auf Silizium-Nitrit-Wellenleitern) und photonische Chiparchitekturen sind Gegenstand intensiver Forschung, speziell im Kontext eines zukünftigen Quanteninternets.
Quantenpunkte in Flüssigkeiten oder Gase
Prinzip
In Flüssigkeiten oder kalten Gasen lassen sich Atome, Moleküle oder kolloidale Quantenpunkte als Qubits nutzen. Prominente Beispiele sind NMR-Qubits (Nuclear Magnetic Resonance) oder optisch adressierbare Atome in optischen Gittern.
Eigenschaften
- Sehr homogene Umgebungsbedingungen
- Einfache theoretische Beschreibung
- Allerdings stark beschränkte Skalierbarkeit
- Oft indirekte Kontrolle und Auslese über Ensembles
Diese Plattformen sind für skalierbare Quantencomputer weniger geeignet, spielen jedoch in der Grundlagenforschung und Quantenmetrologie eine zentrale Rolle.
Vor- und Nachteile von Festkörperlösungen im Überblick
Vorteile
Aspekt | Festkörperbasierte Qubits |
---|---|
Miniaturisierbarkeit | Sehr hoch – Integration in Nanostrukturen möglich |
Kompatibilität mit CMOS | Teilweise gegeben (bes. bei Spinqubits in Silizium) |
Rechenleistung (Taktfrequenz) | Hoch (GHz-Bereich, insbesondere bei supraleitenden Qubits) |
Skalierbarkeit | Prinzipiell gut durch planare Architekturen |
Integration mit klassischer Elektronik | Hoch, insbesondere bei supraleitender Steuerung |
Verfügbarkeit kommerzieller Systeme | Hoch (IBM, Google, Rigetti, Intel) |
Nachteile
Aspekt | Einschränkung |
---|---|
Kohärenzzeit | Kürzer als bei Ionenfallen (μs bis ms) |
Fehlertoleranz | Erfordert aufwendige Korrekturverfahren |
Betriebstemperatur | Extrem niedrig (typ. < 20 mK) |
Materialdefekte | Störungen durch Oberflächen- und Substratdefekte |
Crosstalk | Starke Herausforderung bei eng gepackten Architekturen |
Zusammenfassung
Festkörperbasierte Qubits sind der führende Kandidat für einen skalierbaren, technologisch integrierbaren Quantencomputer, insbesondere im Rahmen hybrider Quantenarchitekturen. Sie bieten einen praktikablen Kompromiss zwischen Kohärenz, Steuerbarkeit, Geschwindigkeit und industrieller Fertigungstauglichkeit. Während Ionenfallen und photonische Qubits in spezialisierten Nischen glänzen, bilden festkörperbasierte Plattformen das Rückgrat der meisten industriellen Quantenrechner-Initiativen im NISQ-Zeitalter.
Anwendungsbereiche und Technologieintegration
Festkörperbasierte Qubits haben sich in den letzten Jahren von experimentellen Prototypen zu integralen Komponenten in funktionalen Quantensystemen entwickelt. Ihre strukturelle Kompatibilität mit moderner Mikroelektronik, gepaart mit der Möglichkeit zur Skalierung, macht sie besonders attraktiv für industrielle Anwendungen und wissenschaftliche Großprojekte. Dieses Kapitel beleuchtet die wichtigsten Anwendungsbereiche, in denen festkörperbasierte Qubit-Technologien bereits heute eine zentrale Rolle spielen – oder in naher Zukunft spielen werden.
Quantencomputing
Logik, Simulation, Optimierung
Im Zentrum aller Anwendungen steht das Quantencomputing im engeren Sinne: die Durchführung von Rechenoperationen unter Ausnutzung von Superposition, Verschränkung und Quanteninterferenz. Festkörperbasierte Qubits bilden dabei die Hardwarebasis für folgende Aufgabentypen:
- Quantenlogik: Realisierung universeller Gattersets (z. B. Clifford+T-Gatter), die alle quantenlogischen Operationen ermöglichen.
- Quantenalgorithmen: Ausführung bekannter Algorithmen wie Shor (Primfaktorzerlegung), Grover (Suche), HHL (lineare Gleichungssysteme).
- Quanten-Simulation: Nachbildung komplexer Quantensysteme in Festkörperphysik, Quantenchemie oder Hochenergiephysik – ein Gebiet, das klassische Rechner schnell überfordert.
- Quantenoptimierung: Lösung kombinatorischer Probleme mittels Variational Quantum Eigensolver (VQE) oder Quantum Approximate Optimization Algorithm (QAOA).
Die Qubits in diesen Szenarien agieren als Träger logischer Zustände, die in Gate-Folgen manipuliert und in klassischen Daten transformiert werden. Die Relevanz für Industrie und Wissenschaft wächst stetig – insbesondere in Bereichen wie Wirkstoffdesign, Materialforschung, Verkehrsplanung und Finanzmodellierung.
Beispiele: IBM Q, Google Sycamore
Zwei der bedeutendsten Beispiele festkörperbasierter Quantenprozessoren sind:
- IBM Q-Systeme IBM verfolgt mit supraleitenden Transmon-Qubits einen modularen, cloudbasierten Ansatz. Systeme wie „IBM Eagle“ (127 Qubits) und „IBM Condor“ (1121 Qubits, geplant) zeigen die Skalierungsambitionen des Unternehmens. Der Zugriff auf IBM Q ist über die IBM Quantum Cloud öffentlich möglich und wird von Universitäten, Start-ups und Konzernen genutzt.
- Google Sycamore Google realisierte 2019 mit „Sycamore“ ein 54-Qubit-System, das in einer Benchmarkaufgabe (Zufallszahlverteilung) das klassische Rechensystem Summit in Rechenzeit deutlich unterbot – ein Meilenstein, der als Quantenüberlegenheit (Quantum Supremacy) bezeichnet wurde. Auch dieses System basiert auf supraleitenden Qubits, verbunden durch Mikrowellenresonatoren und gesteuert mit hochpräziser Pulsformung.
Beide Plattformen demonstrieren eindrucksvoll die Reife supraleitender Qubits für die Umsetzung realer Quantenrechnungen im NISQ-Zeitalter (Noisy Intermediate-Scale Quantum).
Quantenkommunikation
Obwohl Photonen als Informationsträger für Langstreckenkommunikation prädestiniert sind, leisten festkörperbasierte Qubits einen zentralen Beitrag zur Knotenpunkttechnologie – etwa als:
- Emitter einzelner Photonen mit definierter Polarisation oder Wellenlänge, z. B. über NV-Zentren in Diamant oder Quantenpunkte.
- Speichereinheit für Quanteninformation (Quantum Memory) innerhalb eines verteilten Kommunikationsnetzwerks.
- Zwischenelement (Node) in einem Quantenrepeater-System, das Verschränkung zwischen entfernten Qubits ermöglicht.
Ziel ist der Aufbau eines Quanteninternets, bei dem festkörperbasierte Qubits lokale Verarbeitung und Schnittstellen zu photonischer Übertragung realisieren – ein essenzieller Schritt hin zur sicheren, quantenbasierten Telekommunikation.
Quantenmetrologie und Sensorik
Ein besonders leistungsfähiges Anwendungsfeld festkörperbasierter Qubits ist die Quantenmetrologie – also die ultrapräzise Messung physikalischer Größen mit Hilfe quantenmechanischer Zustände.
Relevante Beispiele:
- Magnetfeldsensorik: NV-Zentren in Diamant detektieren extrem schwache Magnetfelder mit Nanometerauflösung, u. a. in Zellbiologie, Materialanalyse und neuronaler Forschung.
- Gravitationssensoren: Festkörperbasierte Oszillatoren mit quantenmechanischer Superposition liefern hochempfindliche Daten zur Schwerkraftverteilung – z. B. für Geodäsie und Rohstoffprospektion.
- Temperatursensorik: Qubits reagieren auf kleinste thermische Fluktuationen, nutzbar für Kalibrierung im Mikro- und Nanobereich.
Die Sensorik profitiert insbesondere von der Lokalität und Miniaturisierbarkeit festkörperbasierter Qubits – ideal für portable, integrierte Quantensensoren.
Verbindung zu klassischen Supercomputern
Ein zukunftsweisender Ansatz liegt in der Hybridisierung von Quantencomputern mit klassischen Supercomputern. Dabei übernimmt der Quantenrechner besonders schwierige Teilprobleme, etwa:
- Eigenwertprobleme großer Matrizen
- Such- und Optimierungsroutinen
- Zufallsverteilungen in hochdimensionalen Systemen
Festkörperbasierte Qubits sind für diesen Zweck besonders gut geeignet, da sie:
- mit klassischen Steuerchips gekoppelt werden können,
- hohe Taktfrequenzen ermöglichen,
- modular erweiterbar sind.
Konzepte wie QAOA (Quantum Approximate Optimization Algorithm) und VQE (Variational Quantum Eigensolver) arbeiten genau in diesem Hybridparadigma: ein klassischer Optimierer steuert einen quantenmechanischen Evaluator – typischerweise bestehend aus festkörperbasierten Qubits.
Große Rechenzentren wie Forschungszentrum Jülich, Oak Ridge National Laboratory oder Google AI investieren gezielt in derartige Kopplungen, um mittelfristig die Vorteile beider Welten zu kombinieren.
Aktuelle Forschungsprojekte und industrielle Initiativen
Die rasante Entwicklung festkörperbasierter Qubits ist untrennbar mit einer Vielzahl weltweit aktiver Akteure verbunden. Von führenden Universitäten über nationale Forschungsprogramme bis hin zu Technologiegiganten und spezialisierten Start-ups: Die Festkörperplattform hat sich als dominierende Hardwarelinie für skalierbare Quantencomputer etabliert. Dieses Kapitel zeigt die wichtigsten Player, Programme und Partnerschaften auf, die den Fortschritt auf diesem Gebiet derzeit maßgeblich vorantreiben.
Universitäten und Labore
ETH Zürich, TU Delft, Universität Oxford
- ETH Zürich – Quantum Device Lab Unter der Leitung von Andreas Wallraff forscht die ETH Zürich an supraleitenden Qubits, Kopplungsarchitekturen und Quantenschnittstellen. Die Gruppe ist führend in der Entwicklung skalierbarer Quantenprozessoren mit hoher Kohärenzzeit und treibt Projekte wie den „Zurich Instruments Quantum Computing Control System“ voran.
- TU Delft – QuTech QuTech ist ein gemeinsames Institut der Technischen Universität Delft und der niederländischen TNO. Es gilt als weltweit führend in der Forschung zu Spinqubits in Silizium und topologischen Qubits. Besonders bekannt ist die Gruppe um Lieven Vandersypen und Leo Kouwenhoven (Microsoft Quantum StationQ), die mit experimentellen Belegen für Majorana-Zustände Schlagzeilen machten.
- University of Oxford – Oxford Quantum Group Die Universität Oxford ist europäischer Vorreiter in der Entwicklung von fehlerkorrigierten Quantenarchitekturen mit supraleitenden und Spin-Qubits. Die Forschung ist stark in das britische UK National Quantum Technologies Programme eingebettet.
Forschungsprojekte wie QSolid, QUTEGA
- QSolid (Deutschland) Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), ist QSolid eines der ambitioniertesten deutschen Projekte im Bereich supraleitender Quantencomputer. Unter Leitung des Forschungszentrums Jülich arbeitet ein Konsortium aus Universitäten, Instituten und Unternehmen an einem skalierbaren, fehlerkorrigierbaren System „Made in Germany“.
- QUTEGA – Quantum Technologies in the German Automotive Industry Ziel ist die Anwendbarkeit von Quantencomputing in der Industrie – insbesondere in der Fahrzeugentwicklung. Festkörperbasierte Qubits stehen hier im Fokus, um praxisnahe Optimierungsprobleme effizient zu lösen.
Industrieakteure
IBM, Intel, Rigetti, Google, PsiQuantum
- IBM IBM gilt als Pionier industrieller Quantenentwicklung. Ihre öffentlich zugängliche Quantenplattform IBM Quantum Experience basiert auf supraleitenden Transmon-Qubits. Mit dem Roadmap-Ziel „Quantum Advantage by 2025“ baut IBM an skalierbaren Architekturen (z. B. IBM Condor mit 1121 Qubits).
- Intel Intel verfolgt einen CMOS-kompatiblen Ansatz mit Spinqubits in Silizium. Die Technologieplattform Horse Ridge wurde entwickelt, um Kryoelektronik und Qubitsteuerung effizient zu kombinieren. Ziel ist die Massenproduktion quantenkompatibler Chips.
- Rigetti Computing Das US-amerikanische Unternehmen setzt auf supraleitende Qubits und betreibt die Quanten-Cloudplattform Forest. Mit modularen 84-Qubit-Prozessoren („Aspen“) zielt Rigetti auf NISQ-Anwendungen in Optimierung und maschinellem Lernen.
- Google Quantum AI Google nutzt supraleitende Qubits mit höchster Gate-Fidelity. Das System Sycamore war das erste, dem die Demonstration einer Quantenüberlegenheit zugeschrieben wurde. Google verfolgt eine langfristige Vision eines fehlertoleranten Quantencomputers mit Millionen von Qubits.
- PsiQuantum PsiQuantum verfolgt einen einzigartigen Ansatz: einen skalierbaren Quantencomputer auf Basis photonischer Qubits – jedoch stark unterstützt durch Silizium-basierte Festkörperintegration. Ziel ist ein 1-Million-Qubit-System auf CMOS-fähigen Chips mit integrierter Optik.
Start-ups und Spin-offs
Neben den großen Tech-Konzernen entstehen weltweit zahlreiche Start-ups, die sich auf spezielle Aspekte festkörperbasierter Qubits konzentrieren:
- Quantum Motion (UK): Siliziumbasierte Spinqubits für skalierbare CMOS-Integration
- IQM Quantum Computers (Finnland): Supraleitende Qubit-Architekturen für europäische Quantenlösungen
- SeeQC (USA): Kombination von supraleitenden Qubits mit Kryo-CMOS-Steuerung
- Bleximo (USA): Spezialisiert auf anwendungsorientierte Quanten-Co-Prozessoren
- Zurich Instruments (Schweiz): Steuer- und Auslesehardware für festkörperbasierte Systeme
Internationale Kooperationen (z. B. EU Quantum Flagship, DARPA)
EU Quantum Flagship
Das 1-Milliarde-Euro-Programm der Europäischen Union fördert seit 2018 gezielt Quantenforschung, darunter zahlreiche Projekte mit Fokus auf festkörperbasierte Qubits:
- OpenSuperQ (Quantum Computing mit supraleitenden Qubits)
- Qu-Pilot (Fertigung von Quantenkomponenten auf Pilotlinien)
- QuTech und QuSpin (Integration und Materialentwicklung)
Ziel ist die Stärkung europäischer Souveränität und der Aufbau eines wettbewerbsfähigen Quantenökosystems.
DARPA – Quantum Information Science
Die US-amerikanische Forschungsagentur DARPA investiert seit den frühen 2000er-Jahren in Quantentechnologien, insbesondere in Plattformen mit militärischem oder strategischem Potenzial. Projekte wie „Quantum Benchmarking“, „ONISQ“ (Optimization with Noisy Intermediate-Scale Quantum devices) und „RevolutionQ“ fördern insbesondere supraleitende und spinbasierte Architekturen.
Weitere globale Initiativen
- Japan – Q-LEAP und RIKEN
- Kanada – Quantum Valley Investments (Waterloo)
- China – CAS (Chinese Academy of Sciences) Quantum Initiative
- Australien – Silicon Quantum Computing Ltd. (UNSW Sydney)
Diese Kooperationen verdeutlichen den globalen Charakter der Quantenforschung – mit festkörperbasierten Qubits als bevorzugte Hardwareplattform für Großprojekte.
Zukünftige Perspektiven und offene Fragen
Festkörperbasierte Qubits befinden sich an einem kritischen Wendepunkt: Einerseits haben sie bewiesen, dass sie hochgradig kontrollierbar, skalierbar und technologisch integrierbar sind. Andererseits stehen sie vor fundamentalen Herausforderungen, deren Bewältigung über die Zukunft des Quantencomputing entscheidet. In diesem Kapitel werden zentrale Perspektiven und offene Fragen diskutiert, die den Weg zur praktischen Nutzung und industriellen Etablierung festkörperbasierter Quantentechnologien prägen.
Fehlertoleranz und Quanten-Suprematie
Fehlertoleranz: Der nächste große Meilenstein
Aktuelle Quantenprozessoren, auch auf Basis supraleitender oder spinbasierter Qubits, befinden sich im sogenannten NISQ-Regime (Noisy Intermediate-Scale Quantum). In diesem Bereich ist zwar bereits Quanteninterferenz und Algorithmusausführung möglich, jedoch ohne vollständige Fehlerkorrektur. Der Übergang zur fehlertoleranten Quantenverarbeitung gilt als entscheidende Hürde.
Erforderlich ist:
- eine Gatterfehlerrate unterhalb des Fehlerkorrektur-Schwellenwerts (typ. \sim 10^{-4}),
- die Implementierung skalierbarer Fehlerkorrekturcodes (z. B. Surface Code),
- ein massiver Anstieg der physischen Qubitanzahl (mind. 10^4 - 10^6 für einen logischen Qubit in realistischen Anwendungen).
Festkörperbasierte Plattformen bieten die strukturelle Voraussetzung dafür – aber die vollständige Realisierung fehlt bislang.
Quanten-Suprematie: Symbolischer Durchbruch oder realer Fortschritt?
Mit dem Sycamore-Experiment 2019 demonstrierte Google eine Aufgabe, die auf einem klassischen Supercomputer (Summit) unpraktikabel war. Obwohl das Ergebnis umstritten diskutiert wurde, markierte es symbolisch die erste Quantenüberlegenheit (Quantum Supremacy) auf Basis festkörperbasierter Qubits.
Zukünftig wird sich jedoch zeigen müssen, ob diese Überlegenheit auch bei praktisch relevanten Problemen (Optimierung, Simulation, maschinelles Lernen) Bestand hat. Der Übergang von Suprematie zu Quantum Advantage – also der spürbare Vorteil gegenüber klassischen Verfahren in realen Anwendungen – ist noch nicht abgeschlossen.
Standardisierung und Interoperabilität
Der Mangel an Normen
Während klassische Computer auf standardisierten Hardware- und Softwarearchitekturen basieren (z. B. x86, IEEE, USB, PCIe), fehlt im Quantenbereich bislang eine einheitliche Basis. Jeder Hersteller nutzt eigene Steuerprotokolle, Steuerfrequenzen, Pulsformate, Quellcodesprachen und Messarchitekturen.
Konsequenzen
- Fehlende Vergleichbarkeit zwischen Qubit-Plattformen
- Schwierige Integration unterschiedlicher Subsysteme (z. B. Qubits + Klassiksteuerung + Auslese + Cloud)
- Hoher Entwicklungsaufwand bei Softwareportierungen
Initiativen
Mehrere Institutionen arbeiten an Standardisierungskonzepten:
- QIR (Quantum Intermediate Representation) von Microsoft
- OpenQASM (IBM)
- Qiskit, Cirq, Forest als offene Frameworks
- QuIC – Quantum Industry Consortium (EU)
Ziel ist eine interoperable Schicht zwischen Hardware, Compiler, Laufzeitumgebung und Anwenderprogrammierung, die herstellerübergreifend funktioniert – ähnlich dem Standard-Stack moderner IT-Systeme.
Quantencloud-Plattformen und Demokratisierung
Die Cloud als Zugangstor zur Quantenhardware
Festkörperbasierte Qubits sind in der Regel kryogen betrieben, aufwändig gekühlt und hochsensibel. Der physikalische Zugang ist für die breite Öffentlichkeit nicht realistisch – wohl aber der virtuelle Zugang über Quantencloud-Plattformen.
Beispiele:
- IBM Quantum Experience (IBM)
- Amazon Braket (mehrere Anbieter inkl. Rigetti, IonQ)
- Microsoft Azure Quantum
- Google Quantum Playground (bisher limitiert)
Diese Plattformen ermöglichen:
- Cloudbasierte Ausführung echter Quantenprogramme
- Schulungen und Bildung weltweit
- Frühzeitige Integration von Quantenalgorithmen in industrielle Softwarepipelines
- Hardwareabstraktion und Zugang zur Backend-Vielfalt
Demokratisierung der Quantenforschung
Quantenclouds ermöglichen es Universitäten, Unternehmen, Forschern und sogar Schülern weltweit, Quantenhardware zu nutzen, ohne in teure Infrastruktur investieren zu müssen. Damit wird eine neue Ära eingeleitet: Quantenforschung als verteilte, global zugängliche Ressource.
Langfristige Vision: Quanteninternet, QaaS, Hybridrechner
Quanteninternet
Ein vollständig verbundenes Quanteninternet würde es ermöglichen, verschränkte Qubits über große Distanzen zu übertragen – mit Anwendungen in:
- Quantenkryptografie (QKD)
- Verteiltem Quantencomputing
- Global synchronisierten Quantenuhren
- Resilienter Kommunikation in sicherheitskritischen Netzwerken
Festkörperbasierte Qubits (z. B. NV-Zentren, supraleitende Nodes) könnten hier als Knotenpunkte für photonische Schnittstellen und Verschränkungsmanagement fungieren.
QaaS – Quantum as a Service
Die Vision eines Quantum-as-a-Service-Modells beinhaltet standardisierte, on-demand verfügbare Quantendienste, bereitgestellt über die Cloud – ähnlich wie heutige HPC- oder AI-Dienste. Nutzer wählen aus:
- Logik-Gattermodelle
- Optimierungsframeworks
- Simulationstools
- Vortrainierte Quantenalgorithmen
Festkörperbasierte Qubit-Plattformen werden durch ihre hohe Rechenrate und Steuerbarkeit das Rückgrat dieser Entwicklung bilden.
Hybridrechner
Langfristig entsteht ein Hybridmodell aus klassischen und Quantenrechnern, das die Stärken beider Welten kombiniert:
- Klassische Systeme für Speicherintensität, sequenzielle Verarbeitung
- Quantenkomponenten für Parallelität, kombinatorische Tiefe, Wahrscheinlichkeitsverarbeitung
Diese Koexistenz wird nicht nur Rechenzentren, sondern auch industrielle Anwendungen, Embedded Systems und Spezialhardware wie medizinische Scanner oder Logistiksysteme grundlegend verändern.
Fazit
Festkörperbasierte Qubits als Schlüsseltechnologie
Festkörperbasierte Qubits haben sich als führende Technologieplattform im Rennen um leistungsfähige Quantencomputer etabliert. Ihre physikalische Realisierung in supraleitenden Schaltkreisen, Quantenpunkten oder Defektzentren ermöglicht es, die Prinzipien der Quantenmechanik in skalierbaren, technologisch kontrollierbaren Architekturen umzusetzen. Die Kombination aus Materialwissenschaft, Nanoelektronik und Quantenkontrolle hat ein System hervorgebracht, das heute bereits in industriellen Rechenzentren, Cloudplattformen und akademischen Laboren weltweit betrieben wird.
Zwischen Forschung und industrieller Reife
Trotz enormer Fortschritte stehen festkörperbasierte Qubits noch vor entscheidenden Hürden: Die fehlertolerante Skalierung, die Standardisierung der Schnittstellen und die langfristige Stabilität komplexer Qubit-Arrays sind Herausforderungen, die intensiver Forschung und präziser ingenieurtechnischer Umsetzung bedürfen. Gleichzeitig zeigen Systeme wie IBM Eagle, Google Sycamore oder QSolid eindrucksvoll, dass funktionierende Quantenprozessoren mit festkörperbasierter Hardware bereits Realität sind – und kontinuierlich verbessert werden.
Mehr als nur Rechenleistung: Breite Anwendungsspektren
Die Bedeutung festkörperbasierter Qubits geht weit über das Quantencomputing hinaus. Als Sensoren in der Quantenmetrologie, als Knoten im Quanteninternet oder als speicherfähige Einheiten in hybriden Systemen erschließen sie vielseitige Anwendungsfelder. Ihre Integration mit klassischer Mikroelektronik und photonischen Schnittstellen prädestiniert sie für interdisziplinäre Quantenlösungen der Zukunft.
Visionäre Perspektive für die nächste Dekade
Die kommenden Jahre werden von entscheidender Bedeutung sein: Gelingt der Sprung zur Fehlertoleranz, zur massiven Skalierung und zur ökosystemübergreifenden Interoperabilität, dann steht festkörperbasierten Qubits eine Schlüsselrolle in der nächsten Phase der digitalen Evolution bevor. Die Vision eines Quanteninternets, von „Quantum as a Service“ oder hybriden Exascale-Rechnern basiert auf ihrer strukturellen und physikalischen Stärke.
Schlussgedanke
Festkörperbasierte Qubits sind mehr als nur eine technische Umsetzung – sie verkörpern einen Paradigmenwechsel in der Informationsverarbeitung. Sie verbinden das Kontinuum der Materie mit der Diskretheit der Quantenphysik, das Engineering des 21. Jahrhunderts mit den Konzepten der fundamentalen Physik. Und sie eröffnen eine Zukunft, in der Rechenleistung nicht mehr nur in Transistoren, sondern in Quantenzuständen gemessen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Anhang
Führende akademische Forschungsinstitute und Laboratorien
ETH Zürich – Quantum Device Lab
Forschungsschwerpunkt: Supraleitende Qubits, Qubit-Kopplung, Gate-Fidelity, Integration mit Quantenschnittstellen. Leitung: Prof. Andreas Wallraff Link: https://qdl.phys.ethz.ch
TU Delft – QuTech
Forschungsschwerpunkt: Spinqubits in Silizium, topologische Qubits (Majoranas), Quantennetzwerke. Beteiligung: Microsoft Quantum StationQ, EU Quantum Flagship Link: https://qutech.nl
University of Oxford – Oxford Quantum Group
Forschungsschwerpunkt: Fehlerkorrektur, skalierbare Quantenarchitekturen, Quantensoftware Teil von: UK National Quantum Technologies Programme Link: https://www.physics.ox.ac.uk/research/oxford-quantum
UNSW Sydney – Silicon Quantum Computing
Pionierarbeiten zu Phosphor-Spinqubits und CMOS-kompatiblen Quantenstrukturen Leitung: Prof. Michelle Simmons Link: https://www.siliconquantum.com
Forschungszentrum Jülich – Institute for Quantum Control
Forschungsschwerpunkt: Supraleitende Qubits, Fehlerkorrektur, Kryoarchitekturen Zentraler Partner im Projekt QSolid Link: https://www.fz-juelich.de/ias/jsc/DE/Forschung/Quantencomputing/_node.html
Nationale und europäische Förderprojekte
QSolid – Quantencomputer „Made in Germany“
Ziel: Entwicklung eines fehlertoleranten supraleitenden Quantencomputers mit über 100 Qubits Förderung: BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) Projektseite: https://www.qsolid.de
QUTEGA – Quantencomputing in der Automobilentwicklung
Ziel: Übertragung von Quantentechnologien auf industrielle Optimierungsprobleme Beteiligte: Bosch, Volkswagen, Fraunhofer IAF, TU München Link: https://www.pt-it.pt-dlr.de/de/quantentechnologien/QUTEGA.php
EU Quantum Flagship
Ziel: Europaweite Bündelung von Quantenforschung in Hardware, Kommunikation, Simulation und Anwendungen Projekte mit festkörperbasierten Qubits: OpenSuperQ, Qu-Pilot, AQTION Übersicht: https://qt.eu
Industrieakteure mit Fokus auf festkörperbasierte Qubits
IBM Quantum
Technologie: Supraleitende Transmon-Qubits, Cloudplattform „IBM Quantum Experience“, Surface Code-Architektur Roadmap: >1000-Qubit-Prozessoren (Condor, Flamingo) Link: https://www.ibm.com/quantum
Intel – Quantum Computing Lab
Technologie: Spinqubits in isotopenreinem Silizium, Integration mit Cryo-CMOS (Horse Ridge-Chip) Standort: Oregon, USA Link: https://www.intel.com/content/www/us/en/research/quantum-computing.html
Rigetti Computing
Technologie: Modular skalierbare supraleitende Qubit-Chips („Aspen“), cloudfähige API (Forest) Link: https://www.rigetti.com
Google Quantum AI
Technologie: Sycamore-Prozessor (54 supraleitende Qubits), Fokus auf Quanten-Vorteil und Fehlertoleranz Forschungslabor: Santa Barbara, Kalifornien Link: https://quantumai.google
PsiQuantum
Technologie: Photonische Qubits auf CMOS-kompatiblen Chips, Vision eines 1-Million-Qubit-Systems Besonderheit: Integration von optischen Elementen in Siliziumchips Link: https://psiquantum.com
Hochspezialisierte Start-ups und Spin-offs
IQM Quantum Computers (Finnland)
Anwendung: Supraleitende Qubit-Architekturen mit besonderem Fokus auf europäische Souveränität Link: https://www.meetiqm.com
Quantum Motion (UK)
Technologie: Siliziumbasierte Spinqubits mit CMOS-Kompatibilität Link: https://quantummotion.tech
SeeQC (USA)
Fokus: Kombinierte Entwicklung von supraleitender Quantenhardware und Cryo-CMOS Link: https://seeqc.com
Zurich Instruments (Schweiz)
Spezialisiert auf: Hochpräzise Steuerungselektronik für supraleitende und spinbasierte Qubits Link: https://www.zhinst.com
Internationale Programme und strategische Allianzen
DARPA – Quantum Information Science
US-amerikanische Agentur für strategische Forschungsförderung in Quantenhardware, Simulation und Algorithmen Projekte: ONISQ, ReQIS, Quantum Benchmarking Link: https://www.darpa.mil/work-with-us/quantum-information-science
UK National Quantum Technologies Programme
Ziel: Aufbau eines vollständigen britischen Quantenökosystems, inkl. spin- und supraleitender Qubits Link: https://uknqt.ukri.org
Silicon Quantum Computing Ltd. (Australien)
Gründung durch UNSW Sydney, führend bei atomar präzisen Qubitstrukturen Link: https://www.sqc.com.au
Quantum Valley (Kanada)
Netzwerk rund um das Institute for Quantum Computing (IQC) in Waterloo, mit Schwerpunkt auf Technologie-Transfer Link: https://www.quantumvalleyideas.com