Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt ist eines der faszinierendsten Phänomene in der Physik der kondensierten Materie. Er markiert eine fundamentale Eigenschaft supraleitender Materialien: den vollständigen Ausschluss magnetischer Felder aus ihrem Inneren beim Übergang in den supraleitenden Zustand. Diese Beobachtung widerspricht auf den ersten Blick der Intuition, dass ein Material beim Verlust seines elektrischen Widerstands lediglich als perfekter Leiter wirkt und sich ein einmal vorhandenes Magnetfeld stabil in ihm aufrechterhält. Stattdessen wird das Magnetfeld aktiv verdrängt – ein Umstand, der sowohl experimentell als auch theoretisch bahnbrechend war.
Die Entdeckung dieses Effekts geht auf das Jahr 1933 zurück, als Walther Meißner und Robert Ochsenfeld in Berlin sorgfältige Messungen an supraleitenden Proben durchführten. Dabei stellten sie fest, dass beim Abkühlen eines Metalls unter seine kritische Temperatur nicht nur der elektrische Widerstand verschwindet, sondern zusätzlich ein bereits vorhandenes Magnetfeld aus dem Inneren der Probe herausgedrängt wird. Dieses Phänomen kann weder durch klassische Elektrodynamik noch durch einfache Konzepte des perfekten Leiters erklärt werden. Es erforderte neue theoretische Ansätze, die mit der London-Theorie, der Ginzburg-Landau-Theorie und später der BCS-Theorie entwickelt wurden.
Seither hat der Meißner-Ochsenfeld-Effekt eine zentrale Stellung in der Festkörperphysik und in der aufkommenden Quantentechnologie eingenommen. Er bildet die Grundlage für zahlreiche Anwendungen, die von extrem empfindlichen Magnetfeldsensoren (SQUIDs) bis hin zu supraleitenden Qubits in Quantencomputern reichen. Darüber hinaus ist der Effekt ein Schlüsselelement für das Verständnis der makroskopischen Quantenphänomene, die Supraleiter von gewöhnlichen Materialien unterscheiden.
In dieser Abhandlung wird der Meißner-Ochsenfeld-Effekt aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: von den historischen Wurzeln über die physikalischen Grundlagen, die mathematischen Modelle und experimentellen Nachweise bis zu seiner Bedeutung für die Quantentechnologie. Ziel ist es, ein umfassendes Bild dieses außergewöhnlichen Phänomens zu vermitteln und zugleich den Bogen zu aktuellen Forschungsfragen und technologischen Anwendungen zu schlagen.
Einführung in den Meißner-Ochsenfeld-Effekt
Historischer Hintergrund
Entdeckung durch Walther Meißner und Robert Ochsenfeld (1933)
Die experimentelle Entdeckung des Effekts geht auf eine Zeit zurück, in der die Supraleitung selbst erst wenige Jahrzehnte bekannt war. Nachdem Heike Kamerlingh Onnes 1911 erstmals die Widerstandslosigkeit von Quecksilber bei Temperaturen unter 4,2 Kelvin beobachtete, konzentrierte sich die Forschung zunächst auf die elektrische Leitfähigkeit. Erst 1933 führten Walther Meißner und Robert Ochsenfeld am Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin gezielte Experimente zur Untersuchung der magnetischen Eigenschaften supraleitender Materialien durch.
Sie kühlten eine zylindrische Zinnprobe in einem konstanten Magnetfeld ab und maßen die Feldverteilung. Überraschenderweise stellten sie fest, dass das Magnetfeld beim Erreichen der kritischen Temperatur vollständig aus dem Inneren der Probe verschwand, obwohl keine äußere Veränderung der Feldquelle erfolgte. Dieses Verhalten war unvereinbar mit der klassischen Vorstellung eines perfekten Leiters, in dem ein eingeschlossenes Magnetfeld unverändert verbleiben müsste.
Die Veröffentlichung dieser Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Naturwissenschaften“ markierte einen Wendepunkt in der Supraleitungsforschung. Der Effekt wurde fortan als „Meißner-Ochsenfeld-Effekt“ bezeichnet und gilt bis heute als definierendes Merkmal des supraleitenden Zustands.
Einordnung in die Entwicklung der Supraleitung
Die Entdeckung fiel in eine Phase intensiver theoretischer Auseinandersetzungen mit den Grundlagen der Supraleitung. Während der Widerstandslosigkeit zunächst eine rein elektrische Bedeutung zugeschrieben wurde, offenbarte der Meißner-Ochsenfeld-Effekt, dass Supraleitung ein thermodynamischer Ordnungszustand ist, der mit perfektem Diamagnetismus einhergeht.
Erst durch dieses Phänomen wurde klar, dass ein Supraleiter nicht bloß ein perfekter Leiter ist, sondern ein Material, das aktiv ein Magnetfeld ausstößt. In der Folge mussten neue Theorien entwickelt werden, um diesen Widerspruch zu erklären. Die London-Gleichungen (1935) stellten den ersten erfolgreichen Versuch dar, den Effekt mathematisch zu fassen. Später wurde das Konzept durch die Ginzburg-Landau-Theorie und schließlich durch die mikroskopische BCS-Theorie präzisiert.
Abgrenzung von anderen magnetischen Phänomenen
Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt darf nicht mit bekannten Effekten wie der elektromagnetischen Induktion oder dem Verhalten perfekter Leiter verwechselt werden.
Bei einem perfekten Leiter bleibt ein eingesperrtes Magnetfeld während der Kühlung konstant, da keine elektrische Dissipation auftritt. Im Gegensatz dazu verändert ein Supraleiter aktiv seinen magnetischen Zustand: Das Feld wird verdrängt, und der Fluss im Inneren sinkt auf null.
Zudem unterscheidet sich der Effekt klar von der Diamagnetismus-Definition herkömmlicher Materialien, bei denen nur eine schwache und proportionale Abstoßung externer Felder auftritt. Der perfekte Diamagnetismus des Supraleiters – auch idealer Diamagnetismus genannt – ist ein makroskopisches Quantenphänomen, das erst durch die supraleitende Kondensation zustande kommt.
Grundbegriffe der Supraleitung
Definition: Widerstandslosigkeit und perfekter Diamagnetismus
Die Supraleitung wird durch zwei Kerneigenschaften definiert:
- Widerstandslosigkeit: Unterhalb einer kritischen Temperatur verschwindet der elektrische Widerstand vollständig. Dies erlaubt verlustfreien Stromfluss, der in Experimenten über Jahre nachweisbar ist.
- Perfekter Diamagnetismus: Das Magnetfeld wird vollständig aus dem Inneren des Materials herausgedrängt. Mathematisch lässt sich dies durch die magnetische Suszeptibilität \chi = -1 ausdrücken.
Beide Eigenschaften treten gleichzeitig auf und bilden den supraleitenden Zustand.
London-Gleichungen als theoretische Grundlage
Fritz und Heinz London entwickelten 1935 ein Modell, das die makroskopischen elektromagnetischen Eigenschaften supraleitender Materialien beschreibt. Die London-Gleichungen lauten:
Erste London-Gleichung:
\frac{\partial \mathbf{J}_s}{\partial t} = \frac{n_s q_s^2}{m_s} \mathbf{E}
Diese beschreibt, dass ein elektrisches Feld \mathbf{E} zu einer beschleunigten Suprastromdichte \mathbf{J}_s führt.
Zweite London-Gleichung:
\nabla \times \mathbf{J}_s = -\frac{n_s q_s^2}{m_s} \mathbf{B}
Diese beschreibt die aktive Verdrängung des Magnetfeldes \mathbf{B}.
Aus der zweiten London-Gleichung folgt, dass das Magnetfeld innerhalb des Supraleiters exponentiell abfällt. Die charakteristische Länge, auf der das Feld verschwindet, ist die London-Penetrationstiefe \lambda_L:
\lambda_L = \sqrt{\frac{m_s}{\mu_0 n_s q_s^2}}
Typ-I- und Typ-II-Supraleiter im Vergleich
Supraleiter lassen sich nach ihrem Verhalten im Magnetfeld in zwei Klassen einteilen:
Typ-I-Supraleiter:
- Zeigen vollständigen Meißner-Effekt bis zum kritischen Feld H_c.
- Oberhalb dieses Feldes wird der supraleitende Zustand abrupt zerstört.
Typ-II-Supraleiter:
- Besitzen zwei kritische Felder H_{c1} und H_{c2}.
- Zwischen diesen Feldern bildet sich ein sogenanntes Mischzustandsregime (Shubnikov-Phase) mit quantisierten Flussröhrchen (Vortices).
- Wichtige technische Materialien wie Niob-Zinn oder Hochtemperatursupraleiter gehören zu dieser Klasse.
Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt tritt in reiner Form vor allem bei Typ-I-Supraleitern auf. Bei Typ-II-Supraleitern zeigt er sich nur unterhalb des unteren kritischen Feldes.
Physikalische Grundlagen des Effekts
Magnetische Feldverdrängung
Beschreibung des Effekts: vollständige Ausstoßung des Magnetfeldes
Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt manifestiert sich in der vollständigen Verdrängung des magnetischen Flusses aus dem Inneren eines Supraleiters, sobald die Temperatur unter den kritischen Wert sinkt. Im Experiment bedeutet das: Selbst wenn ein äußeres Magnetfeld schon existiert, bevor die Probe supraleitend wird, verschwindet es im supraleitenden Zustand nahezu vollständig aus dem Volumen des Materials.
Dieses Verhalten steht im Gegensatz zur Intuition, dass ein perfekter Leiter lediglich die zeitliche Änderung des Magnetfeldes kompensiert. Tatsächlich verändert der Supraleiter aktiv den Zustand seines Magnetfeldes und geht damit über reine Induktionsphänomene hinaus.
Zusammenhang zwischen Supraleitung und magnetischer Suszeptibilität
Die makroskopische magnetische Suszeptibilität \chi quantifiziert, wie stark ein Material auf ein äußeres Magnetfeld reagiert. Während konventionelle Diamagneten Werte von \chi \approx -10^{-5} bis -10^{-6} zeigen, beträgt die Suszeptibilität des supraleitenden Zustands exakt:
\chi = -1
Dies bedeutet, dass die Magnetisierung \mathbf{M} das äußere Magnetfeld \mathbf{H} exakt kompensiert:
\mathbf{B} = \mu_0 (\mathbf{H} + \mathbf{M}) = 0
Diese perfekte Kompensation führt zur vollständigen Ausstoßung des magnetischen Flusses und ist ein direktes Resultat der makroskopischen Quantenordnung im Supraleiter.
London-Gleichungen
Mathematische Herleitung
Die London-Gleichungen entstanden aus dem Versuch, den Meißner-Ochsenfeld-Effekt mit Maxwell’schen Gleichungen zu kombinieren. Ihre Herleitung beruht auf der Annahme einer verlustfreien Suprastromdichte \mathbf{J}_s und einer direkten Kopplung dieser Stromdichte an das Vektorpotential \mathbf{A}:
Zweite London-Gleichung in Differentialform:
\nabla \times \mathbf{J}_s = -\frac{n_s q_s^2}{m_s} \mathbf{B}
Durch die Anwendung der Rotation auf beide Seiten dieser Gleichung und Nutzung der Maxwell-Gleichung \nabla \times \mathbf{B} = \mu_0 \mathbf{J}_s erhält man:
\nabla \times (\nabla \times \mathbf{B}) = -\mu_0 \frac{n_s q_s^2}{m_s} \mathbf{B}
Mit der Vektoridentität \nabla \times (\nabla \times \mathbf{B}) = \nabla (\nabla \cdot \mathbf{B}) - \nabla^2 \mathbf{B} und der Forderung \nabla \cdot \mathbf{B} = 0 folgt:
\nabla^2 \mathbf{B} = \frac{1}{\lambda_L^2} \mathbf{B}
Hierbei bezeichnet \lambda_L die London-Penetrationstiefe:
\lambda_L = \sqrt{\frac{m_s}{\mu_0 n_s q_s^2}}
Konsequenzen für Magnetfelder in Supraleitern
Die London-Gleichung zeigt, dass das Magnetfeld im Inneren des Supraleiters kein beliebiges Muster annehmen kann. Stattdessen folgt es einer Differentialgleichung, deren Lösung einen exponentiellen Abfall beschreibt. Im eindimensionalen Fall (z.B. ebene Grenzfläche) lautet die Lösung:
B(x) = B_0 \cdot \exp\left(-\frac{x}{\lambda_L}\right)
Hierbei ist x der Abstand von der Oberfläche und B_0 das Magnetfeld direkt an der Grenzfläche.
Exponentieller Abfall der Magnetfeldstärke (London-Penetrationstiefe)
Die Penetrationstiefe \lambda_L beschreibt die charakteristische Länge, auf der das Feld auf etwa 37% seines Wertes abfällt. Typische Werte für klassische Supraleiter wie Blei oder Niob liegen bei einigen zehn bis hundert Nanometern.
Im Inneren der Probe (weit größer als \lambda_L) ist das Feld vernachlässigbar klein. Diese Eigenschaft erlaubt es, supraleitende Materialien als nahezu perfekte Abschirmungen gegen äußere Magnetfelder zu nutzen.
Thermodynamische Betrachtungen
Phasenübergang 1. Art
Der Übergang vom Normalleiter zum Supraleiter stellt einen Phasenübergang erster Ordnung dar, wenn er unter einem äußeren Magnetfeld erfolgt. Dabei ändern sich Magnetisierung und Entropie sprunghaft. Der Effekt kann thermodynamisch durch die Gibbs’sche freie Energie beschrieben werden:
G = U - T S - \mu_0 \int \mathbf{H} \cdot \mathbf{M} , dV
Der Zustand minimaler Gibbs-Energie entspricht dem supraleitenden Zustand, solange das äußere Magnetfeld unterhalb der kritischen Feldstärke liegt.
Gibbs’sche Freie Energie und Stabilitätskriterien
Die Stabilität des supraleitenden Zustands endet am kritischen Feld H_c. Oberhalb dieses Wertes wird der supraleitende Zustand instabil, und die Gibbs-Energie des Normalleiters ist niedriger. Für Typ-I-Supraleiter gilt die Bedingung:
H < H_c(T)
mit der Temperaturabhängigkeit des kritischen Feldes:
H_c(T) = H_c(0)\left[1 - \left(\frac{T}{T_c}\right)^2\right]
Hierbei bezeichnet T_c die kritische Temperatur.
Bedeutung der kritischen Temperatur
Die kritische Temperatur T_c definiert die Grenze, unterhalb derer supraleitende Phänomene auftreten. Sie ist materialspezifisch und hängt vom mikroskopischen Mechanismus der Cooper-Paar-Bildung ab. Materialien mit höherer T_c erlauben den Meißner-Ochsenfeld-Effekt bei weniger aufwändiger Kühlung, was insbesondere für technologische Anwendungen entscheidend ist.
Hochtemperatursupraleiter wie YBCO erreichen T_c-Werte über 90 Kelvin, wodurch die Kühlung mit flüssigem Stickstoff möglich wird.
Experimentelle Nachweise
Methodik der Messung
Kryotechnik und Präparation supraleitender Proben
Die präzise Untersuchung des Meißner-Ochsenfeld-Effekts setzt eine kontrollierte Abkühlung der Materialien unter ihre kritische Temperatur voraus. Hierfür wird Kryotechnik eingesetzt, die Temperaturen von wenigen Kelvin oder darunter ermöglicht. Gängige Kühlmethoden sind:
- Verdampfungskühlung mit flüssigem Helium (Temperaturen bis 1,5 Kelvin)
- Kühlung mit flüssigem Stickstoff (bei Hochtemperatursupraleitern)
- Closed-Cycle-Kühlsysteme auf Basis kryogener Kompressoren
Besonders wichtig ist die präzise Vorbereitung der Probenoberfläche, da Defekte, Oxidschichten oder Verunreinigungen die Feldverdrängung beeinflussen können. Hochreine Einkristalle oder epitaktisch gewachsene Schichten liefern die zuverlässigsten Ergebnisse.
Magnetometrie: Hallsonden, SQUIDs
Die quantitative Messung der magnetischen Flussdichte erfolgt vor allem durch Magnetometer hoher Empfindlichkeit. Zwei häufig eingesetzte Methoden sind:
Hallsonden:
Sie nutzen den Hall-Effekt, bei dem in einem stromdurchflossenen Leiter eine transversale Spannung proportional zur lokalen Flussdichte entsteht. Diese Sensoren erlauben es, Magnetfelder bis in den Bereich von Mikrotesla präzise zu bestimmen.
SQUIDs (Superconducting Quantum Interference Devices):
SQUIDs sind supraleitende Schleifen mit Josephson-Kontakten. Sie messen Änderungen des magnetischen Flusses in extrem hoher Auflösung, bis hin zu 10^{-14},\mathrm{T}. Mit dieser Technik kann man die Ausbildung des Meißner-Effekts in Echtzeit verfolgen.
Visualisierung durch Magnetfeldlinien (z. B. Eisenspäne-Experimente)
Zur anschaulichen Darstellung des Effekts werden oft Eisenspäne auf einem Träger über der Probe verteilt. Im Normalzustand richten sie sich entlang der Feldlinien aus und zeigen ein homogenes Magnetfeld. Wird die Probe unter T_c gekühlt, weichen die Späne von der Oberfläche zurück und visualisieren die Feldverdrängung.
Solche Experimente haben neben der wissenschaftlichen Bedeutung auch einen hohen didaktischen Wert, da sie den Effekt unmittelbar sichtbar machen.
Klassische Experimente Meißner und Ochsenfeld
Originalaufbau und Beobachtungen
Im Jahr 1933 führten Meißner und Ochsenfeld ihr richtungsweisendes Experiment mit einer Zinnprobe zylindrischer Form durch. Diese wurde in einem konstanten Magnetfeld mit einer Flussdichte von etwa 0,02,\mathrm{T} auf eine Temperatur unterhalb T_c abgekühlt.
Mittels einer speziellen Induktionsspule bestimmten sie die lokale Feldstärke. Ihre Messung zeigte einen drastischen Abfall der magnetischen Induktion im Inneren der Probe. Dieser Befund war der erste eindeutige Nachweis, dass Supraleitung mehr als nur Widerstandslosigkeit bedeutet.
Reproduzierbarkeit der Messungen
Bereits kurze Zeit nach der Erstveröffentlichung konnten andere Forschergruppen, unter anderem in Leiden und Cambridge, ähnliche Ergebnisse reproduzieren. Insbesondere das Verschwinden des Flusses beim Übergang in den supraleitenden Zustand wurde immer wieder bestätigt.
Die systematische Wiederholung der Experimente unter verschiedenen Bedingungen (Probengeometrie, Feldstärke, Kühlgeschwindigkeit) etablierte den Effekt als universelle Eigenschaft von Supraleitern.
Historische Fotografien und Protokolle
Die Originalprotokolle und Diagramme von Meißner und Ochsenfeld sind heute Teil der Wissenschaftsgeschichte. Die charakteristischen Kurven des Feldabfalls bei der Abkühlung gelten als ikonische Darstellungen. Historische Fotografien der Versuchsanordnungen illustrieren anschaulich, wie sorgfältig die Experimente damals geplant und durchgeführt wurden.
Moderne experimentelle Ansätze
Rasterkraftmikroskopie zur Feldverteilung
Mit der Entwicklung der Rasterkraftmikroskopie (AFM) wurde es möglich, die lokale Feldverteilung an der Oberfläche eines Supraleiters nanometergenau zu kartieren. Durch funktionalisierte Magnetspitzen kann man das Magnetfeld über der Probe zeilenweise abtasten.
Dieses Verfahren liefert hochaufgelöste Bilder, die den exponentiellen Abfall des Feldes über wenige Dutzend Nanometer belegen und somit die London-Theorie direkt bestätigen.
Neutronenstreuung und Muonen-Spin-Resonanz
Neutronenstreuung ist ein weiteres wichtiges Werkzeug zur Untersuchung der Magnetfeldstruktur im Inneren supraleitender Proben. Da Neutronen magnetisch sensitiv sind, können sie Details der Flussverteilung abbilden.
Ergänzend erlaubt die Muonen-Spin-Resonanz (μSR), das Magnetfeld an spezifischen Tiefen innerhalb der Probe zu messen. Eingeschossene Muonen agieren dabei als magnetische Sonden, deren Präzession Rückschlüsse auf das lokale Feld ermöglicht.
Fortschritte in der Charakterisierung von Typ-II-Supraleitern
In Typ-II-Supraleitern kann der Meißner-Ochsenfeld-Effekt nur unterhalb des unteren kritischen Feldes H_{c1} beobachtet werden. Oberhalb dieser Grenze bilden sich sogenannte Vortices – Bereiche mit normalleitendem Kern und quantisiertem Fluss.
Moderne Magnetometrie, Mikroskopie und Streumethoden erlauben die präzise Bestimmung der Flusslinienanordnung und ihrer Dynamik. Dies ist besonders relevant für die technische Anwendung, da die Bewegung der Vortices zu Energieverlusten führen kann (Flux-Flow-Widerstand).
Theoretische Modelle und Erweiterungen
Ginzburg-Landau-Theorie
Grundlagen der makroskopischen Theorie
Die Ginzburg-Landau-Theorie wurde 1950 von Witali Ginzburg und Lew Landau entwickelt und stellt einen Meilenstein der theoretischen Beschreibung der Supraleitung dar. Sie kombiniert Konzepte der Phasenübergangstheorie mit makroskopischen elektromagnetischen Gleichungen.
Zentrales Element ist die komplexe Ordnungsparameter-Funktion \psi(\mathbf{r}), deren Betrag das Maß der lokalen supraleitenden Dichte beschreibt:
|\psi(\mathbf{r})|^2 \propto n_s(\mathbf{r})
Die freie Energie eines Supraleiters wird in der Ginzburg-Landau-Theorie folgendermaßen formuliert:
F = F_n + \alpha |\psi|^2 + \frac{\beta}{2} |\psi|^4 + \frac{1}{2m^<em>} \left| \left( -i\hbar \nabla - q^</em> \mathbf{A} \right)\psi \right|^2 + \frac{|\mathbf{B}|^2}{2\mu_0}
Hier sind:
- \alpha, \beta: materialabhängige Parameter
- m^<em>, q^</em>: effektive Masse und Ladung der Cooper-Paare
- \mathbf{A}: Vektorpotential
Durch Variation der freien Energie ergeben sich die Ginzburg-Landau-Gleichungen für das Ordnungsparameterfeld und das Magnetfeld.
Zusammenhang mit der London-Theorie
Die London-Theorie lässt sich als Grenzfall der Ginzburg-Landau-Gleichungen ableiten, wenn die Ordnungsparameter-Amplitude |\psi| konstant gesetzt wird. Dann vereinfacht sich die Theorie auf eine Beschreibung nur der magnetischen Reaktion.
Die Ginzburg-Landau-Theorie geht jedoch darüber hinaus, da sie die Entstehung der supraleitenden Dichte als kontinuierlichen Übergang und räumliche Variation behandelt.
Vorhersage von Magnetfeldpenetration und Flussschläuchen
Ein wesentlicher Fortschritt der Ginzburg-Landau-Theorie war die Erklärung der beiden charakteristischen Längenskalen supraleitender Materialien:
- London-Penetrationstiefe \lambda (Abfall des Magnetfelds)
- Kohärenzlänge \xi (Variation des Ordnungsparameters)
Das Verhältnis \kappa = \lambda/\xi ist der Ginzburg-Landau-Parameter. Für \kappa < 1/\sqrt{2} handelt es sich um Typ-I-Supraleiter, für \kappa > 1/\sqrt{2} um Typ-II-Supraleiter.
Mit dieser Theorie wurde erstmals die Existenz quantisierter Flussschläuche (Vortices) korrekt vorhergesagt.
BCS-Theorie und mikroskopische Erklärung
Cooper-Paar-Bildung und Energielücke
Die 1957 veröffentlichte BCS-Theorie von Bardeen, Cooper und Schrieffer liefert die mikroskopische Grundlage für die Supraleitung. Kerngedanke ist die Bildung sogenannter Cooper-Paare: Zwei Elektronen mit entgegengesetztem Impuls und Spin bilden ein gebundenes Paar durch Wechselwirkung mit dem Ionengitter.
Das Vorhandensein dieser Paare führt zu einer Energielücke \Delta in der elektronischen Zustandsdichte. Kein Elektron kann energetisch innerhalb der Lücke angeregt werden, solange die Temperatur niedrig bleibt.
Konsequenzen für den Meißner-Ochsenfeld-Effekt
Die Existenz einer kohärenten Wellenfunktion der Cooper-Paare impliziert, dass supraleitende Ströme ungehindert fließen und ein homogenes Magnetfeld nicht stabil im Material existieren kann.
Die mikroskopische Berechnung zeigt, dass sich das Magnetfeld nur auf der Länge der London-Penetrationstiefe ins Material hinein ausbreitet:
B(x) = B_0 \cdot \exp\left(-\frac{x}{\lambda}\right)
Die BCS-Theorie bestätigt somit die Vorhersagen der London- und Ginzburg-Landau-Theorie und verbindet sie mit den quantenmechanischen Grundlagen.
Temperaturabhängigkeit der Feldverdrängung
Mit steigender Temperatur nimmt die Dichte der Cooper-Paare ab, bis sie bei T = T_c vollständig verschwindet. Entsprechend wächst die London-Penetrationstiefe gegen unendlich:
\lambda(T) = \lambda(0)\left[1 - \left(\frac{T}{T_c}\right)^4\right]^{-1/2}
Oberhalb T_c ist der Effekt nicht mehr nachweisbar, da das Material in den normalleitenden Zustand übergeht.
Vortices und Quantisierung des Magnetflusses
Abrikosov-Gitter
1964 zeigte Alexei Abrikosov, dass Typ-II-Supraleiter bei Magnetfeldern oberhalb H_{c1} einen Mischzustand einnehmen. Darin bilden sich Flussschläuche, die in regelmäßigen Abständen ein sogenanntes Abrikosov-Gitter bilden.
Jeder Flussschlauch enthält exakt ein Vielfaches des quantisierten magnetischen Flusses:
\Phi_0 = \frac{h}{2e} \approx 2,07 \times 10^{-15},\mathrm{Wb}
Fluxoid-Quantisierung
Die Fluxoid-Quantisierung bedeutet, dass der magnetische Fluss innerhalb eines supraleitenden Rings nur diskrete Werte annehmen darf. Diese Bedingung erklärt die Stabilität der Vortices und ihre Relevanz für supraleitende Schaltkreise.
Mathematisch formuliert lautet die Quantisierungsbedingung:
\oint \left(\mathbf{A} + \frac{m^<em>}{q^</em>}\mathbf{v}_s\right)\cdot d\mathbf{l} = n\Phi_0
wobei n eine ganze Zahl ist.
Übergang zu Typ-II-Verhalten
Bei weiter steigender Feldstärke nähern sich die Vortices zunehmend an. Oberhalb des oberen kritischen Feldes H_{c2} geht das System vollständig in den normalleitenden Zustand über.
Die Ausbildung des Mischzustandes ist entscheidend für die technische Anwendung von Supraleitern, da sie hohe Stromdichten ermöglichen, solange die Vortices immobilisiert werden.
Bedeutung in der Quantentechnologie
Supraleitende Qubits
Nutzung perfekten Diamagnetismus für Schaltkreise
Der perfekte Diamagnetismus des Meißner-Ochsenfeld-Effekts ist eine der zentralen Grundlagen moderner supraleitender Quantentechnologien. In supraleitenden Schaltkreisen wird dieser Effekt gezielt eingesetzt, um die empfindlichen Qubit-Zustände vor äußeren magnetischen Störungen zu schützen.
Ein supraleitender Stromkreis zeigt durch den Meißner-Effekt nicht nur Widerstandslosigkeit, sondern bleibt auch frei von durchdringenden Flusslinien, solange das Feld unterhalb des kritischen Wertes bleibt. Dies garantiert stabile Rahmenbedingungen für kohärente Quantenoperationen.
Einfluss des Meißner-Effekts auf die Kohärenzzeiten
Die Kohärenzzeit eines Qubits – also die Zeitspanne, über die seine quantenmechanische Überlagerung erhalten bleibt – wird wesentlich von magnetischem Rauschen beeinflusst. Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt schirmt das Innere des Schaltkreises ab, sodass Störfelder nicht in den supraleitenden Bereich eindringen.
Dadurch werden Dephasierungsmechanismen unterdrückt, die andernfalls die Lebensdauer des Qubit-Zustands stark verkürzen würden. Besonders in 3D-Resonatoren und Oberflächen-Schaltkreisen hat sich gezeigt, dass die Feldverdrängung entscheidend zur Erhöhung der Kohärenzzeiten beiträgt.
Design supraleitender Josephson-Junctions
Josephson-Kontakte sind dünne Tunnelbarrieren zwischen zwei supraleitenden Elektroden. Sie ermöglichen quantisierte Tunnelströme und sind elementarer Bestandteil fast aller supraleitenden Qubit-Typen, etwa:
Die Gestaltung dieser Kontakte berücksichtigt die magnetische Umgebung. Durch den Meißner-Effekt wird der supraleitende Bereich feldfrei gehalten, während gezielt eingeführte Flussquanten zur Kodierung von Informationen dienen.
Die Kontrolle von Flusslinien im Schaltkreis – einschließlich ihrer vollständigen Verdrängung – ist daher ein zentrales Designkriterium.
Magnetische Abschirmung
Anwendung in SQUIDs
SQUIDs (Superconducting Quantum Interference Devices) nutzen quantisierte Flussänderungen in supraleitenden Schleifen zur Messung extrem schwacher Magnetfelder. Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt sorgt dafür, dass nur die gewünschte Flussänderung durch den Ring tritt, während unerwünschte Felder abgeschirmt werden.
Ohne diesen Effekt wäre die hohe Empfindlichkeit von SQUIDs, die bis hinunter zu 10^{-14},\mathrm{T} reicht, nicht erreichbar.
Eliminierung störender Magnetfelder in Quantencomputern
Quantencomputer bestehen aus vielen supraleitenden Qubits, die in einer gemeinsamen kryogenen Umgebung betrieben werden. Um kohärente Operationen zu garantieren, müssen alle äußeren magnetischen Einflüsse reduziert werden.
Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt erlaubt die gezielte Abschirmung einzelner Bauteile. Viele Systeme verwenden zusätzliche supraleitende Schichten, die Magnetfelder vollständig verdrängen. Diese Abschirmung reduziert das Rauschen auf ein Niveau, bei dem Fehlerraten in kontrollierbaren Grenzen bleiben.
Fortschritte bei supraleitenden Materialien
Die Suche nach Materialien mit höheren kritischen Temperaturen und verbesserten Eigenschaften für Quantentechnologie ist ein aktives Forschungsgebiet. Neue Materialien wie Niobnitrid (NbN) oder Niobaluminium (NbAl) zeigen bei Temperaturen um 10–15 Kelvin noch stabilen Meißner-Effekt.
Darüber hinaus werden supraleitende Dünnschichten mit gezielter Kristallorientierung hergestellt, um Penetrationstiefe und kritische Felder zu optimieren. Solche Fortschritte erlauben leistungsfähigere Schaltungen bei einfacherer Kühltechnik.
Hybridarchitekturen
Kombination mit Topologischen Isolatoren
Ein aufkommender Forschungsbereich ist die Kombination supraleitender Materialien mit topologischen Isolatoren. Diese Hybridstrukturen bieten potenziell neuartige Qubit-Typen, die eine besonders hohe Fehlerrobustheit besitzen.
Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt sorgt hier dafür, dass der supraleitende Bereich feldfrei bleibt, während an der Grenzfläche quantisierte Flüsse oder Majorana-Zustände entstehen können.
Spintronische Anwendungen
In der Spintronik spielen magnetische Effekte auf nanoskopischer Skala eine zentrale Rolle. Supraleitende Kontakte werden genutzt, um Spin-Polarisationen zu manipulieren oder Spinströme zu detektieren.
Durch die perfekte Feldverdrängung lassen sich definierte magnetische Randbedingungen schaffen, die für das Funktionieren solcher Bauteile essenziell sind.
Quantenmetrologische Präzisionsmessungen
Supraleitende Systeme mit vollständiger Magnetfeldabschirmung ermöglichen metrologische Anwendungen höchster Präzision. Beispiele sind:
- Referenzspannungsnormale auf Basis Josephson-Effekts
- Stromnormale durch supraleitende Quantisierungsbedingungen
- Präzisionswaagen (z. B. Kibble-Waagen) zur Massebestimmung über magnetische Kräfte
Auch in diesen Anwendungen bildet der Meißner-Ochsenfeld-Effekt die Grundlage, um definierte, reproduzierbare Feldverhältnisse sicherzustellen.
Werkstoffwissenschaftliche Aspekte
Materialien und Herstellungsverfahren
NbTi, Nb3Sn, YBCO und andere Hochtemperatur-Supraleiter
Die Auswahl des geeigneten Materials ist entscheidend für die Ausprägung des Meißner-Ochsenfeld-Effekts und die Praxistauglichkeit supraleitender Anwendungen.
Zu den klassischen metallischen Supraleitern zählen:
- Niob-Titan (NbTi):
Kritische Temperatur T_c \approx 9,2,\mathrm{K}, weit verbreitet in Magnetspulen für MRT und Teilchenbeschleuniger. - Niob-Zinn (Nb3Sn):
T_c \approx 18,\mathrm{K}, höhere obere kritische Felder, jedoch sprödes Verhalten. - Blei (Pb):
Typ-I-Supraleiter, T_c \approx 7,2,\mathrm{K}, oft in Lehr- und Demonstrationsexperimenten.
Mit der Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleiter (HTSL) hat sich das Spektrum entscheidend erweitert:
- Yttrium-Barium-Kupferoxid (YBCO):
T_c \approx 93,\mathrm{K}, ermöglicht Kühlung mit flüssigem Stickstoff. - Bi-Sr-Ca-Cu-Oxide (BSCCO):
Kritische Temperaturen bis über 100 Kelvin.
Die Hochtemperatur-Supraleiter zeigen ebenfalls den Meißner-Effekt, jedoch mit einer komplexeren, anisotropen Feldverdrängung.
Dünnschichttechnologien und epitaktisches Wachstum
Für Anwendungen in Quantentechnologien oder Sensorik werden Supraleiter häufig als Dünnschichten hergestellt. Typische Verfahren sind:
- Magnetron-Sputtern
- Elektronenstrahlverdampfung
- Pulsed-Laser-Deposition
Besonders wichtig ist das epitaktische Wachstum, bei dem die Kristallstruktur des Substrats die Orientierung der Supraleiterschicht vorgibt. Eine perfekte Kristallorientierung minimiert Korngrenzen, die als Eintrittspunkte für Flusslinien dienen könnten. Dadurch wird der Meißner-Ochsenfeld-Effekt homogener ausgeprägt und die Penetrationstiefe besser kontrollierbar.
Einfluss der Kristallstruktur auf die Penetrationstiefe
Die London-Penetrationstiefe \lambda hängt nicht nur von der Cooper-Paar-Dichte, sondern auch von der Mikrostruktur ab. In anisotropen Materialien wie YBCO unterscheiden sich die Penetrationstiefen je nach Kristallachse erheblich:
- Entlang der CuO2-Ebenen: geringe Penetrationstiefe
- Senkrecht zu den Ebenen: deutlich größere Penetrationstiefe
Diese Anisotropie hat weitreichende Konsequenzen für die magnetische Abschirmung und die kritischen Felder. Werkstoffentwicklung zielt deshalb darauf ab, durch kontrollierte Kristallorientierung eine optimale Feldverdrängung zu erreichen.
Kritische Felder und Stromdichten
Messung und Optimierung
Die kritischen Felder eines Supraleiters definieren, in welchem Bereich der Meißner-Ochsenfeld-Effekt stabil ist. Zur Bestimmung der kritischen Feldstärken werden präzise Magnetisierungs- und Transportmessungen durchgeführt.
Wichtige Größen sind:
- Das thermodynamische kritische Feld H_c bei Typ-I-Supraleitern
- Das untere H_{c1} und obere H_{c2} kritische Feld bei Typ-II-Supraleitern
Durch Dotierung, Mikrostrukturkontrolle und Reinheitsgrad lassen sich diese Parameter gezielt verbessern.
Grenzwerte für technische Anwendungen
In praktischen Anwendungen müssen Supraleiter hohe Ströme und Felder aushalten, ohne ihren supraleitenden Zustand zu verlieren. Hierfür wird die kritische Stromdichte J_c als Grenzwert definiert. Typische Werte reichen von 10^7 bis 10^{10},\mathrm{A/m^2}, je nach Material und Temperatur.
Hochtemperatur-Supraleiter erlauben höhere kritische Felder, sind jedoch oft empfindlicher gegenüber Flusslinienbewegung, die zu Energieverlusten führen kann.
Stabilität gegen Flusslinienbewegung
Ein zentrales Problem bei Typ-II-Supraleitern ist die Bewegung der Vortices unter Einfluss von Lorentzkraft, sobald Strom fließt. Diese Bewegung erzeugt Dissipation und limitiert die Leistungsfähigkeit supraleitender Bauelemente.
Deshalb werden gezielt Defektstrukturen eingebracht (sogenannte Pinning-Zentren), um die Flusslinien festzuhalten und Bewegungen zu verhindern.
Erfolgreiches Pinning stellt sicher, dass der Meißner-Ochsenfeld-Effekt im mittleren Bereich der Probe wirksam bleibt, selbst bei hohen Feldern und Strömen.
Offene Fragestellungen und aktuelle Forschung
Nanostrukturierte Supraleiter
Skalierungseffekte und Grenzflächenphänomene
Mit dem zunehmenden Interesse an nanoskaligen Quantentechnologien rücken supraleitende Materialien in bisher unerforschte Größenordnungen vor. In Nanostrukturen treten Skalierungseffekte auf, die den klassischen Meißner-Ochsenfeld-Effekt verändern.
Wenn der Durchmesser eines supraleitenden Drahts oder Films kleiner wird als die London-Penetrationstiefe \lambda, kann das Magnetfeld die Struktur teilweise oder vollständig durchdringen. Gleichzeitig wirken Grenzflächenenergie, Oberflächenrauhigkeit und Elektroneneinschlüsse stärker auf den supraleitenden Zustand ein.
Diese Effekte führen zu komplexen Feldverteilungen und einer teilweise inhomogenen Verdrängung, die sich von makroskopischen Proben unterscheidet.
Meißner-Ochsenfeld-Effekt in Quantenpunkten
Ein besonders aktives Forschungsfeld sind supraleitende Quantenpunkte, also nanoskalige Inseln, die nur wenige tausend Cooper-Paare enthalten.
In diesen Systemen werden fundamentale Fragen untersucht:
- Wie „groß“ muss ein Supraleiter sein, um einen stabilen Meißner-Effekt zu zeigen?
- Gibt es eine untere kritische Größe, unterhalb derer der Effekt verschwindet?
- Welche Rolle spielt die Kopplung an das umgebende Metall oder Isolator?
Experimente mit SQUIDs, Rastersondenmikroskopie und Transportmessungen liefern erste Antworten, doch die vollständige Theorie für Meißner-Effekte in Quantenpunkten ist noch nicht abgeschlossen.
Unkonventionelle Supraleitung
Triplet-Paarung und p-Welle
Neben den klassischen s-Wellen-Supraleitern (BCS-Typ) gibt es Materialien, in denen sich unkonventionelle Paarungsmechanismen realisieren. Dazu zählen Triplet-Paarungen, bei denen zwei Elektronen mit parallelem Spin gekoppelt sind, sowie p-Wellen-Supraleiter wie Strontiumruthenat (Sr2RuO4).
In solchen Systemen ist der Meißner-Ochsenfeld-Effekt nicht immer identisch mit dem klassischen Verhalten:
- Die Penetrationstiefe kann anisotrop sein.
- Die Feldverdrängung kann richtungsabhängig variieren.
- Teilweise entstehen spontane Ströme an den Rändern.
Diese Phänomene deuten auf komplexe Zusammenhänge zwischen Symmetrie der Paarung und magnetischen Eigenschaften hin.
Relevanz für Meißner-ähnliche Effekte
Es wird intensiv erforscht, ob unkonventionelle Supraleiter neue Formen des Meißner-Effekts zeigen, beispielsweise:
- Teilweise Feldverdrängung in Abhängigkeit von der Domänenstruktur.
- Kombination von Meißner- und Spontanmagnetisierungseffekten.
Solche Mechanismen könnten in Quantencomputern oder topologischen Systemen genutzt werden, um robuste Zustände zu erzeugen.
Theoretische Vorhersagen
Topologische Aspekte der Feldverdrängung
In den letzten Jahren hat sich ein neues Verständnis entwickelt, das den Meißner-Effekt mit topologischen Eigenschaften supraleitender Zustände verknüpft.
Theoretische Modelle sagen voraus, dass die Quantisierung der Flusslinien nicht nur auf energetischen, sondern auch auf topologischen Invarianten basiert. Insbesondere in zweidimensionalen Materialien wie Graphen oder topologischen Isolatoren wird untersucht, ob spezielle Randzustände existieren, die den Meißner-Effekt verändern oder ergänzen.
Verknüpfung mit Quantenvakuum-Effekten
Ein visionärer Forschungsansatz besteht in der Verbindung des Meißner-Ochsenfeld-Effekts mit Phänomenen des Quantenvakuums, wie dem Casimir-Effekt oder Vakuumpolarisation.
Hypothesen gehen davon aus, dass supraleitende Grenzflächen als perfekte Reflektoren für Vakuumfluktuationen agieren könnten. In diesem Zusammenhang könnte der Meißner-Effekt auch auf fundamentaler Ebene ein Modell liefern, wie makroskopische Quantenordnungen mit dem elektromagnetischen Nullpunktfeld interagieren.
Zukunftsperspektiven
Fortschritt in Quantencomputing
Supraleitende Logikbausteine
Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt wird in der nächsten Generation von Quantencomputern eine noch größere Rolle spielen. Die Entwicklung supraleitender Logikbausteine profitiert direkt davon, dass supraleitende Schaltkreise magnetische Felder aktiv verdrängen und so ein stabiles, rauscharms Umfeld schaffen.
Logikelemente wie Josephson-Transistoren oder Flux-Qubits lassen sich durch die präzise Kontrolle des eingeschlossenen Flusses programmieren. Fortschritte in der Mikro- und Nanofabrikation erlauben es, supraleitende Schaltkreise in hoher Dichte auf Chips zu integrieren, ohne dass sich die Felder gegenseitig stören.
Die Fähigkeit, perfekte Diamagneten zu kombinieren, wird den Bau skalierbarer Qubit-Architekturen entscheidend vorantreiben.
Energieeffiziente Schaltkreise durch perfekte Diamagneten
Ein weiteres Zukunftsfeld ist der Aufbau extrem energieeffizienter Rechensysteme. Da supraleitende Leitungen keinerlei ohmsche Verluste aufweisen, lassen sich logische Operationen mit minimalem Energieaufwand ausführen.
Der Meißner-Effekt trägt dazu bei, parasitäre Induktionsströme zu eliminieren. So können Milliarden Operationen pro Sekunde realisiert werden, ohne dass Wärmeverluste auftreten – eine Eigenschaft, die bei klassischen Halbleitern fundamental limitiert ist.
Solche Systeme könnten künftig in Rechenzentren oder Kryptographie-Anwendungen zum Einsatz kommen.
Anwendungen in der Sensorik
Ultra-sensitive Magnetometer
In der Sensorik sind supraleitende SQUIDs heute bereits Standardinstrumente. Mit weiter verbesserter Materialqualität, dünneren Schichten und optimierter Abschirmung durch den Meißner-Ochsenfeld-Effekt lässt sich ihre Empfindlichkeit noch erheblich steigern.
Zukünftige SQUIDs werden möglicherweise Feldschwankungen im Bereich von 10^{-17},\mathrm{T} detektieren können. Dies eröffnet Perspektiven für Grundlagenforschung, z. B. beim Nachweis dunkler Materie oder extrem schwacher biomagnetischer Signale.
Quantenmedizinische Bildgebung
Die Medizintechnik entwickelt derzeit bildgebende Verfahren, die supraleitende Sensoren nutzen, um Herz- und Gehirnaktivität mit bisher unerreichter Präzision darzustellen.
Magnetoenzephalographie (MEG) oder Magnetokardiographie (MCG) profitieren davon, dass supraleitende Sensoren durch den Meißner-Effekt gegen Umgebungsrauschen abgeschirmt werden. Künftige Systeme könnten nichtinvasive Diagnostik auf ein neues Niveau heben.
Materialinnovationen
Suche nach Raumtemperatur-Supraleitern
Eines der großen Ziele der Materialforschung ist die Entwicklung von Supraleitern, die auch bei Raumtemperatur den Meißner-Ochsenfeld-Effekt zeigen.
Erste Erfolge in Hochdruckexperimenten (z. B. Schwefelwasserstoff bei über 200 GPa) haben gezeigt, dass supraleitende Zustände bis über 250 Kelvin erreichbar sind. Die Herausforderung besteht nun darin, solche Materialien auch bei Umgebungsdruck stabil zu machen.
Ein Raumtemperatur-Supraleiter würde das Paradigma der Energieübertragung und -speicherung grundlegend verändern. Feldverdrängung ohne Kryotechnik könnte viele heutige Anwendungen revolutionieren.
Perspektive für industrielle Großanwendungen
Wenn supraleitende Materialien künftig einfacher herstellbar und robust einsetzbar werden, ergeben sich vielfältige Perspektiven:
- Stromleitungen mit vollständiger Magnetfeldabschirmung
- Induktionssysteme mit verlustfreien Spulen
- Magnetschwebetechnik mit minimalem Kühlaufwand
- Quantentechnologien für Kommunikation und Sensorik
In all diesen Anwendungen bildet der Meißner-Ochsenfeld-Effekt die physikalische Grundlage für perfekte Feldverdrängung, Energieeffizienz und Stabilität.
Fazit
Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse
Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt ist weit mehr als eine historische Kuriosität. Er stellt ein grundlegendes Ordnungsprinzip supraleitender Materie dar und bildet die Brücke zwischen makroskopischer Thermodynamik und mikroskopischer Quantenmechanik.
Die Entdeckung durch Walther Meißner und Robert Ochsenfeld im Jahr 1933 veränderte das Verständnis von Supraleitung entscheidend. Seither haben Theorien wie die London-Gleichungen, die Ginzburg-Landau-Theorie und die BCS-Theorie eine präzise Beschreibung der Feldverdrängung geliefert.
Experimentell konnte der Effekt über Jahrzehnte hinweg mit immer größerer Genauigkeit nachgewiesen und visualisiert werden – von klassischen Messspulen bis hin zu SQUIDs und Rastersondenverfahren.
Bedeutung des Meißner-Ochsenfeld-Effekts für Theorie und Anwendung
Für die Theorie hat der Effekt eine doppelte Bedeutung:
- Er definiert, was einen Supraleiter von einem perfekten Leiter unterscheidet.
- Er zeigt, dass makroskopische Quantenzustände zu völlig neuen Materialeigenschaften führen können.
In der Anwendung bildet der Meißner-Ochsenfeld-Effekt die Grundlage für viele Schlüsseltechnologien:
- Magnetische Abschirmung in SQUIDs und Quantencomputern
- Verlustfreie Stromübertragung und Energietechnik
- Präzise Feldkontrolle in der Quantenmetrologie
Seine technische Relevanz wird in den kommenden Jahrzehnten weiter steigen, insbesondere durch Fortschritte in der Materialforschung und Miniaturisierung.
Ausblick auf künftige Herausforderungen
Die Zukunft der Supraleitung wird maßgeblich davon bestimmt, ob es gelingt, Materialien mit noch höheren kritischen Temperaturen und stabilen Meißner-Eigenschaften zu entwickeln. Raumtemperatur-Supraleiter sind kein bloßer Traum mehr, sondern ein konkretes Forschungsziel.
Gleichzeitig stehen wir vor der Aufgabe, die komplexen Phänomene in nanoskaligen Systemen, an Grenzflächen und in topologischen Hybridstrukturen zu verstehen. Hier eröffnet sich ein Feld, in dem sich Grundlagenforschung und Technologieentwicklung eng verzahnen.
Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt bleibt somit auch in Zukunft ein zentrales Thema der Quantenmaterialforschung und ein faszinierendes Beispiel für die Kraft kollektiver Quantenphänomene.
Mit freundlichen Grüßen
Literaturverzeichnis
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https://www.superconductors.org - arXiv.org – Preprint-Server für Physik, speziell die Sektion Superconductivity (cond-mat.supr-con):
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https://iopscience.iop.org/journal/0953-2048 - European Society for Applied Superconductivity (ESAS):
https://www.applied-superconductivity.org - CERN Document Server – Berichte zu supraleitenden Magneten:
https://cds.cern.ch
Hinweis:
Dieses Literaturverzeichnis umfasst „Primärquellen historischer Entdeckungen, maßgebliche theoretische Grundlagenarbeiten, moderne Übersichtsartikel, führende Fachbücher sowie aktuelle Online-Datenbanken“. Es eignet sich als solide Basis sowohl für wissenschaftliche Abhandlungen als auch für vertiefte Forschungsprojekte.