Die Quantenteleportation hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten von einem rein theoretischen Konzept zu einer der aufregendsten technologischen Errungenschaften der modernen Quantenphysik entwickelt. Die Möglichkeit, einen Quantenzustand über große Distanzen hinweg zu übertragen, ohne dass dabei Teilchen physisch durch den Raum reisen, stellt nicht nur ein radikales Umdenken in der Informationsübertragung dar, sondern wirft auch grundlegende Fragen zur Natur der Realität, zur Rolle der Verschränkung und zu den Grenzen klassischer Kommunikation auf.
Diese Abhandlung befasst sich mit einem der spektakulärsten Durchbrüche auf diesem Gebiet: der erfolgreichen Quantenteleportation über eine Distanz von mehr als 1200 Kilometern, durchgeführt vom chinesischen Physiker Jian-Wei Pan und seinem Team unter Verwendung des Quantenkommunikationssatelliten „Micius“. Um dieses Phänomen in seiner Tiefe zu verstehen, ist es notwendig, sowohl die theoretischen Grundlagen als auch die experimentellen Meilensteine zu beleuchten, die diesen Fortschritt möglich gemacht haben.
Definition und Abgrenzung des Begriffs „Quantenteleportation“
Quantenteleportation bezeichnet in der Quantenphysik die Übertragung eines beliebigen Quantenzustands von einem physikalischen System A (Sender) auf ein entferntes System B (Empfänger), ohne dass der Zustand durch den Raum bewegt wird. Zentral ist dabei, dass die Information über den Zustand durch eine Kombination von Quantenverschränkung und klassischer Kommunikation übertragen wird.
Es handelt sich nicht um Teleportation im science-fiction-haften Sinne eines Materietransports. Vielmehr wird die exakte Quantenzustandsinformation eines Teilchens (z. B. eines Photons oder Qubits) zerstört und an einem entfernten Ort rekonstruiert. Die physikalische Grundlage liefert die Quantenverschränkung, die eine nichtlokale Korrelation zwischen zwei Teilchen beschreibt, selbst wenn diese sich über Lichtjahre hinweg voneinander entfernt befinden.
Formal lässt sich ein beliebiger Quantenzustand wie folgt schreiben:
|\psi\rangle = \alpha |0\rangle + \beta |1\rangle
mit \alpha, \beta \in \mathbb{C} und |\alpha|^2 + |\beta|^2 = 1.
Der Teleportationsvorgang ermöglicht es, diesen Zustand mithilfe eines verschränkten Teilchenpaares und klassischer Kommunikation an einem anderen Ort zu rekonstruieren – unter der Bedingung, dass das ursprüngliche Teilchen nicht mehr existiert.
Historischer Hintergrund und theoretische Wurzeln
Die theoretische Idee der Quantenteleportation ist relativ jung, eingebettet jedoch in ein jahrzehntelanges Spannungsfeld zwischen klassischen Vorstellungen von Lokalität und der quantenmechanischen Nichtlokalität. Ein entscheidender Impuls ging vom sogenannten EPR-Paradoxon (Einstein, Podolsky, Rosen, 1935) aus, das die quantenmechanische Beschreibung als unvollständig betrachtete.
Erst mit der Formulierung und experimentellen Bestätigung der Bellschen Ungleichung durch John Bell (1964) und späteren Experimenten – insbesondere durch Alain Aspect in den 1980er-Jahren – wurde klar, dass Quantenverschränkung keine verborgenen Variablen benötigt, sondern ein reales physikalisches Phänomen darstellt.
Auf dieser Grundlage entwickelten Bennett et al. im Jahr 1993 das theoretische Protokoll zur Quantenteleportation. Sie zeigten, dass es möglich ist, den Zustand eines Quantensystems durch ein dreistufiges Verfahren zu übertragen:
- Erzeugung eines verschränkten Teilchenpaars
- Durchführung einer gemeinsamen Bell-Messung am Originalzustand und einem der verschränkten Teilchen
- Übertragung der Messergebnisse über einen klassischen Kanal an den Empfänger, der auf Basis dieser Information den ursprünglichen Zustand rekonstruieren kann.
Diese Arbeit war der theoretische Grundstein für alle späteren experimentellen Umsetzungen.
Zielsetzung und Relevanz der Abhandlung
Diese Abhandlung verfolgt das Ziel, die Grundlagen, Herausforderungen und Perspektiven der Quantenteleportation über große Distanzen systematisch darzustellen. Insbesondere soll ein vertieftes Verständnis für folgende Aspekte entwickelt werden:
- Wie funktioniert Quantenteleportation im Detail – sowohl mathematisch als auch experimentell?
- Welche technischen Hürden bestehen bei der Übertragung über große Entfernungen?
- Warum gilt Jian-Wei Pans Experiment als historischer Durchbruch?
- Welche Anwendungen ergeben sich aus dieser Technologie, insbesondere im Kontext globaler Quantenkommunikation und des künftigen Quanteninternets?
Durch eine klare Gliederung in theoretische Grundlagen, experimentelle Entwicklungen und praktische Implikationen soll ein umfassendes Bild der Quantenteleportation entstehen – von den ersten Ideen bis zur globalen Skalierung.
Darüber hinaus wird die Rolle von Schlüsselpersonen und -projekten gewürdigt, insbesondere die des chinesischen Physikers Jian-Wei Pan, dessen Beitrag als paradigmatisch für den Übergang von Theorie zur praktischen Anwendung gesehen werden kann.
Kurzvorstellung: Jian-Wei Pan und seine Rolle in der Quantenforschung
Jian-Wei Pan (*1970), oft als „Vater des Quanteninternets“ bezeichnet, zählt zu den führenden Köpfen auf dem Gebiet der experimentellen Quantenkommunikation. Nach seinem Physikstudium an der University of Science and Technology of China (USTC) und seiner Promotion unter der Anleitung von Anton Zeilinger in Wien, entwickelte Pan ambitionierte Pläne, die Konzepte der Quantenverschränkung und -teleportation in den Weltraum zu tragen.
Sein bahnbrechendstes Projekt ist der 2016 gestartete Quantenkommunikationssatellit „Micius“, mit dem es ihm und seinem Team gelang, verschränkte Photonen über Entfernungen von über 1000 Kilometern zu verteilen und Quantenzustände erfolgreich zu teleportieren. Der Name des Satelliten verweist auf den chinesischen Philosophen Mozi (latinisiert: Micius), der als früher Naturphilosoph im antiken China u. a. Konzepte der Optik und nichtinvasiven Beobachtung entwickelte.
Pans Arbeit markiert einen Wendepunkt in der Quantenforschung. Sie beweist, dass Konzepte wie Quantenteleportation nicht länger theoretische Spielereien sind, sondern als Grundlage für revolutionäre Technologien in der Kommunikation und Informationsverarbeitung dienen können – mit potenziellen Auswirkungen auf Kryptographie, Netzwerke und das Verständnis von Raum-Zeit-Strukturen.
Grundlagen der Quantenteleportation
Die Quantenteleportation steht auf dem festen Fundament der Quantenmechanik und ist eng mit Konzepten wie Verschränkung, Nichtlokalität und quantenmechanischer Zustandsmanipulation verknüpft. Ihr Verständnis erfordert ein tiefes Eintauchen in die grundlegenden Prinzipien der Quanteninformationstheorie, bei denen sich unsere klassischen Intuitionen oft als unzureichend erweisen. In diesem Kapitel werden die zentralen theoretischen Säulen erläutert, auf denen die Quantenteleportation ruht.
Quantenverschränkung – das Fundament
EPR-Paradoxon und Bellsche Ungleichung
Die Quantenverschränkung wurde 1935 im Rahmen des berühmten EPR-Paradoxons thematisiert. Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen kritisierten in ihrer Publikation, dass die Quantenmechanik „nicht vollständig“ sei, da sie scheinbar nichtlokale Effekte zulasse – also Instantanwirkungen über große Distanzen hinweg. Das war nach ihrem Verständnis mit der Speziellen Relativitätstheorie unvereinbar.
Ein Beispiel für einen verschränkten Zustand zweier Qubits ist:
<br /> |\Phi^+\rangle = \frac{1}{\sqrt{2}}(|00\rangle + |11\rangle)<br />
Hierbei kann keine Aussage über den Zustand eines einzelnen Qubits gemacht werden – erst die Messung eines Teilchens legt den Zustand des anderen augenblicklich fest, selbst bei großer räumlicher Trennung.
Die theoretische Unklarheit wurde durch John Bell 1964 konkretisiert. Mit der Bellschen Ungleichung formulierte er eine experimentell überprüfbare Beziehung, mit der sich die Vorhersagen der Quantenmechanik von jenen einer klassischen Theorie mit verborgenen Variablen unterscheiden lassen. Experimente, u. a. von Alain Aspect in den 1980er-Jahren, bestätigten eindeutig die Gültigkeit der Quantenmechanik und wiesen klassische, deterministische Erklärungen zurück.
Die Quantenverschränkung war damit nicht nur ein mathematisches Kuriosum, sondern ein nachgewiesenes physikalisches Phänomen – und bildet seither die Grundlage für die Quantenteleportation.
Erzeugung und Verifikation verschränkter Zustände
In der Praxis werden verschränkte Zustände heute vor allem durch spontane parametrische Fluoreszenz (SPDC) erzeugt. Dabei wird ein Photon hoher Energie durch ein nichtlineares Kristallmedium geleitet und in zwei korrelierte Photonen geringerer Energie „aufgespalten“, die sich in einem verschränkten Zustand befinden.
Die Verifikation erfolgt typischerweise über sogenannte Bell-State-Analysen, wobei die Korrelationen zwischen den Teilchen gemessen werden. Eine erfolgreiche Verletzung der Bellschen Ungleichung dient als Indikator für echte Verschränkung. Eine weitere Möglichkeit ist die Tomographie des Quantenzustands, die eine vollständige Rekonstruktion der Dichtematrix erlaubt.
Prinzip der Quantenteleportation
Konzeptuelle Abläufe: Sender, Empfänger, klassische Kommunikation
Die Quantenteleportation folgt einem klar definierten dreistufigen Protokoll, das 1993 von Charles H. Bennett und Kollegen formuliert wurde. Die Grundidee besteht darin, den Zustand eines Teilchens A auf ein entferntes Teilchen B zu übertragen, ohne dass A physisch transportiert wird.
Ablauf:
- Verschränkung vorbereiten: Zwei Teilchen, B und C, werden in einen verschränkten Zustand gebracht und räumlich getrennt – B befindet sich beim Sender (Alice), C beim Empfänger (Bob).
- Bell-Messung: Alice führt eine gemeinsame Bell-Zustandsmessung an Teilchen A (dem zu teleportierenden Zustand) und Teilchen B durch.
- Klassische Kommunikation: Alice sendet das Messergebnis über einen klassischen Kanal an Bob.
- Rekonstruktion: Bob führt auf Teilchen C eine entsprechende unitäre Operation durch, um den ursprünglichen Zustand |\psi\rangle wiederherzustellen.
Wichtig: Während der Quantenzustand mit perfekter Genauigkeit übertragen wird, erfolgt keine Übertragung von Energie oder Materie – lediglich Information wird rekonstruiert. Der Zustand des Originalteilchens wird dabei irreversibel zerstört.
Mathematische Beschreibung der Zustandsübertragung
Nehmen wir an, Alice besitzt ein Qubit in einem unbekannten Zustand:
<br /> |\psi\rangle = \alpha|0\rangle + \beta|1\rangle<br />
Sie teilt sich mit Bob ein verschränktes Paar in folgendem Zustand:
<br /> |\Phi^+\rangle_{BC} = \frac{1}{\sqrt{2}}(|0\rangle_B|0\rangle_C + |1\rangle_B|1\rangle_C)<br />
Das Gesamtsystem befindet sich dann im Produktzustand:
<br /> |\Psi\rangle_{ABC} = |\psi\rangle_A \otimes |\Phi^+\rangle_{BC}<br />
Durch Umformung in die Bell-Basis und Ausführung einer Bell-Messung an A und B kollabiert der Zustand des Systems in eine der vier möglichen Bell-Zustände. Die Zustandsinformation wandert dabei auf Teilchen C über, das Bob in Besitz hat. Durch Anwendung der geeigneten Pauli-Operationen (X, Z oder beide) auf C kann er den ursprünglichen Zustand |\psi\rangle rekonstruieren – ohne diesen je gesehen oder gemessen zu haben.
Unterschiede zu klassischer Informationsübertragung
Die Quantenteleportation unterscheidet sich fundamental von jeder Form klassischer Datenübertragung. Während bei herkömmlicher Kommunikation Bits übertragen werden, handelt es sich bei der Teleportation um die Übertragung eines vollständigen Quantenzustands, der unbegrenzt viele klassische Informationen enthalten kann.
Zentrale Unterschiede:
- Keine Kopie möglich: Aufgrund des No-Cloning-Theorems ist es unmöglich, einen unbekannten Quantenzustand zu duplizieren.
- Zerstörung des Originals: Die Messung bei Alice vernichtet den ursprünglichen Zustand – es bleibt nur die Rekonstruktion bei Bob.
- Klassische Information als Transportmittel: Die Zustandsübertragung ist an eine klassische Kommunikationsverbindung gebunden, was eine lichtgeschwindigkeitsbeschränkte Übertragung bedeutet – es findet kein „Überlichtsignal“ statt.
- Abhängigkeit von Verschränkung: Ohne die Vorbereitung eines verschränkten Teilchenpaares ist Teleportation unmöglich.
Damit ist die Quantenteleportation keine Verletzung der Relativitätstheorie, sondern ein subtiler, aber streng quantenmechanischer Prozess.
Voraussetzungen: Quantenkanäle und klassische Kommunikationswege
Die Durchführung der Quantenteleportation in der Praxis hängt von zwei simultanen Infrastrukturen ab:
- Quantenkanal: Dieser dient dem Transport verschränkter Teilchen. Er kann aus Glasfasern, freien Lichtwegen oder – wie im Fall von Jian-Wei Pan – aus Satellitenverbindungen bestehen. Die Erhaltung der Verschränkung über große Distanzen erfordert minimale Verluste und maximale Isolation gegenüber Umweltstörungen.
- Klassischer Kommunikationskanal: Der Empfänger benötigt das Ergebnis der Bell-Messung, um den Zustand korrekt rekonstruieren zu können. Diese Information wird über herkömmliche Kanäle (z. B. Funk oder Glasfaser) mit Lichtgeschwindigkeit übertragen.
Nur das Zusammenspiel beider Kanäle – Quanten und klassisch – ermöglicht eine vollständige Teleportation. Für weltweite Anwendungen wie ein Quanteninternet sind daher hybride Netzwerke erforderlich, die beide Übertragungsebenen miteinander verknüpfen.
Technologische Umsetzung
Die praktische Umsetzung der Quantenteleportation stellt eine der größten Herausforderungen der modernen Experimentalphysik dar. Während die Theorie bereits seit den 1990er-Jahren bekannt ist, erforderte die Realisierung immense Fortschritte in Optik, Quantenoptik, Messtechnik, Materialwissenschaft und Informationsverarbeitung. In diesem Kapitel werden die wichtigsten experimentellen Meilensteine, die größten technologischen Hürden sowie der aktuelle Stand zu Schlüsselkomponenten wie Quantenrepeatern dargestellt.
Experimentelle Realisierungen (kurze Distanzen)
Erste Laborversuche (Innsbruck, Genf, NIST)
Die erste experimentelle Bestätigung der Quantenteleportation erfolgte 1997 durch ein Team um Anton Zeilinger an der Universität Innsbruck. Hier wurde erfolgreich der Quantenzustand eines Photons auf ein anderes Photon in einer Entfernung von wenigen Metern übertragen – unter Nutzung verschränkter Photonenpaare, erzeugt mittels Spontaner Parametrischer Fluoreszenz (SPDC).
Kurz darauf gelang es auch Gruppen am NIST (USA) und in Genf, ähnliche Experimente durchzuführen. Die Genfer Gruppe unter Nicolas Gisin verwendete Glasfaserkabel zur Übertragung über mehrere Kilometer – ein wichtiger Schritt in Richtung technologischer Relevanz.
Diese frühen Experimente demonstrierten die prinzipielle Umsetzbarkeit der Teleportation, wiesen aber auch auf zentrale Limitationen hin: die extreme Empfindlichkeit gegenüber Umweltstörungen, die hohe Anforderung an zeitliche Synchronisierung und die Notwendigkeit, Verschränkung zuverlässig über Distanz zu transportieren.
Fortschritte in photonischer Teleportation
Die Weiterentwicklung fokussierte sich in den 2000er-Jahren stark auf photonische Teleportation, da Photonen als ideale Träger von Quanteninformation gelten: sie wechselwirken kaum mit ihrer Umgebung und lassen sich über Glasfaser oder im freien Raum übertragen.
Fortschritte umfassten unter anderem:
- Einsatz von ultraschnellen Detektoren zur Erhöhung der Zeitauflösung
- Einzelphotonenquellen mit hohem Reinheitsgrad
- verbesserte Bell-Mess-Schemata, um die Effizienz des Protokolls zu steigern
Besonders wichtig war die Fähigkeit, Teleportation über netzwerkartige Strukturen hinweg zu realisieren, was etwa durch Experimente in Tokyo und Shanghai demonstriert wurde. Dabei wurden mehrere Labore verbunden, zwischen denen verschränkte Zustände erzeugt und teleportiert wurden – ein Vorgriff auf Quantenkommunikationsnetzwerke.
Technische Herausforderungen bei großen Distanzen
Dekohärenz und Photonendämpfung
Mit zunehmender Distanz treten zwei gravierende physikalische Probleme auf:
Dekohärenz bezeichnet den Verlust der quantenmechanischen Überlagerung durch Wechselwirkung mit der Umgebung. Photonen können z. B. durch Luftmoleküle, thermische Effekte oder unvollkommene Reflektion ihre Quanteneigenschaften verlieren. Dies führt dazu, dass der ursprüngliche Zustand nicht mehr rekonstruierbar ist.
Photonendämpfung beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass Photonen auf ihrem Weg absorbiert oder gestreut werden. Bei Glasfasern beträgt die typische Dämpfung etwa 0,2 dB/km, was bedeutet, dass nach 100 km weniger als 1 % der Photonen übrigbleiben – für Teleportation ein kritisches Problem.
Die Reichweite der Quantenteleportation ist daher exponentiell limitiert:
<br /> P_{\text{erhalten}} = 10^{-\alpha d / 10}<br />
mit \alpha = Dämpfungsfaktor (in dB/km) und d = Distanz in km.
Synchronisierung und Fehlerraten
Eine weitere große Herausforderung liegt in der zeitlichen Synchronisierung der verschränkten Photonen. Da die Messprozesse extrem schnell ablaufen (oft im Bereich von Femtosekunden), müssen alle beteiligten Komponenten exakt aufeinander abgestimmt sein.
Fehlerquellen sind u. a.:
- Jitter der Detektoren
- Schwankungen im Laserpuls
- Ungenauigkeiten in der Pfadlänge
Diese Effekte erhöhen die Fehlerrate der Bell-Messung und senken die Erfolgswahrscheinlichkeit der Teleportation drastisch. Die resultierende Fidelity – also die Ähnlichkeit zwischen Original- und rekonstruierter Zustandsinformation – liegt oft unter dem idealen Wert von 1:
<br /> F = \langle \psi_{\text{ideal}} | \rho_{\text{empfangen}} | \psi_{\text{ideal}} \rangle<br />
Ein Wert F > \frac{2}{3} gilt als Beweis für echte Quantenteleportation (über dem klassischen Grenzwert).
Relevanz von Quantenrepeatern
Theoretisches Konzept
Ein Ansatz zur Überwindung der Dämpfungsgrenzen ist der Quantenrepeater. Analog zu klassischen Signalverstärkern besteht seine Aufgabe darin, verschränkte Zustände über große Distanzen in Teilstrecken aufzuteilen und wieder zu „verlängern“, ohne dabei die Quanteninformation zu zerstören.
Das Protokoll umfasst:
- Segmentierung der Gesamtstrecke in viele kleine Abschnitte
- Verschränkungsswap an Zwischenstationen – d. h. zwei verschränkte Zustände werden durch geeignete Messung zu einem neuen verschränkten Zustand kombiniert
- Quantenfehlerkorrektur zur Kompensation auftretender Fehler
- Optional: Quanten-Memory, um verschränkte Zustände zwischenzuspeichern
Diese Architektur erlaubt eine polynomiale Skalierung der Verluste statt einer exponentiellen – ein entscheidender Schritt zur globalen Quantenteleportation.
Aktueller Stand der Entwicklung
Derzeit befinden sich Quantenrepeater noch im Forschungsstadium. Wichtige Fortschritte wurden erzielt mit:
- Festkörper-Quantenbits (z. B. NV-Zentren in Diamanten)
- kalten Atomen in optischen Gittern
- supraleitenden Resonatoren
Besonders erfolgversprechend sind hybride Ansätze, bei denen photonische Kanäle mit atomaren Speichern gekoppelt werden. So gelang es 2020 einem Team der TU Delft, über 50 km hinweg einen Repeater-Test mit eingeschränkter Funktionalität durchzuführen.
Langfristig wird der Quantenrepeater die Grundlage für ein Quanteninternet bilden, in dem Zustände in Lichtgeschwindigkeit und mit minimalem Informationsverlust rund um den Globus teleportiert werden können.
Der Durchbruch: Jian-Wei Pan und die Teleportation über 1200 Kilometer
Das Jahr 2017 markiert einen historischen Meilenstein in der Geschichte der Quantenteleportation. Zum ersten Mal gelang es einem Forschungsteam, angeführt vom chinesischen Physiker Jian-Wei Pan, die Teleportation eines Quantenzustands über eine Entfernung von mehr als 1200 Kilometern durchzuführen – vom Weltraum zur Erde. Der Schlüssel zu diesem Erfolg lag im Einsatz des weltweit ersten Quantenkommunikationssatelliten „Micius“, benannt nach dem chinesischen Philosophen Mozi (ca. 400 v. Chr.), einem frühen Pionier optischer Forschung.
Dieses Kapitel analysiert die zentralen Aspekte des Experiments, angefangen bei der Konzeption des Satelliten über die Durchführung des Experiments bis zur Bewertung seiner Bedeutung für die zukünftige Quantenkommunikation.
Das Micius-Projekt: Ein Quantenforschungssatellit
Zielsetzung und Aufbau des Satelliten
Der am 16. August 2016 gestartete Satellit „Micius“ war das Resultat eines ambitionierten Programms der Chinese Academy of Sciences (CAS) mit dem Ziel, Quantenkommunikation auf globale Maßstäbe zu bringen. Jian-Wei Pan, als wissenschaftlicher Leiter, plante von Anfang an, nicht nur verschränkte Photonen zu erzeugen, sondern diese auch über die Erdumlaufbahn hinweg an Bodenstationen zu verteilen – und damit eine der zentralen Hürden der quantenmechanischen Fernkommunikation zu überwinden: die Dämpfung durch Atmosphäre und Kabel.
Der Satellit wurde in einem sonnensynchronen Orbit (Höhe: ca. 500 km) platziert. Seine Nutzlast bestand u. a. aus:
- Hochpräzisen Einzelphotonenquellen mit SPDC-Technologie
- Verschiedenen Optiken und Teleskopen zur präzisen Ausrichtung auf Bodenstationen
- Zeitreferenzsystemen und Lasertiming-Einheiten zur Synchronisation mit Bodenempfängern
- Hochempfindlichen Photodetektoren zur Zustandserfassung
Die Konzeption ermöglichte es, Photonen mit minimalem Verlust durch die obere Atmosphäre zu senden – deutlich verlustärmer als über Glasfasernetze auf der Erde.
Photonenerzeugung und Verschränkung im Orbit
Im Satelliten wurden verschiedene Photonenpaare mit Polarisationsverschränkung erzeugt. Dies geschah mithilfe einer nichtlinearen Kristallstruktur, in der ein UV-Photon in zwei verschränkte Photonen aufgeteilt wurde.
Das erzeugte verschränkte Paar wurde dann durch zwei unabhängig steuerbare Teleskopsysteme an jeweils eine Bodenstation geschickt – etwa in Delingha und Lijiang, zwei rund 1200 km voneinander entfernte Städte im Westen Chinas. Trotz der Erdkrümmung und atmosphärischer Verzerrung gelang es, beide Photonen simultan und kohärent an ihre Zielstationen zu übertragen.
Zentral für den Erfolg war die präzise Ausrichtung und Echtzeit-Korrektur des Strahls mit Hilfe von Rückmeldesignalen. Nur so ließ sich die extreme Divergenz verhindern, die selbst bei geringen Winkelfehlern katastrophale Verluste verursachen würde.
Das Experiment 2017
Technisches Setup: Optische Bodenstationen, Sende- und Empfangseinheiten
Das Experiment wurde in der Konstellation „Satellit → Bodenstation“ realisiert, wobei sich der Zustand eines Photons an Bord des Satelliten befand, während der Zielzustand auf der Erde (bei Bob) rekonstruiert wurde. Drei chinesische Bodenstationen kamen zum Einsatz: Delingha, Nanshan und Lijiang.
Zentrale Komponenten der Bodenstationen:
- Empfangsteleskope mit adaptiver Optik zur Korrektur atmosphärischer Turbulenz
- Hochempfindliche Avalanche-Photodioden (APDs)
- Echtzeit-Datenverarbeitungseinheiten
- Lasergestützte Synchronisationssysteme zur Ermittlung der Ankunftszeit der Photonen mit einer Auflösung im Pikosekundenbereich
Die Signalverarbeitung erforderte extrem schnelle Detektion und sofortige Korrelation der empfangenen Photonen mit den Sendezeitpunkten des Satelliten.
Ablauf des Teleportationsprozesses
Der eigentliche Teleportationsvorgang lief in folgenden Schritten ab:
- Photonenpaarerzeugung an Bord von Micius
- Verteilung der verschränkten Photonen: Ein Photon wurde zum Sender (Alice) auf die Erde geschickt, das andere blieb an Bord des Satelliten.
- Zustandserzeugung: Der zu teleportierende Zustand wurde an der Bodenstation lokal erzeugt – typischerweise durch Modulation eines Photons in einen bestimmten Polarisationszustand |\psi\rangle.
- Bell-Messung: Alice führte eine gemeinsame Messung zwischen dem zu teleportierenden Photon und dem empfangenen verschränkten Photon durch.
- Klassische Kommunikation: Das Ergebnis der Messung wurde über eine klassische Leitung an den Satelliten übermittelt.
- Rekonstruktion: An Bord des Satelliten wurde auf das verbleibende Photon eine entsprechende unitäre Operation angewendet, um |\psi\rangle zu rekonstruieren.
Dabei wurden Hunderte solcher Versuche durchgeführt, um statistisch signifikante Aussagen über die Erfolgschancen zu ermöglichen.
Messdaten, Erfolgswahrscheinlichkeit und Signalintegrität
Die Experimente lieferten beeindruckende Ergebnisse:
- Fidelity der teleportierten Zustände: im Bereich von F = 0{,}80 \pm 0{,}02
- Rekonstruktionsrate: bis zu 1 Photon pro Sekunde (unter den erschwerten Bedingungen eines Satellitenorbits)
- Fehlerrate: signifikant unterhalb des klassischen Schwellenwertes
Diese Werte belegen, dass eine echte Quantenteleportation über eine Entfernung von über 1200 km gelungen ist – mit hohem Vertrauensniveau und in Übereinstimmung mit quantenmechanischen Vorhersagen.
Besonders bemerkenswert: Das Experiment war nicht nur ein Einzelfall, sondern wiederholbar unter realen Umgebungsbedingungen, was eine wichtige Voraussetzung für zukünftige Anwendungen in Quantenkommunikationssystemen darstellt.
Bedeutung des Experiments
Wissenschaftliche Rezeption
Die Publikation des Experiments in Nature (Pan et al., 2017) löste ein weltweites Echo in der wissenschaftlichen Community aus. Sie wurde als Beweis für die technische Machbarkeit globaler Quantennetzwerke gewertet und stellte bisherige Annahmen über die Reichweite quantenmechanischer Prozesse in Frage.
Internationale Reaktionen:
- Die NASA sprach von einem „paradigmatischen Durchbruch für die weltraumgestützte Quantenkommunikation“.
- Forscher des MIT bezeichneten das Experiment als „praktische Geburt des Quanteninternets“.
- Auch in Europa wurde das Experiment als Weckruf gewertet, stärker in satellitengestützte Quanteninfrastrukturen zu investieren.
Meilenstein für Quantennetzwerke
Mit dem Erfolg des Micius-Experiments wurde bewiesen:
- dass verschränkte Zustände über globale Entfernungen erzeugt, übertragen und genutzt werden können
- dass Quantenteleportation nicht auf Labormaßstäbe beschränkt ist
- dass die Kombination von Orbit-Kommunikation mit bodenbasierten Quantensystemen praktikabel ist
Langfristig kann das Experiment als Prototyp eines Quanten-Backbones verstanden werden – ein Netzwerk aus Satelliten, die globale Quantenteleportation ermöglichen und damit sichere Kommunikation, verteilte Quantenrechner und fundamental neue Technologien erlauben.
Der Micius-Satellit ist damit nicht nur ein wissenschaftliches Prestigeprojekt, sondern der erste technologische Beweis, dass Quantenteleportation über große Distanzen nicht nur möglich, sondern reproduzierbar und ausbaufähig ist.
Anwendungen und Perspektiven
Mit dem erfolgreichen Nachweis der Quantenteleportation über große Distanzen eröffnet sich ein neues Feld technologischer und wissenschaftlicher Möglichkeiten. Was lange als theoretisches Gedankenspiel galt, ist nun Bestandteil realer physikalischer Infrastrukturen – mit dem Potenzial, Kommunikation, Rechenleistung und Grundlagenforschung zu revolutionieren. Dieses Kapitel beleuchtet zentrale Anwendungsfelder und skizziert zukunftsweisende Perspektiven der Quantenteleportation.
Quantenkommunikation und Quanteninternet
Sichere Übertragung durch Quantenschlüsselverteilung (QKD)
Ein unmittelbarer Anwendungsbereich der Quantenteleportation liegt in der sicheren Kommunikation. Mithilfe der Quantenschlüsselverteilung (Quantum Key Distribution, QKD) können zwei Parteien einen gemeinsamen geheimen Schlüssel generieren, dessen Sicherheit physikalisch garantiert ist – und nicht wie in der klassischen Kryptographie auf mathematischer Komplexität beruht.
Die zentrale Rolle der Verschränkung hierbei ist: Jeglicher Abhörversuch verändert den Quantenzustand und ist damit prinzipiell detektierbar. Ein prominentes Beispiel ist das BBM92-Protokoll, bei dem verschränkte Photonenpaare genutzt werden, um identische Schlüssel zu erzeugen.
Quantenteleportation erweitert dieses Prinzip: Sie ermöglicht es, verschlüsselte Quantenzustände selbst über globale Entfernungen hinweg zu rekonstruieren – ohne dass ein Dritter sie auslesen kann, selbst wenn er Zugriff auf die klassische Kommunikationsleitung hätte.
Die Kombination aus QKD und Teleportation schafft somit die Grundlage für eine neue Epoche abhörsicherer Kommunikation, insbesondere im Kontext von Regierungen, Finanzsystemen und kritischen Infrastrukturen.
Global skalierbare Quantennetzwerke
Langfristig strebt die Forschung den Aufbau eines Quanteninternets an – ein Netzwerk, das auf verschränkten Zuständen und Quantenteleportation basiert. Anders als das heutige Internet, das auf der Übertragung klassischer Bits auf elektronischem Wege basiert, würde das Quanteninternet die Zustände von Qubits zwischen weit entfernten Knotenpunkten austauschen.
Dazu sind erforderlich:
- Satellitengestützte Verschränkung (wie beim Micius-Satelliten)
- Netzwerke von Quantenrepeatern
- Quantenspeicher zur Zwischenspeicherung von Zuständen
- Protokolle für Zustandssynchronisierung und Fehlerkorrektur
Ein solches Netzwerk wäre nicht nur abhörsicher, sondern könnte auch als transkontinentale Plattform für verteilte Quantenverarbeitung dienen – eine Infrastruktur mit gewaltiger disruptiver Kraft.
Quantencomputer-Cluster und Teleportation als Verbindungsglied
Verteiltes Quantencomputing
Ein weiteres Anwendungsfeld liegt in der Kopplung verteilter Quantencomputer zu Clustern. Aufgrund physikalischer Begrenzungen ist es schwer, skalierbare Quantencomputer mit Tausenden von Qubits in einem einzelnen System zu bauen. Eine Lösung besteht darin, mehrere kleinere Quantenprozessoren über Teleportation miteinander zu koppeln.
Dies führt zur Idee des verteilten Quantencomputings, bei dem:
- Lokale Quantenoperationen in verschiedenen Knotenpunkten durchgeführt werden
- Quantenzustände über große Distanzen teleportiert werden
- Quantenalgorithmen netzwerkübergreifend ausgeführt werden können
Dabei wird Teleportation als Brücke eingesetzt, um Zustände zwischen den Teilrechnern zu verschieben, ohne diese durch klassische Messprozesse zu zerstören – ein Konzept, das den Grundstein für skalierbare Quantenarchitekturen legt.
Rolle der Teleportation als logisches Bindeglied
In verteilten Systemen kann die Quantenteleportation als logische Leitung zwischen zwei Knoten interpretiert werden – vergleichbar mit einem Bus im klassischen Computing. Sie ermöglicht, dass unitäre Operationen auf einem entfernten Qubit durchgeführt werden, ohne physisch dorthin zu greifen. Das ist essenziell für:
- Fehlertolerante Architekturdesigns
- Modularisierung von Quantenhardware
- Kopplung heterogener Quantenplattformen (z. B. Ionenfallen mit supraleitenden Qubits)
Die Teleportation ersetzt damit physische Datenverbindungen durch zustandsbasierte Transformationen – ein Paradigmenwechsel, der klassische Netzwerkarchitekturen in den Schatten stellt.
Fundamentale Tests der Quantenmechanik
Nichtlokalität auf globaler Skala
Der experimentelle Nachweis der Quantenteleportation über Distanzen von mehr als 1000 Kilometern bietet nicht nur technologische Potenziale, sondern auch einen Zugang zu grundlegenden physikalischen Fragen: Wie weit reicht die Nichtlokalität? Gibt es eine Grenze für verschränkte Zustände? Sind Quantenkorrelationen abhängig vom Gravitationsfeld?
Mit satellitengestützter Teleportation lassen sich erstmals Experimente durchführen, die Quantenzustände unter unterschiedlichen Raum-Zeit-Bedingungen analysieren. Denkbar sind Szenarien wie:
- Tests in stark gekrümmten Raumzeiten (z. B. Nähe schwarzer Löcher)
- Vergleiche zwischen Zuständen in verschiedenen Gravitationspotentialen (Schwerefeldabhängigkeit)
- Synchronisierung über Relativitätsgrenzen hinweg
Solche Experimente bieten neue Wege, die Vereinbarkeit von Quantenmechanik und Relativitätstheorie zu testen – eine der größten offenen Fragen der Physik.
Möglichkeiten für neue Theorien jenseits des Standardmodells
Die quantenmechanische Nichtlokalität, wie sie durch Teleportation sichtbar wird, widerspricht der klassischen Vorstellung von lokaler Kausalität. Dies hat einige Theoretiker dazu veranlasst, über erweiterte Modelle nachzudenken, die über das Standardmodell hinausgehen.
Dazu zählen:
- Quantengravitative Ansätze, etwa Loop-Quantengravitation oder Stringtheorien
- Nichtlineare Modifikationen der Schrödingergleichung
- Hidden-variable-Theorien, die unter bestimmten Bedingungen reproduzierbar sind
Auch in der Kosmologie könnten Teleportationsprozesse künftig eine Rolle spielen – etwa bei der Interpretation von Quantenzuständen im frühen Universum oder bei der Verschränkung entfernter Quasare als natürliche Testinstanzen für Bellsche Korrelationen.
Quantenteleportation könnte somit nicht nur zur praktischen Anwendung führen, sondern auch als Werkzeug zur Theorieprüfung dienen – und damit zur nächsten Revolution in der Physik beitragen.
Herausforderungen und offene Fragen
So revolutionär und wegweisend die bisherigen Fortschritte in der Quantenteleportation auch sind, so deutlich zeigen sich gleichzeitig ihre technologischen, theoretischen und ethischen Grenzen. Während einige Hindernisse technisch lösbar erscheinen, bleiben andere tief in den Grundlagen der Physik oder in der geopolitischen Realität verankert. Dieses Kapitel behandelt die wichtigsten noch ungelösten Fragen und Herausforderungen auf dem Weg zu einer global nutzbaren Quantenteleportationsinfrastruktur.
Technologische Limitationen
Verlustarme Übertragungskanäle
Ein zentrales Hindernis für die praktische Skalierung der Quantenteleportation liegt in der Notwendigkeit, verlustarme Quantenkanäle zu realisieren. Photonen, die Träger der Quanteninformation, sind extrem empfindlich gegenüber Absorption, Streuung und Dekohärenz.
Während optische Glasfasernetze bei klassischen Datenraten problemlos hunderte Kilometer überbrücken, verlieren sie bei Quantensignalen bereits nach 20–50 km einen Großteil der Photonen. Die Dämpfung in Glasfasern liegt bei typischen Wellenlängen bei etwa 0{,}2,\text{dB/km}, was bei großen Distanzen zu einer exponentiellen Abnahme der Signalstärke führt:
<br /> P_{\text{Signal}}(d) = P_0 \cdot 10^{-\alpha d / 10}<br />
mit \alpha als Dämpfungsfaktor und d der Distanz.
Zukunftsorientierte Ansätze umfassen:
- Hohlkernfasern mit reduzierter Licht-Streuung
- Freiraumübertragungen über Laserverbindungen (z. B. satellitengestützt)
- Photon-on-Demand-Quellen, die gezielte und störungsarme Aussendungen ermöglichen
Die physikalischen Grenzen der Lichtübertragung sind damit nicht endgültig, aber sie erfordern hochpräzise Materialtechnologien und fortschrittliche Optiksysteme.
Speichertechnologien für Quanteninformation
Eine weitere Voraussetzung für die praktische Nutzung der Quantenteleportation ist die Existenz robuster Quanten-Speicher. Diese erlauben, verschränkte Zustände oder Teleportationszustände zwischenzuspeichern, um etwa die Asynchronität zwischen Sender und Empfänger zu kompensieren oder als Zwischenspeicher in Repeater-Knoten zu dienen.
Derzeit getestete Plattformen:
- Ionenfallen
- Festkörper-Qubits (z. B. NV-Zentren in Diamanten)
- Kalte Atome in optischen Gittern
Die Speicherzeiten variieren jedoch stark und sind oft limitiert durch thermische Fluktuationen, Magnetfeldinstabilitäten oder interne Kopplungseffekte. Notwendig wäre eine kohärente Speicherung im Bereich von Sekunden oder Minuten – unter vollständiger Erhaltung des Zustands.
Ohne derartige Speicher bleibt die Teleportation auf „live“-Systeme beschränkt – ein bedeutender Engpass für Quantenkommunikationsnetzwerke mit hoher Latenztoleranz.
Theoretische Probleme
Kausalität, Relativität und Instantaneität
Ein oft diskutiertes, tiefgreifendes Problem der Quantenteleportation ist ihre scheinbare Instantaneität – also die augenblickliche Zustandsänderung über beliebige Entfernungen hinweg. Obwohl die klassische Information, die zur Rekonstruktion nötig ist, nicht schneller als Licht übertragen werden kann, kollabiert der verschränkte Zustand nichtlokal.
Dies stellt kein direktes Paradoxon dar, aber es wirft die Frage auf, wie sich Nichtlokalität und Relativitätstheorie vertragen. Die Kausalstruktur der Raumzeit wird durch Teleportation formal nicht verletzt, da keine überlichtschnelle Signalübertragung stattfindet – doch intuitive Vorstellungen von „Ursache und Wirkung“ geraten ins Wanken.
Ein Beispielproblem:
- Wann „weiß“ Teilchen B, dass bei Teilchen A eine Messung durchgeführt wurde?
- Gibt es einen physikalischen Mechanismus für die Korrelation, oder ist sie ontologisch?
Solche Fragen reichen tief in das philosophische und physikalische Fundament der Quantenmechanik hinein und berühren ungelöste Probleme wie die Quantenfeldtheorie in gekrümmter Raumzeit oder die Interpretation der Quantenmechanik selbst (z. B. Viele-Welten-, Kopenhagener oder Bohmsche Interpretation ).
Grenzen der Teleportation: Was wird nicht übertragen?
Ein häufiges Missverständnis – auch in populärwissenschaftlichen Darstellungen – ist die Annahme, dass bei der Quantenteleportation „alles“ übertragen werde. Tatsächlich wird nur der Quantenzustand eines Systems übertragen – nicht jedoch seine Energie, Masse oder Struktur.
Das bedeutet:
- Es findet keine Materietransport statt
- Der Zielzustand muss bereits ein äquivalentes System besitzen (z. B. ein Qubit)
- Die Dekodierung ist nur dann erfolgreich, wenn der Empfänger exakt weiß, welche Transformation notwendig ist
Darüber hinaus gibt es systemimmanente Einschränkungen:
- Teleportation funktioniert nicht deterministisch, sondern mit einer bestimmten Erfolgswahrscheinlichkeit
- Die Bell-Messung ist nur teilweise deterministisch realisierbar
- Es können nicht beliebig viele Qubits parallel teleportiert werden – jede Übertragung erfordert ein eigenes Verschränkungspaar
Solche Limitierungen erfordern nicht nur technische Lösungen, sondern werfen auch Fragen auf, wie weit sich die Idee der „Informationstransformation“ im physikalischen Universum denken lässt.
Ethische und sicherheitstechnische Fragestellungen
Dual-Use von Quantentechnologien
Wie jede Technologie mit revolutionärem Potenzial birgt auch die Quantenteleportation ein erhebliches Dual-Use-Risiko – also die Möglichkeit, sowohl zivil als auch militärisch genutzt zu werden.
Mögliche kritische Anwendungen:
- Abhörsichere Kommunikation für Militär und Geheimdienste
- Unortbare Datenübertragung bei Cyberoperationen
- Dekodierung klassischer Verschlüsselungssysteme durch Quantenunterstützung
Der Zugang zu satellitengestützter Quanteninfrastruktur wird in den kommenden Jahren eine geostrategische Schlüsselrolle einnehmen. Die führenden Quantenmächte – darunter China, die USA und zunehmend auch die EU – investieren Milliardenbeträge in entsprechende Programme.
Dies wirft zentrale Fragen auf:
- Wer kontrolliert den Zugang zu globaler Quantenkommunikation?
- Welche Transparenz- und Offenlegungsregeln sind sinnvoll?
- Wie lässt sich verhindern, dass Quantenteleportation für autoritäre Überwachung missbraucht wird?
Regulierung und internationale Zusammenarbeit
Um den positiven Nutzen der Quantentechnologien zu maximieren und gleichzeitig Risiken zu minimieren, ist internationale Kooperation essenziell. Bisher existieren jedoch kaum verbindliche Regulierungsinstrumente für Quantenkommunikation.
Wichtige Vorschläge:
- Einrichtung einer UN-Quantencharta
- Transparente zivile Nutzungsvorgaben für satellitengestützte Verschränkung
- Open-Source-Protokolle für Quantenkommunikationssysteme
- Ethikkommissionen auf EU-, NATO- oder G20-Ebene
Zugleich muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Quantenkommunikation nicht bloß eine technologische Spielerei ist, sondern ein grundlegendes Werkzeug, das unsere Vorstellungen von Sicherheit, Souveränität und Datenschutz neu definiert.
Fazit
Die Quantenteleportation, einst ein hypothetisches Gedankenspiel der theoretischen Physik, hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer realen, experimentell bestätigten Technologie entwickelt – mit tiefgreifenden Implikationen für Wissenschaft, Technik und Gesellschaft. Die Fähigkeit, den Zustand eines Quantensystems über große Distanzen hinweg zu übertragen, ohne dass Teilchen physisch durch den Raum reisen, stellt einen Paradigmenwechsel dar. Sie verändert unser Verständnis von Information, Kausalität und Kommunikation auf fundamentale Weise.
Die vorliegende Abhandlung hat die Entwicklung von den theoretischen Grundlagen über experimentelle Fortschritte bis hin zu technologischen Anwendungen und offenen Fragen nachvollzogen. Sie endet mit einer Einordnung der historischen Leistung Jian-Wei Pans und einer Einschätzung, wohin sich die Quantenkommunikation in den kommenden Jahrzehnten entwickeln könnte.
Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse
Die Analyse zeigt deutlich, dass Quantenteleportation heute weit mehr ist als ein konzeptionelles Konstrukt. Ihr Fundament basiert auf:
- der physikalisch bestätigten Quantenverschränkung,
- dem robusten Protokoll zur Teleportation durch Bell-Messung und
- der Kombination von klassischer Kommunikation mit quantenmechanischer Nichtlokalität.
Experimentelle Fortschritte – von den frühen Laborversuchen in Innsbruck und Genf bis zur satellitengestützten Realisierung durch das Micius-Projekt – haben bewiesen, dass Teleportation über Distanzen von mehr als 1200 km möglich ist. Die technologischen Herausforderungen sind nicht trivial, reichen von photonischer Dämpfung über Synchronisationsprobleme bis hin zur Notwendigkeit verlustfreier Quantenrepeater und Speicher.
Gleichzeitig eröffnet die Quantenteleportation bahnbrechende Anwendungen:
- Sichere globale Kommunikation über Quantenschlüsselverteilung (QKD)
- Aufbau eines skalierbaren Quanteninternets
- Verteiltes Quantencomputing mit logischer Kopplung entfernter Systeme
- Experimentelle Tests fundamentaler physikalischer Prinzipien auf globaler Skala
Allerdings bleiben auch gravierende offene Fragen – etwa zur Vereinbarkeit von Teleportation und Relativität, zur Machbarkeit praktischer Infrastrukturen oder zur ethischen Regulierung solcher potenziell geopolitisch sensiblen Technologien.
Rolle von Jian-Wei Pan als Wegbereiter
Der Physiker Jian-Wei Pan hat sich als zentrale Figur in der Geschichte der experimentellen Quantenkommunikation etabliert. Durch seine Ausbildung unter Anton Zeilinger, seine systematische Forschung an der Universität Hefei und die Leitung des Micius-Projekts gelang es ihm, Quantenmechanik aus dem Labor in den Orbit zu bringen.
Seine Leistungen umfassen:
- die Realisierung der weltweit ersten satellitengestützten Quantenteleportation,
- den Nachweis von Verschränkung über Kontinentaldistanzen,
- und die Entwicklung der dafür notwendigen optischen, elektronischen und algorithmischen Systeme.
Pan verkörpert den Übergang von der Grundlagenforschung zur angewandten Quantentechnologie. Seine Arbeiten zeigen, dass wissenschaftliche Visionen – wenn sie entschlossen verfolgt werden – globale Realität werden können. Er ist nicht nur ein Wegbereiter im technischen Sinn, sondern auch ein Symbol für eine neue Ära, in der Quantenphänomene operationalisiert und gesellschaftlich nutzbar gemacht werden.
Ausblick auf die nächsten Jahrzehnte der Quantenkommunikation
Die kommenden Jahrzehnte werden zeigen, ob die Quantenteleportation den Sprung von einer spektakulären Demonstration zu einer allgegenwärtigen Basistechnologie schafft. Entscheidend dafür werden folgende Entwicklungen sein:
- Die Miniaturisierung und Kommerzialisierung von photonischen und verschränkten Quellen
- Der Ausbau globaler Quanteninfrastrukturen, etwa durch Satellitenkonstellationen und terrestrische Quantenrepeater
- Die Entwicklung fehlerresistenter Protokolle, die auch unter realen Umweltbedingungen funktionieren
- Die Etablierung ethischer, sicherheitspolitischer und rechtlicher Rahmenwerke, um Dual-Use-Risiken zu minimieren
Es ist denkbar, dass in naher Zukunft erste demonstrative Quanteninternetverbindungen zwischen Städten, Ländern oder sogar Kontinenten bestehen – mit Quantenteleportation als zentralem Übertragungsprinzip. In einem solchen Szenario könnten Banken, Regierungsinstitutionen und Forschungseinrichtungen auf einem quantenverschlüsselten Netz kommunizieren, das sich jeder klassischen Abhörmethode entzieht.
Langfristig könnten sogar völlig neue Formen der Informationsverarbeitung entstehen, bei denen Daten nicht mehr an Orte gesendet werden müssen, sondern einfach an anderen Orten rekonstituiert werden – eine Revolution des Internets, vergleichbar mit dem Übergang vom Kabeltelefon zur drahtlosen Kommunikation.
Die Quantenteleportation steht damit exemplarisch für eine neue Klasse von Technologien, die das physikalisch Mögliche neu definieren. Und sie fordert uns heraus – wissenschaftlich, technologisch, philosophisch und gesellschaftlich.
Mit freundlichen Grüßen
Literaturverzeichnis
Wissenschaftliche Zeitschriften und Artikel
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Bücher und Monographien
- Zeilinger, A. (2005): Einsteins Spuk: Teleportation und weitere Mysterien der Quantenwelt. Carl Hanser Verlag, München.
- Nielsen, M. A., & Chuang, I. L. (2010): Quantum Computation and Quantum Information. 10th Anniversary Edition. Cambridge University Press.
- Gisin, N. (2014): Quantum Chance – Nonlocality, Teleportation and Other Quantum Marvels. Springer, Heidelberg.
- Dürr, S. (2019): Quantenphysik für Einsteiger: Anschaulich und ohne Mathematik. Springer Vieweg.
- Gribbin, J. (2011): In Search of Schrödinger’s Cat: Quantum Physics and Reality. Black Swan.
- Aspect, A. (2013): Bell’s Theorem: The Naive View of an Experimentalist. In: Speakable and Unspeakable in Quantum Mechanics (2nd ed.), Cambridge University Press.
Online-Ressourcen und Datenbanken
- Quantum Experiments at Space Scale (QUESS) – Micius Mission Overview:
http://english.cas.cn/newsroom/research_news/201707/t20170713_181112.shtml - Quantum Flagship (EU-Projekt) – https://qt.eu
- QuTech Academy (Delft University of Technology) – https://qutech.nl/academy
- MIT Center for Quantum Engineering – https://cqe.mit.edu
- QKD Industry Specification Group (ETSI) – https://www.etsi.org/technologies/quantum-key-distribution
- Quantum Internet Alliance – https://quantum-internet.team
- arXiv Preprint Server (quant-ph) – https://arxiv.org/archive/quant-ph
- Max-Planck-Institut für Quantenoptik – https://www.mpq.mpg.de
- NASA Quantum Technology Portal – https://quantum.nasa.gov
- Chinese Academy of Sciences – Quantum Information and Quantum Optics:
http://english.hf.cas.cn/Research/Research_Divisions/QIQO/