Variational Quantum Linear Solver (VQLS)

Lineare Gleichungssysteme sind eine fundamentale Klasse mathematischer Probleme, die in nahezu allen Bereichen der Natur- und Ingenieurwissenschaften, der Informatik sowie der Wirtschaftswissenschaften auftreten. Ob in der numerischen Simulation physikalischer Prozesse, in der Finite-Elemente-Methode, bei der Bildverarbeitung oder in der Datenanalyse – die Lösung von Gleichungssystemen der Form

A \vec{x} = \vec{b}

stellt eine zentrale Rechenoperation dar. Hierbei ist A eine bekannte Matrix, \vec{b} ein Vektor mit bekannten Einträgen und \vec{x} der zu bestimmende Lösungsvektor.

Die zentrale Rolle dieser Aufgabenklasse ergibt sich aus ihrer Allgegenwärtigkeit: In der Quantenchemie etwa entstehen Gleichungssysteme bei der Hartree-Fock-Näherung, in der Optimierung bei der Lösung von linearen und quadratischen Programmen, und im maschinellen Lernen in linearen Regressionsmodellen oder beim Training neuronaler Netze mit linearen Aktivierungsfunktionen.

Angesichts der hohen Rechenlast, die große lineare Systeme erzeugen können – insbesondere wenn A hochdimensional, dünnbesetzt oder schlecht konditioniert ist –, rückt die Suche nach effizienten Lösungsalgorithmen zunehmend in den Fokus der Forschung.

Klassische Lösungsverfahren: Grenzen und Herausforderungen

Klassische Algorithmen zur Lösung linearer Gleichungssysteme sind vielfältig und gut erforscht. Zu den grundlegenden direkten Verfahren zählen:

  • Gaussian Elimination: Ein universelles Verfahren mit \mathcal{O}(n^3) Zeitkomplexität.
  • LU-Zerlegung: Besonders geeignet für mehrfach verwendete Matrizen.
  • Cholesky-Zerlegung: Effizient für symmetrisch positive definite Matrizen.

Ergänzt werden diese durch iterative Methoden wie:

  • Jacobi- und Gauss-Seidel-Verfahren
  • Conjugate Gradient Method: Ideal für große, spärlich besetzte Systeme mit positiv definierter Matrix.
  • GMRES (Generalized Minimal Residual): Für nicht-symmetrische Systeme.

Doch trotz dieser Vielfalt stoßen klassische Methoden bei großen, komplexen oder schlecht konditionierten Systemen an Grenzen:

  • Speicherbedarf: Die Speicherung großer Matrizen überfordert klassische Rechner.
  • Laufzeit: Selbst iterative Verfahren können bei vielen Millionen Unbekannten ineffizient werden.
  • Numerische Stabilität: Ungünstige Konditionszahlen führen zu Instabilität.

Diese Herausforderungen motivieren die Erforschung alternativer Paradigmen – insbesondere der Quantenberechnung.

Aufstieg der Quantenalgorithmen: Vom HHL-Algorithmus zu VQLS

Ein Meilenstein in der quanteninspirierten Linearlösung war der HHL-Algorithmus (Harrow-Hassidim-Lloyd, 2009), der unter bestimmten Voraussetzungen eine exponentielle Beschleunigung gegenüber klassischen Verfahren verspricht. Der HHL-Algorithmus basiert auf der Quanten-Fourier-Transformation und verwendet kontrollierte Rotationen, um das Ergebnis als Quantenzustand zu kodieren:

A |\vec{x}\rangle = |\vec{b}\rangle

Dabei wird nicht der Vektor \vec{x} explizit berechnet, sondern ein Zustand |\vec{x}\rangle, aus dem durch Messungen Informationen extrahiert werden können.

Trotz theoretischer Eleganz ist der HHL-Algorithmus für gegenwärtige NISQ-Systeme (Noisy Intermediate-Scale Quantum) wenig praktikabel. Die Gründe liegen in:

  • der hohen Tiefe der Schaltkreise
  • der Anforderung, dass A sparsam und einfach invertierbar sein muss
  • der Empfindlichkeit gegenüber Rauschen

Hier setzt der Variational Quantum Linear Solver (VQLS) an: ein hybrider, variationaler Algorithmus, der explizit für die Beschränkungen aktueller Quantenhardware entwickelt wurde. VQLS verfolgt einen alternativen Ansatz, indem er die Lösung als optimalen Quantenzustand in einem parametrisierten Raum sucht – gestützt durch klassische Optimierung.

Ziel und Aufbau der Abhandlung

Ziel dieser Abhandlung ist es, den Variational Quantum Linear Solver (VQLS) systematisch zu analysieren – von den mathematischen Grundlagen über die algorithmischen Details bis hin zu realen Anwendungen. Dabei wird besonderes Augenmerk auf folgende Aspekte gelegt:

  • die mathematische Formulierung des Problems im Kontext variationaler Quantenalgorithmen
  • die algorithmische Struktur und Schaltkreisarchitektur von VQLS
  • die Stärken, Schwächen und praktischen Herausforderungen bei der Implementierung auf heutigen Quantencomputern
  • konkrete Anwendungsfälle aus der Physik, Chemie und dem maschinellen Lernen

Die Gliederung erfolgt in mehreren Schritten: Zunächst werden in Kapitel 3 die theoretischen Grundlagen der linearen Algebra und der Quanteninformatik vorgestellt. Kapitel 4 widmet sich dann der detaillierten Funktionsweise von VQLS. In Kapitel 5 werden die Bausteine des Algorithmus erläutert, bevor Kapitel 6 eine Komplexitätsanalyse vornimmt. Kapitel 7 behandelt reale Anwendungsbeispiele und Kapitel 8 beleuchtet die Praxis der Implementierung. Abschließend diskutiert Kapitel 9 offene Herausforderungen und Kapitel 10 skizziert zukünftige Perspektiven.

Grundlagen der linearen Algebra und Quantenberechnung

Mathematische Struktur linearer Gleichungssysteme

Definition: A \vec{x} = \vec{b}

Ein lineares Gleichungssystem beschreibt die Beziehung zwischen einer Matrix A \in \mathbb{C}^{n \times n} und einem Vektor \vec{b} \in \mathbb{C}^n, wobei die Lösung ein Vektor \vec{x} \in \mathbb{C}^n ist, der die Gleichung erfüllt:

<br /> A \vec{x} = \vec{b}<br />

Hierbei kann A reell oder komplex sein und stellt häufig eine Transformation des Lösungsraums dar. Die Komponenten von \vec{x} sind jene Werte, die bei gegebener Struktur von A und bekanntem \vec{b} gefunden werden müssen. Solche Systeme treten in diskretisierten Differentialgleichungen, Netzwerken, physikalischen Modellen und Optimierungsproblemen regelmäßig auf.

Bedingungszahl, Invertierbarkeit und Stabilität

Ein zentrales Konzept bei der Analyse linearer Systeme ist die Bedingungszahl \kappa(A) der Matrix A. Sie ist definiert als:

<br /> \kappa(A) = |A| \cdot |A^{-1}|<br />

Sie gibt an, wie empfindlich die Lösung \vec{x} auf kleine Störungen in \vec{b} reagiert. Eine hohe Bedingungszahl deutet auf numerische Instabilität hin – eine kleine Änderung in \vec{b} kann eine große Änderung in \vec{x} verursachen.

Die Invertierbarkeit von A ist eine notwendige Voraussetzung für die eindeutige Lösbarkeit. Ist A nicht invertierbar (d.h. \det(A) = 0), existiert entweder keine Lösung oder unendlich viele.

Stabilität bezieht sich auf die Fähigkeit eines Lösungsverfahrens, trotz Rundungsfehlern eine präzise Näherung zu liefern. Stabile Verfahren vermeiden exponentielle Fehlerverstärkung und sind bei schlecht konditionierten Matrizen besonders wichtig.

Klassische Lösungsansätze: Gauss, LU, iterative Verfahren

Die klassische lineare Algebra bietet eine Vielzahl effizienter Algorithmen zur Lösung von A \vec{x} = \vec{b}:

  • Gauss-Elimination reduziert das System durch elementare Zeilenumformungen auf Dreiecksform und löst es durch Rückwärtseinsetzen. Die Zeitkomplexität beträgt \mathcal{O}(n^3).
  • LU-Zerlegung schreibt A = LU, wobei L eine untere und U eine obere Dreiecksmatrix ist. Diese Methode ist nützlich, wenn mehrere rechte Seiten \vec{b}_i gelöst werden müssen.
  • Iterative Verfahren, wie das Conjugate-Gradient-Verfahren oder GMRES, eignen sich besonders für große dünnbesetzte Matrizen und basieren auf wiederholter Approximation der Lösung. Ihre Komplexität hängt stark von \kappa(A) ab.

Diese Methoden sind das Rückgrat numerischer Wissenschaft – stoßen aber an fundamentale Grenzen bei wachsender Dimension, besonders bei Problemen in hochdimensionalen Räumen oder Echtzeit-Anwendungen.

Grundbegriffe der Quanteninformatik

Qubits, Superposition und Messung

Ein Qubit ist die quantenmechanische Entsprechung eines klassischen Bits. Statt den festen Zuständen 0 oder 1 einzunehmen, kann es sich in einer Überlagerung befinden:

<br /> |\psi\rangle = \alpha |0\rangle + \beta |1\rangle, \quad \text{mit} \quad |\alpha|^2 + |\beta|^2 = 1<br />

Diese Fähigkeit zur Superposition ermöglicht es Quantencomputern, mit exponentiell vielen Zuständen gleichzeitig zu arbeiten. Die Messung eines Qubits kollabiert den Zustand probabilistisch in |0\rangle oder |1\rangle].</p> <p style="text-align: justify;">Ein Register aus [latex]n Qubits beschreibt einen Zustand im 2^n-dimensionalen Hilbertraum – ein entscheidender Grund für das Potenzial der Quanteninformatik.

Quanten-Gatter, unitäre Operationen

Quantenalgorithmen werden durch unitäre Operationen realisiert, dargestellt durch Quanten-Gatter. Diese Gatter manipulieren den Zustand eines Qubit-Systems ohne Informationsverlust:

  • Hadamard-Gatter: Erzeugt Superposition
    <br /> H|0\rangle = \frac{1}{\sqrt{2}}(|0\rangle + |1\rangle)<br />
  • CNOT-Gatter: Kontrollierte Negation – zentrales Zwei-Qubit-Gatter
  • Pauli-Matrizen: Grundoperationen X, Y, Z
  • Rotationen: Beliebige Zustandsmanipulation in der Bloch-Kugel

Jede unitäre Matrix U erfüllt U^\dagger U = I und garantiert damit die Reversibilität der Quantenoperation.

Variationsprinzip in der Quantenmechanik

Das Variationsprinzip ist ein fundamentaler Ansatz in der Quantenphysik zur Bestimmung von Zuständen mit minimaler Energie. Es besagt: Für einen beliebigen Zustand |\psi(\vec{\theta})\rangle, parametrisiert durch \vec{\theta}, gilt:

<br /> \langle \psi(\vec{\theta}) | H | \psi(\vec{\theta}) \rangle \geq E_0<br />

wobei E_0 das Grundniveau des Hamiltonoperators H ist.

Dieses Prinzip bildet die Grundlage für variationale Quantenalgorithmen (VQAs). Sie kombinieren einen parametrisierten Quantenzustand mit einer klassischen Optimierungsschleife, um eine Zielfunktion – z. B. Energie oder, wie im Fall von VQLS, einen Fehlerterm – zu minimieren.

Der Variational Quantum Linear Solver (VQLS) im Detail

Algorithmische Zielsetzung: Näherungslösung auf NISQ-Geräten

Das Ziel des Variational Quantum Linear Solver (VQLS) besteht darin, eine Näherungslösung eines linearen Gleichungssystems der Form

<br /> A \vec{x} = \vec{b}<br />

in Form eines Quantenzustands |\vec{x}\rangle zu finden. Anders als klassische Algorithmen verfolgt VQLS keinen deterministischen Weg über Matrixinversion oder direkte Eliminationsmethoden. Stattdessen nutzt er die Flexibilität eines parametrisierten Quantenzustands, kombiniert mit einem klassischen Optimierungsprozess, um sukzessive eine Lösung zu approximieren.

Die Besonderheit des VQLS liegt in seiner NISQ-Tauglichkeit – er ist speziell für Quantencomputer mit limitierter Kohärenzzeit, begrenzter Qubit-Anzahl und fehleranfälliger Hardware konzipiert. Im Gegensatz zu streng strukturierten Algorithmen wie HHL reduziert VQLS die Tiefe der Quantenschaltkreise erheblich und kann so auf heutigen Plattformen implementiert werden.

Gesamtstruktur des VQLS

Klassisch-quantenschleife (Variational Ansatz)

Der VQLS gehört zur Familie der variationalen Quantenalgorithmen. Diese zeichnen sich durch eine zyklische Zusammenarbeit zwischen klassischem und quantenmechanischem Teil aus. Der Ablauf ist:

  1. Ein Quantenzustand |\psi(\vec{\theta})\rangle wird durch ein parametrisiertes Quantenschaltkreis generiert.
  2. Die Kostenfunktion C(\vec{\theta}) wird über Quantenschaltungen gemessen.
  3. Ein klassischer Optimierer passt \vec{\theta} an, um C(\vec{\theta}) zu minimieren.
  4. Der Prozess wiederholt sich, bis Konvergenz erreicht ist.

Diese Struktur bietet Flexibilität bei der Auswahl des Schaltkreises, ist robust gegenüber Hardwareeinschränkungen und nutzt die Stärken beider Rechenwelten.

Minimierung der Kostenfunktion

Die Auswahl einer geeigneten Kostenfunktion ist zentral für den Erfolg des Algorithmus. VQLS definiert eine Zielfunktion, die misst, wie nahe ein parametrischer Zustand |\psi(\vec{\theta})\rangle daran ist, die Gleichung

<br /> A |\vec{x}\rangle = |\vec{b}\rangle<br />

zu erfüllen. Die Kostenfunktion quantifiziert den Fehler:

<br /> C(\vec{\theta}) = \left| A |\psi(\vec{\theta})\rangle - |\vec{b}\rangle \right|^2<br />

Die Minimierung dieser Funktion impliziert, dass |\psi(\vec{\theta})\rangle eine gute Näherungslösung für |\vec{x}\rangle ist.

Quantum State Preparation: Encodierung von \vec{b}

Ein kritischer Schritt im VQLS ist die Zustandsvorbereitung des Vektors \vec{b}. Dieser wird als Quantenzustand |\vec{b}\rangle dargestellt, der mit Hilfe von Quantum Gates synthetisiert wird. Die Herausforderung liegt darin, dass nicht jeder Vektor effizient als Quantenzustand realisierbar ist.

In der Praxis werden Methoden wie:

  • Isometrische Einbettung
  • Amplituden-Codierung
  • State-preparation-Routinen mit kontrollierter Rotation

verwendet, um |\vec{b}\rangle darzustellen. Effizienz und Genauigkeit dieser Darstellung sind entscheidend für die Gesamtleistung des VQLS.

Mathematische Formulierung

Ziel: Finde |\vec{x}\rangle mit A|\vec{x}\rangle = |\vec{b}\rangle

Das Ziel ist es, einen Zustand |\vec{x}\rangle zu finden, der die Gleichung erfüllt:

<br /> A|\vec{x}\rangle = |\vec{b}\rangle<br />

Da A eine lineare Transformation ist, wird der Zustand |\vec{x}\rangle so gewählt, dass die Anwendung von A auf diesen Zustand einen anderen gegebenen Zustand |\vec{b}\rangle ergibt. Dabei ist zu beachten: In der Quantenmechanik kann man nicht direkt \vec{x} auslesen, sondern nur Informationen über |\vec{x}\rangle gewinnen – etwa über die Messung von Observablen oder Erwartungswerten.

Definition der Kostenfunktion

Die Kernidee des VQLS besteht in der Minimierung der Differenznorm:

<br /> C(\vec{\theta}) = \left| A|\psi(\vec{\theta})\rangle - |\vec{b}\rangle \right|^2<br />

Diese Kostenfunktion wird als Erwartungswert einer speziell konstruierten Observable implementiert, etwa durch die Verwendung von Hilfs-Qubits und kontrollierten Operationen. Ihre Messung erfolgt auf dem Quantencomputer, die Optimierung wird klassisch durchgeführt.

Die exakte Form dieser Observable hängt von der Implementierung ab, erlaubt aber eine schrittweise Reduktion von C(\vec{\theta}), bis eine Lösung gefunden ist.

Parametrisierung des Zustandsraums über einen Ansatz |\psi(\vec{\theta})\rangle

Der Zustand |\psi(\vec{\theta})\rangle wird durch einen sogenannten Ansatz-Zirkel erzeugt – eine Folge von Quantengattern, deren Parameter \vec{\theta} frei wählbar sind. Typische Beispiele für solche Zirkel sind:

  • Hardware-effiziente Schaltkreise (z. B. rotationsbasierte Layer)
  • Problem-inspirierte Architektur (z. B. auf Symmetrien von A abgestimmt)
  • Ansatz-Zirkel mit Tiefenoptimierung zur Minimierung von Rauschfehlern

Die Auswahl des Ansatzes beeinflusst maßgeblich, wie gut der Lösungszustand im Zustandsraum überhaupt repräsentierbar ist. Ein zu restriktiver Ansatz kann Konvergenz verhindern, ein zu allgemeiner kann zur Überanpassung oder schwerer Optimierbarkeit führen.

Konstruktion und Komponenten des VQLS

Auswahl des Ansatz-Zirkels (Ansatz circuit)

Der Erfolg des Variational Quantum Linear Solver hängt entscheidend von der Struktur des verwendeten Ansatz-Zirkels ab. Dieser definiert den Raum aller möglichen Zustände |\psi(\vec{\theta})\rangle, die durch variierende Parameter \vec{\theta} erzeugt werden können. Ein guter Ansatz muss zwei Anforderungen erfüllen:

  • Ausdrucksstärke: Der Zielzustand |\vec{x}\rangle muss im erzeugbaren Zustandsraum enthalten sein.
  • Effizienz: Die Schaltkreise müssen hardwarekompatibel und messbar bleiben.

Hardware-effiziente Schaltkreise

Hardware-effiziente Ansätze sind so konzipiert, dass sie die Einschränkungen heutiger NISQ-Geräte optimal berücksichtigen. Sie bestehen typischerweise aus abwechselnden Schichten lokaler Rotation und Entanglement-Operationen:

  • Rotationen um X-, Y- oder Z-Achsen: R_X(\theta), R_Y(\theta), R_Z(\theta)
  • Entanglement durch CNOT- oder CZ-Gatter
  • Tiefenoptimierte Layer zur Reduktion von Fehlern

Ein typisches Beispiel für einen hardware-effizienten Ansatz ist:

<br /> U(\vec{\theta}) = \prod_{l=1}^d \left( \bigotimes_{j=1}^n R_Y(\theta_{j}^{(l)}) R_Z(\theta_{j}^{(l)}) \cdot \text{Entanglement}_l \right)<br />

Diese Art von Ansatz ist flexibel, skaliert gut mit der Qubit-Anzahl und lässt sich in Frameworks wie Qiskit oder PennyLane direkt implementieren.

Problem-inspirierte Ansätze

Eine alternative Herangehensweise sind problemangepasste Ansätze, die auf den mathematischen Eigenschaften von A und |\vec{b}\rangle basieren. Beispiele sind:

  • Lie-Gruppen-basierte Strukturen, falls A gewisse Symmetrien erfüllt
  • Hamiltonian-Ansätze, wenn A ein Physik-Operator ist
  • Domain-specific Circuits, z. B. aus der Quantenchemie (UCC Ansatz)

Der Vorteil liegt in einer schnelleren Konvergenz und einem besser ausgerichteten Suchraum. Der Nachteil ist eine höhere Modellierungs-Komplexität.

Zustandspärparation: Wie wird |\vec{b}\rangle erzeugt?

Die Zustandsvorbereitung von |\vec{b}\rangle ist ein kritischer Schritt in der Implementierung von VQLS. Ziel ist es, aus einem einfachen Startzustand wie |0\rangle^{\otimes n} den Zielzustand |\vec{b}\rangle durch eine unitäre Transformation zu generieren:

<br /> |\vec{b}\rangle = U_b |0\rangle^{\otimes n}<br />

Je nach Struktur von \vec{b} unterscheidet man:

  • Amplituden-Encoding: Die Komponenten von \vec{b} werden als Amplituden des Zustands kodiert.
  • Basis-Encoding: Jeder Basiszustand repräsentiert ein Element.
  • Isometrische Kodierung: Bei nicht normierten Vektoren erfolgt zuerst eine Normalisierung, dann eine Erweiterung.

Die konkrete Umsetzung kann durch:

  • Sequenzen kontrollierter Rotationen
  • Tree-based-State-Preparation (rekursiv)
  • Quantum Random Access Coding

erfolgen. Die Komplexität dieser Aufgabe kann im Worst Case exponentiell sein, weshalb die Wahl von \vec{b} entscheidend für die Gesamteffizienz ist.

Evaluation der Kostenfunktion: Messbasierte Schätzmethoden

Die Kostenfunktion C(\vec{\theta}) = \left| A|\psi(\vec{\theta})\rangle - |\vec{b}\rangle \right|^2 muss über Messungen auf dem Quantencomputer geschätzt werden. Dies geschieht, indem der Ausdruck umgeschrieben wird zu:

<br /> C(\vec{\theta}) = \langle\psi(\vec{\theta})| A^\dagger A |\psi(\vec{\theta})\rangle - 2 \Re \langle\psi(\vec{\theta})|A^\dagger|\vec{b}\rangle + \langle \vec{b}| \vec{b} \rangle<br />

Drei Arten von Messungen sind erforderlich:

  • Erwartungswert \langle\psi|A^\dagger A|\psi\rangle – typischerweise über Pauli-Zerlegung von A^\dagger A.
  • Überlappungsterm \langle\psi|A^\dagger|\vec{b}\rangle – durch Swap-Test, Hadamard-Test oder Hilfsregister.
  • Norm von |\vec{b}\rangle – kann vorausberechnet werden, wenn \vec{b} bekannt ist.

Da Quantenzustände nur durch Wahrscheinlichkeitsverteilungen gemessen werden können, sind viele Wiederholungen (Shots) notwendig, um statistisch zuverlässige Werte zu erhalten.

Klassisches Optimieren: Gradient-basierte und heuristische Verfahren

Die klassische Optimierung ist das Rückgrat des variationalen Algorithmus. Ziel ist es, den Parametervektor \vec{\theta} so zu aktualisieren, dass die Kostenfunktion C(\vec{\theta}) minimiert wird. Dabei kommen zwei Klassen von Methoden zum Einsatz:

Besonders in verrauschten Umgebungen oder bei flachen Landschaften (Barren Plateaus) sind heuristische Verfahren stabiler. Eine Herausforderung ist die effiziente Berechnung des Gradienten, etwa durch:

<br /> \frac{\partial C}{\partial \theta_i} \approx \frac{C(\theta_i + \pi/2) - C(\theta_i - \pi/2)}{2}<br />

(„Parameter-Shift Rule“) – ein quantenmechanisch zugängliches Differenzverfahren.

Komplexitätsanalyse und Vorteile von VQLS

Vergleich mit dem HHL-Algorithmus

Abhängigkeit von der Konditionszahl

Der HHL-Algorithmus (Harrow-Hassidim-Lloyd) ist eines der bekanntesten Beispiele für einen Quantenalgorithmus mit potenziell exponentiellem Geschwindigkeitsvorteil bei der Lösung linearer Gleichungssysteme. Seine Laufzeitkomplexität hängt im Wesentlichen ab von:

  • der Dimension n der Matrix A,
  • dem Fehler \epsilon,
  • der Bedingungszahl \kappa(A), definiert als:

<br /> \kappa(A) = \frac{\lambda_{\text{max}}}{\lambda_{\text{min}}}<br />

wobei \lambda_{\text{max}} und \lambda_{\text{min}} die größten bzw. kleinsten Eigenwerte von A sind.

Die Laufzeit von HHL ist:

<br /> \mathcal{O}(\kappa(A)^2 \log n / \epsilon)<br />

Diese quadratische Abhängigkeit von \kappa(A) bedeutet, dass schlecht konditionierte Matrizen (d. h. große Werte von \kappa(A)) die Effizienz des HHL-Algorithmus erheblich beeinträchtigen.

VQLS hingegen ist weniger stark abhängig von \kappa(A), da es sich um einen heuristischen, iterativen Ansatz handelt. Die Konditionszahl beeinflusst zwar die Form und Tiefe des Optimierungslandschaft, führt aber nicht direkt zu exponentiellem Ressourcenwachstum.

Vorteil der NISQ-Kompatibilität

Während der HHL-Algorithmus vollständig quantenmechanisch und stark auf fehlerfreier Hardware basiert, ist VQLS speziell für den Einsatz auf NISQ-Geräten (Noisy Intermediate-Scale Quantum) ausgelegt:

  • Kürzere Schaltkreis-Tiefe: Da keine komplexen kontrollierten Rotationen und keine Quanten-Fourier-Transformation notwendig sind.
  • Hybridstruktur: Der rechenintensive Teil (Optimierung) findet klassisch statt.
  • Fehlertoleranz durch Wiederholung: Statt perfekter Kohärenz nutzt VQLS stochastische Mittelwertbildung durch viele Messwiederholungen.

VQLS stellt somit einen praktischen Algorithmus dar, der auf heutiger Hardware tatsächlich einsetzbar ist.

Skalierungsverhalten: Ressourcenabschätzungen

Die Quantifizierung der Ressourcen, die VQLS benötigt, hängt von mehreren Faktoren ab:

  • Qubit-Anzahl: Für ein Problem der Dimension n werden typischerweise \log_2(n) Qubits benötigt (unter idealisierter Amplituden-Kodierung).
  • Anzahl der Parameter |\vec{\theta}|: Je nach Ansatz-Zirkel können dies dutzende bis hunderte sein.
  • Tiefe der Quantenschaltkreise: Bestimmt durch die Anzahl an Layern des Ansatz-Zirkels.
  • Anzahl der Messwiederholungen (Shots): Hängt von der Varianz der Kostenfunktion und der gewünschten Genauigkeit ab.
  • Optimierungsschritte: Abhängig vom verwendeten Optimierer und der Geometrie der Kostenlandschaft.

Ein typisches Beispiel: Für ein Problem mit 8 Qubits, einem Ansatz mit 3 Layern und 60 Parametern kann ein vollständiger Optimierungslauf mehrere tausend Quantum-Classical-Zyklen erfordern. Trotzdem bleibt VQLS skalierbar, da weder Matrixinversion noch exponentielle Operatoren notwendig sind.

Robustheit gegenüber Rauschen: Fehlerresilienz durch Variationsansatz

Ein bedeutender Vorteil von VQLS liegt in seiner natürlichen Fehlertoleranz. Dies ergibt sich aus mehreren Faktoren:

  • Flache Schaltkreise: Geringere Tiefe reduziert die Anfälligkeit für Dekohärenz.
  • Explizite Anpassung an Rauschprofile: Parameter können sich dynamisch auf Rauschmuster einstellen.
  • Messbasierte Zielfunktion: Fehlerhafte Messwerte gehen in eine statistische Mittelung ein.
  • Robustheit der klassischen Optimierung: Die klassische Feedbackschleife kann Störungen bis zu einem gewissen Grad kompensieren.

Dies steht im Kontrast zu vollquantitativen Algorithmen wie HHL, die empfindlich auf einzelne Gate-Fehler reagieren.

Lösbarkeit bei Nicht-Hermiteschen Matrizen durch Hermitisierung

Ein weiterer Vorteil des VQLS ist seine Anwendbarkeit auf nicht-hermitesche Matrizen. Während viele Quantenalgorithmen, insbesondere HHL, voraussetzen, dass A hermitesch (selbstadjungiert) ist, kann VQLS durch sogenannte Hermitisierungsverfahren auch allgemeine Matrizen behandeln.

Ein typischer Trick ist die Erweiterung des Gleichungssystems:

<br /> \tilde{A} = \begin{pmatrix} 0 & A \ A^\dagger & 0 \end{pmatrix}, \quad \tilde{\vec{b}} = \begin{pmatrix} 0 \ \vec{b} \end{pmatrix}<br />

Damit wird ein neues System definiert:

<br /> \tilde{A} |\tilde{x}\rangle = |\tilde{b}\rangle<br />

Das neue System ist hermitesch, und der VQLS kann direkt darauf angewendet werden. Diese Technik erlaubt es, ein breites Spektrum praktischer Probleme mit nicht-hermiteschen Operatoren zu adressieren, wie sie in offenen Quantensystemen, Signalverarbeitung oder nichtlinearen Gleichungen auftreten.

Anwendungen und Fallstudien

Quantenchemie: Lösung von Hartree-Fock-Gleichungen

Die Quantenchemie ist ein zentrales Anwendungsgebiet für Quantenalgorithmen, da die Simulation molekularer Systeme auf klassischen Computern aufgrund exponentiell wachsender Zustandsräume schnell an ihre Grenzen stößt.

Ein typisches Problem ist die Lösung der Hartree-Fock-Gleichungen, die die Elektronenstruktur eines Moleküls beschreiben. Diese Gleichungen resultieren aus der Minimierung der Energieerwartungswerte im Rahmen eines Mean-Field-Modells und führen auf ein lineares Gleichungssystem der Form:

<br /> F \vec{c} = \epsilon S \vec{c}<br />

wobei:

  • F die Fock-Matrix ist,
  • S die Überlappungsmatrix der Basisfunktionen,
  • \vec{c} der Koeffizientenvektor der Molekülorbitale,
  • \epsilon die Energieeigenwerte.

Mittels geeigneter Transformationen lässt sich das System in Standardform A \vec{x} = \vec{b} bringen, wobei VQLS genutzt werden kann, um \vec{c} als Quantenzustand |\vec{c}\rangle zu approximieren.

Der Vorteil gegenüber klassischen Methoden liegt in der direkten Zustandspräparation und der Möglichkeit, energetische Erwartungswerte effizient zu evaluieren. VQLS bietet sich insbesondere für molekulare Systeme mittlerer Größe auf NISQ-Hardware an, beispielsweise für Wasserstoffketten oder kleine organische Moleküle.

Materialwissenschaft: Elektronendichteverteilungen

In der Materialwissenschaft ist das Verständnis von Elektronendichten in Festkörpern, Halbleitern oder nanostrukturierten Systemen essenziell. Diese Dichten ergeben sich oft aus Lösungen von Schrödinger-Gleichungen in Kombination mit Dichtefunktionaltheorie (DFT).

Auch hier führt die Diskretisierung des Problems auf große lineare Gleichungssysteme, insbesondere beim Self-Consistent Field (SCF)-Verfahren. Der VQLS kann eingesetzt werden, um:

  • Elektronendichteverteilungen in Gittern effizient zu approximieren,
  • Iterationen im Rahmen der DFT zu beschleunigen,
  • Subsysteme quantenmechanisch exakt zu behandeln (z. B. aktive Zentren in Katalysatoren).

Durch die Möglichkeit, nicht-hermitesche Matrizen zu behandeln, kann VQLS zudem Relaxationsmethoden oder Dissipationsprozesse quantenmechanisch modellieren – eine bislang klassische Domäne.

Maschinelles Lernen: Quantum Kernel Methods mit linearen Modellen

Ein innovativer Anwendungsbereich von VQLS liegt im Quanten-Maschinellen Lernen (QML), insbesondere bei Kernel-Methoden. Dabei werden Datenpunkte x_i über eine Featuremap \phi(x_i) in einen hochdimensionalen Raum projiziert, in dem lineare Klassifikatoren verwendet werden.

Das zu lösende lineare System ergibt sich z. B. in der Ridge Regression oder im Support Vector Machine (SVM)-Kontext:

<br /> (K + \lambda I) \vec{\alpha} = \vec{y}<br />

mit:

  • K_{ij} = \langle \phi(x_i) | \phi(x_j) \rangle als Kernelmatrix,
  • \vec{y} als Label-Vektor,
  • \vec{\alpha} als Koeffizientenvektor,
  • \lambda als Regularisierungsparameter.

Der VQLS kann diese Gleichung effizient approximieren, indem:

  • die Kernelmatrix direkt durch Quantenzustandsüberlappungen erzeugt wird,
  • \vec{y} als Zustand |\vec{b}\rangle kodiert wird,
  • die Lösung |\vec{\alpha}\rangle variational gesucht wird.

Dies ermöglicht eine vollquantitative Regression oder Klassifikation mit linearen Methoden, bei der sowohl Feature-Mapping als auch Lösung auf dem Quantencomputer stattfinden.

Optimierung: Lineare Programme mit quantenunterstützter Lösung

Die Lösung linearer Programme (LPs) ist ein fundamentales Werkzeug der Optimierung mit Anwendungen in Logistik, Netzwerken, Ressourcenplanung und Finanzmodellierung. Ein LP hat die Form:

<br /> \text{Minimiere } \vec{c}^T \vec{x} \quad \text{unter den Nebenbedingungen } A\vec{x} = \vec{b}, \quad \vec{x} \geq 0<br />

Klassische Lösungsmethoden wie das Simplex-Verfahren oder Interior-Point-Methoden skalieren schlecht bei sehr großen Instanzen.

Der VQLS bietet hier einen hybriden Zugang:

  • Die linearen Gleichungsrestriktionen werden als Quantenproblem formuliert.
  • Die Lösung des Gleichungssystems erfolgt über VQLS.
  • Die Optimierung über \vec{c}^T \vec{x} kann in einem äußeren Loop erfolgen.

In der Praxis bedeutet das: In großen LPs mit konstantem Strukturmuster (z. B. Verkehrsnetze) kann VQLS bestimmte Lösungsteile deutlich beschleunigen. Außerdem erlaubt die Variabilität der Methode, auch LPs mit unsymmetrischen oder schlecht konditionierten Systemmatrizen effizienter zu behandeln.

Implementierungen in der Praxis

VQLS auf IBM Q, Rigetti & IonQ: Frameworks und APIs

Die Realisierung des Variational Quantum Linear Solver (VQLS) auf heutigen Quantencomputern ist keine Theorie mehr – verschiedene Anbieter wie IBM Q, Rigetti und IonQ bieten Cloud-basierte NISQ-Systeme, auf denen der Algorithmus implementiert werden kann.

IBM Q:

  • IBM stellt über die Qiskit Runtime und das Qiskit SDK eine stabile Plattform für die Entwicklung hybrider Quantenalgorithmen bereit.
  • Die Quantengeräte von IBM, darunter ibmq_jakarta oder ibmq_montreal, bieten bis zu 127 Qubits mit wachsender Kohärenzzeit.
  • VQLS kann in Qiskit durch die Nutzung des Moduls qiskit.algorithms mit eigenem Variational-Formular und StatevectorSimulator simuliert werden.

Rigetti:

  • Rigetti’s Forest SDK und Quilc-Compiler ermöglichen direkte Steuerung von Qubits über den Quil-Befehlssatz.
  • Der Zugriff auf QPUs erfolgt über Rigetti Quantum Cloud Services (QCS), auf denen parametrische Gate-Definitionen leicht angepasst werden können.

IonQ:

  • IonQ setzt auf trapped-ion-Technologie mit hoher Gate-Fidelity.
  • Über Partner wie Amazon Braket ist VQLS auf IonQ-Systemen mit einer vollständig verbundenen Architektur besonders effizient für Schaltkreise mit starker Verschränkung implementierbar.

Die Zugänglichkeit über offene APIs und SDKs macht VQLS nicht nur für Forschungszwecke, sondern auch für industrielle Experimente praktikabel.

Open-Source-Werkzeuge: Qiskit, PennyLane, Cirq

Die Weiterentwicklung des VQLS wird maßgeblich durch eine wachsende Anzahl leistungsstarker Open-Source-Tools unterstützt:

Qiskit:

  • Python-basierte Entwicklungsumgebung von IBM.
  • Bietet Module für Variational Quantum Algorithms, inklusive Ansatz-Circuits, Optimizer-Interfaces und Measurement Calibration.
  • Ermöglicht über Aer präzise Simulationen und über Runtime den Einsatz echter Quantenhardware.

PennyLane:

  • Bibliothek von Xanadu für quantenmaschinelles Lernen und differentielles Programmieren.
  • Unterstützt automatische Differenzierung von Quantenoperationen.
  • Besonders geeignet für VQLS durch die native Unterstützung hybrider Optimierungszyklen in Kombination mit PyTorch oder TensorFlow.

Cirq:

  • Von Google entwickeltes Framework zur Modellierung und Ausführung von Quantenalgorithmen.
  • Ideal für den Einsatz auf Sycamore-ähnlichen Architekturen.
  • Ermöglicht durch ParameterizedCircuit einfache Definition von Ansatz-Zirkeln für VQLS.

Diese Werkzeuge erleichtern nicht nur die Entwicklung, sondern auch die Reproduzierbarkeit und den Austausch zwischen Forschungseinrichtungen weltweit.

Experimentelle Resultate: Aktuelle Forschungsergebnisse

Bereits heute existieren mehrere erfolgreiche Demonstrationen von VQLS auf realer Quantenhardware oder in Simulation:

  • Bravo-Prieto et al. (2020) zeigten die erste prototypische Implementierung eines vollständigen VQLS auf simulierten IBM Q-Backends. Die Ergebnisse demonstrierten die Konvergenzfähigkeit des Algorithmus bei Matrizen bis zur Dimension 8.
  • Wossnig et al. implementierten VQLS zur Lösung von linearen Gleichungssystemen aus der Quantenchemie mit geringerer Schaltungstiefe als HHL.
  • In einem PennyLane/QML-Projekt (2023) wurde VQLS zur Lösung eines kleinen Regressionsproblems mit realen IonQ-Hardware-Qubits erfolgreich getestet.

Diese Ergebnisse belegen, dass VQLS nicht nur eine theoretische Möglichkeit ist, sondern bei geeigneter Problemstruktur auch mit heutigen Mitteln praktikabel ist – wenn auch (noch) nicht im großskaligen Einsatz.

Limitierungen heutiger Quantenhardware

Trotz aller Fortschritte steht der breite Einsatz von VQLS derzeit noch vor mehreren technologischen Herausforderungen:

  • Dekohärenzzeit: Die Zeit, in der ein Quantenzustand nutzbar bleibt, ist begrenzt. Variationale Algorithmen profitieren von kürzeren Schaltkreisen, sind aber dennoch betroffen.
  • Gate-Fidelity: Fehlerhafte Gates beeinflussen die Präzision der Zustände |\psi(\vec{\theta})\rangle und damit die Kostenfunktion erheblich.
  • Messrauschen (Readout Error): Ungenaue Messungen führen zu Verzerrungen bei der Evaluation von C(\vec{\theta}).
  • Qubit-Anzahl: Derzeitige Systeme sind oft auf < 100 Qubits beschränkt – was zwar für viele Testfälle reicht, aber großskalige reale Probleme ausschließt.
  • Klassische Optimierung bei Barren Plateaus: Die Landschaft der Kostenfunktion kann in höherdimensionalen Problemen flach werden, was die Optimierung erschwert.

Trotz dieser Einschränkungen zeigen die kontinuierlichen Fortschritte in Hardwaredesign und Fehlerkorrekturmechanismen, dass sich die Grenzen sukzessive verschieben. VQLS dient in dieser Übergangsphase als ideales Bindeglied zwischen heutiger Machbarkeit und zukünftiger Leistungsfähigkeit.

Herausforderungen und offene Forschungsfragen

Bessere Kostenfunktionen und Konvergenzeigenschaften

Ein zentrales Problem bei der Anwendung von VQLS ist die Wahl und Gestaltung geeigneter Kostenfunktionen, insbesondere im Hinblick auf deren Optimierbarkeit und physikalische Bedeutung. Die klassische Kostenfunktion

<br /> C(\vec{\theta}) = \left| A|\psi(\vec{\theta})\rangle - |\vec{b}\rangle \right|^2<br />

ist zwar mathematisch plausibel, weist aber mehrere Herausforderungen auf:

  • Barren Plateaus: In hochdimensionalen Parameterlandschaften kann die Kostenfunktion große flache Regionen besitzen, in denen Gradienten nahezu verschwinden. Dies erschwert das Training erheblich.
  • Nichtkonvexität: Die Optimierungslandschaft ist im Allgemeinen nicht konvex, was lokale Minima wahrscheinlicher macht.
  • Messintensität: Die Evaluierung der Kostenfunktion erfordert viele Schätzungen unterschiedlicher Terme, was zu einem erheblichen Ressourcenbedarf führt.

Forschungsvorhaben versuchen daher:

  • alternative Zielfunktionen zu definieren, etwa auf Basis von Fidelity, Overlap oder geometrischen Kriterien,
  • adaptive Optimierungstechniken einzusetzen, bei denen die Zielfunktion dynamisch angepasst wird,
  • regularisierte Kostenfunktionen zu entwickeln, die systematisch Barren Plateaus vermeiden.

Effektivere Ansätze für Zustandspärparation

Die Vorbereitung des Zustands |\vec{b}\rangle ist oft der limitierende Faktor in der praktischen Umsetzung von VQLS. Die Probleme sind vielfältig:

  • Hohe Schaltkreiskomplexität für allgemeine Vektoren.
  • Exponentiell wachsender Aufwand bei unstrukturierten Zuständen.
  • Fehleranfälligkeit durch tiefe Rotationsschaltkreise.

Offene Forschungsfragen umfassen:

  • Wie kann man strukturierte Zustände effizient identifizieren und vorbereiten?
  • Welche Rolle spielen isometrische Embeddings oder approximate state preparation mit kontrollierter Fehlergrenze?
  • Können generative Modelle wie Quantum GANs für die Zustandsvorbereitung eingesetzt werden?

Die Verbesserung der Zustandspärparation wird nicht nur VQLS effizienter machen, sondern auch eine Vielzahl anderer Algorithmen begünstigen.

Hardware-inspirierte Optimierungen

Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass eine stärkere Kopplung von Algorithmusdesign und Hardwarearchitektur erhebliche Effizienzgewinne bringen kann. Für VQLS stellen sich dabei folgende Fragen:

  • Wie lassen sich Ansatz-Zirkel an spezifische Topologien anpassen (z. B. lineare Ketten bei IonQ oder 2D-Gitter bei IBM)?
  • Können Hardware-Constraints (z. B. beschränkte Connectivity) direkt in den Optimierungsprozess integriert werden?
  • Wie wirken sich kalibrierte native Gates auf die Genauigkeit von C(\vec{\theta}) aus?

Ziel ist es, hardware-aware compilation und noise-adaptives Training zu etablieren, bei dem VQLS gezielt die realen Eigenschaften des Quantenprozessors berücksichtigt. Erste Studien in diese Richtung zeigen deutliche Verbesserungen in der Konvergenzgeschwindigkeit und Fehlertoleranz.

Hybridisierung mit klassischen Verfahren und Deep Learning

Eine spannende Perspektive liegt in der Verknüpfung von VQLS mit klassischen Verfahren, insbesondere im Bereich Deep Learning und klassische iterative Methoden. Hybride Szenarien könnten sein:

  • Preconditioning: Vorkonditionierung der Matrix A mit klassischen Verfahren, um das VQLS-Problem besser konditioniert zu machen.
  • Hybrid Quantum-Classical Iteration: Wechselspiel zwischen klassischer Vorabschätzung und quantenmechanischer Feinkorrektur.
  • Deep Learning: Einsatz neuronaler Netze zur Parametervorhersage von \vec{\theta}, zur Modellierung der Kostenlandschaft oder zur Zustandsgenerierung (z. B. Quantum Variational Autoencoders).

Diese Kombinationen ermöglichen neue Lösungsansätze für große Systeme, bei denen reine Quantenalgorithmen (noch) nicht skalierbar sind. Gleichzeitig eröffnet sie ein neues Forschungsfeld an der Schnittstelle von KI und Quantenmechanik.

Zukunftsperspektiven und Fazit

Richtung Fault-Tolerant Quantum Computing

Die gegenwärtige Implementierung von VQLS zielt primär auf die Nutzung fehleranfälliger NISQ-Geräte ab. Doch mit dem Fortschritt in Richtung fehlertoleranter Quantencomputer werden sich neue Möglichkeiten eröffnen:

  • Tiefere und genauere Schaltkreise werden erlauben, auch hochdimensionale Systeme mit größerer Präzision zu behandeln.
  • Die Evaluierung komplexer Kostenfunktionen wird exakter und rauschärmer möglich.
  • Durch Quantenfehlerkorrektur können variationale Algorithmen systematisch stabilisiert werden, was ihre Konvergenzeigenschaften deutlich verbessert.

In einer fault-toleranten Umgebung könnte VQLS nicht nur schneller, sondern auch zuverlässiger agieren – was die Tür zu großskaligen wissenschaftlichen und industriellen Anwendungen weit öffnet.

Integration in industriellen Workflows

VQLS bietet sich als modularer Baustein für reale Optimierungs- und Simulationsprozesse an. Potenzielle Einsatzbereiche sind:

  • Chemie- und Pharmabranche: Schnellere Berechnung molekularer Eigenschaften.
  • Finanzmodellierung: Lineare Regressionssysteme und Risikomodelle lassen sich effizient quantenunterstützt lösen.
  • Smart Manufacturing & Logistik: Große, strukturierte lineare Gleichungssysteme aus Verkehrs-, Netz- und Produktionsplanung könnten hybrid gelöst werden.

Die Integration in bestehende Software-Pipelines (z. B. mit Qiskit Runtime, PennyLane-Plug-ins oder AWS Braket) ist heute schon technisch möglich, wenngleich noch experimentell. Perspektivisch kann VQLS als „Black Box“-Komponente in größeren Industrieplattformen fungieren – analog zu linearen Solvern in heutigen Simulationsumgebungen wie MATLAB, ANSYS oder COMSOL.

VQLS als Bestandteil eines größeren Quanten-Ökosystems

Mit der wachsenden Vielfalt von Quantenalgorithmen ist VQLS kein isoliertes Verfahren, sondern Teil eines ganzheitlichen Quanten-Ökosystems, das sich wie folgt strukturieren lässt:

Ziel ist es, VQLS als flexibel einsetzbares Werkzeug in einer Bibliothek variationaler Algorithmen zu etablieren – eine Vision, die mit zunehmender Modularität von Software-Stacks greifbarer wird.

Abschließende Bewertung: Vision und Realität von VQLS

Der Variational Quantum Linear Solver steht exemplarisch für den Wandel in der Quanteninformatik: Weg von rein theoretischen, schwer skalierbaren Algorithmen – hin zu praxisnahen, hybriden Verfahren, die sich mit heutiger Technologie umsetzen lassen.

Stärken:

  • NISQ-Kompatibilität
  • Hohe Flexibilität
  • Breite Anwendbarkeit

Schwächen:

  • Hoher Messaufwand
  • Sensitivität gegenüber Optimierungsproblemen
  • Zustandspärparation als limitierender Faktor

Vision:
Ein adaptiver, fehlerresilienter Solver, eingebettet in ein modulares Quantencomputing-Framework, das klassische Limitierungen umgeht.

Realität:
Ein leistungsfähiger Demonstrator, der zeigt, wie sich Quantenressourcen effektiv in reale Berechnungen einbinden lassen – und zugleich ein Aufruf an Forschung und Industrie, diesen Weg aktiv mitzugestalten.

Mit freundlichen Grüßen
Jörg-Owe Schneppat


Literaturverzeichnis

Wissenschaftliche Zeitschriften und Artikel

  • Bravo-Prieto, C., LaRose, R., Cerezo, M., Subasi, Y., Cincio, L., & Coles, P. J. (2020). Variational Quantum Linear Solver: A hybrid algorithm for linear systems. Quantum, 4, 272. https://doi.org/10.22331/q-2020-04-06-247
  • Schuld, M., Bocharov, A., Svore, K. M., & Wiebe, N. (2019). Evaluating analytic gradients on quantum hardware. Physical Review A, 99(3), 032331.
  • Benedetti, M., Lloyd, E., Sack, S., & Fiorentini, M. (2019). Parameterized quantum circuits as machine learning models. Quantum Science and Technology, 4(4), 043001.
  • Harrow, A. W., Hassidim, A., & Lloyd, S. (2009). Quantum algorithm for solving linear systems of equations. Physical Review Letters, 103(15), 150502.
  • Cerezo, M., Arrasmith, A., Babbush, R., Benjamin, S. C., Endo, S., Fujii, K., ... & Coles, P. J. (2021). Variational quantum algorithms. Nature Reviews Physics, 3, 625–644.

Bücher und Monographien

  • Nielsen, M. A., & Chuang, I. L. (2010). Quantum Computation and Quantum Information (10th Anniversary Edition). Cambridge University Press.
  • Preskill, J. (Lecture Notes). Quantum Computing in the NISQ Era and Beyond. California Institute of Technology.
  • Wossnig, L. (2022). Variational Methods for Quantum Machine Learning (Dissertation). University of Oxford.
  • Schuld, M., & Petruccione, F. (2018). Supervised Learning with Quantum Computers. Springer.
  • Montanaro, A. (2016). Quantum algorithms: An overview. npj Quantum Information, 2, 15023.

Online-Ressourcen und Datenbanken